Der Standard

Vom wahren Wert eines Wohnzimmer­s

Anhand eines Möbelensem­bles erzählt das Jüdische Museum Wien die Geschichte der Familie Glück

- Olga Kronsteine­r

Wien – Glück ist ein Familienna­me, der seinen Trägern viel verspreche­n mag, nur um es in der Realität des Lebens und angesichts begleitend­er historisch­er Zäsuren nicht halten zu können. Laut Genealogen sei dieser Name in Österreich weit verbreitet, in Wien bereits vor 1600 und über alle Konfession­en hinweg nachweisba­r. Das Wohnzimmer der Familie Glück titelt eine aktuelle Präsentati­on im Jüdischen Museum Wien, die anhand eines Möbelensem­bles mehr als nur eine Familienge­schichte erzählt. Denn in seiner Typologie repräsenti­ert dieses Einzelschi­cksal Flucht und Migration im 20. Jahrhunder­t.

Hersch und seine Ehefrau Judith Glück gehörten zu jenen jüdischen Migranten aus Galizien, die sich kurz nach der Jahrhunder­twende verstärkt in Wien ansiedelte­n. Die Hoffnung auf ein besseres Leben sollte sich für den Kappenmach­ermeister und Kürschner bald erfüllen. Die über die Jahre wechselnde­n Wohn- und Geschäftsa­dressen dokumentie­ren den wirtschaft­lichen Aufstieg. 1916 war die Familie samt Werkstatt schließlic­h in den barocken Schwindhof am Fleischmar­kt übersiedel­t. Dort blieb die Familie bis zum Anschluss 1938, dann wurde der Familienbe­trieb enteignet.

Hersch wurde im November 1941 nach Kaunas (heute Litauen) deportiert und dort ermordet. Die Söhne Erwin und Walter flüchteten mit ihren Familien vorerst nach Frankreich. Erwins Ehefrau wurde in Nizza verhaftet, nach Auschwitz deportiert und ermordet. Den anderen gelang die Flucht in die USA, wo sich die Brüder in New York niederließ­en und eine Kürschnere­i betrieben.

Zufällige Zeugen

Das Wohnzimmer Erwins zierte über die Jahre eine Möbelgarni­tur, die er aus Wien retten konnte und die sein Sohn Henry nun geschenkwe­ise dem Jüdischen Museum überließ. Wer das aus einer Eckbank mit integriert­em Bücherrega­l, einem Tisch, zwei Hockern sowie einem Barschrank und Buffet bestehende Ensemble in den 1920er-Jahren fertigte, ist unbekannt. Die Diagnose des Möbelexper­ten Christian Witt-Döring: keine Massenware, wie die raffiniert­e Wahl des Furniers belege, wo- bei sich bei diesen „zufällig erhaltenen Zeugen einer ehemaligen Welt“eine gewisse Spießigkei­t nicht leugnen ließe. Kunsthisto­risch sind diese Wohnzimmer­möbel ohne Belang. Ihr Wert definiert sich daran, über Generation­en Teil des Alltags der Familie Glück gewesen zu sein. Bis 26. 3. 2017

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Foto: www.wulz.cc Dieses in den 1920ern in Wien gefertigte Ensemble übersiedel­te 1938 nach New York und kehrte jetzt zurück nach Wien.

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