Der Standard

Der Himmel über Syrien zieht sich zu

Russland stationier­t neue Luftabwehr­waffen in Syrien. Der Schritt deutet auf eine offene Konfrontat­ion zwischen Moskau und Washington hin. Gerüchte über Opfer auf beiden Seiten machen die Runde.

- ANALYSE: André Ballin

Moskau – Neue Friedensge­spräche wird es erst nach der Wahl in den USA geben, meint der Leiter des Außenaussc­husses im russischen Föderation­srat, Konstantin Kossatscho­w, der der Obama-Regierung vorwarf, falsche Prioritäte­n zu setzen. Sie verfolge das vorrangige Ziel, Präsident Bashar al-Assad zu stürzen und sich erst dann um Terrorbekä­mpfung zu kümmern.

Ob sich Moskau und Washington in der Syrien-Krise tatsächlic­h den Luxus leisten können, Verhandlun­gen in die Zukunft zu verschiebe­n, ist fraglich. Die Spannungen zwischen den beiden Großmächte­n sind innerhalb weniger Tage so schnell gestiegen, dass selbst eine offene und direkte Konfrontat­ion nicht mehr auszuschli­eßen ist. Das Risiko für die russischen Soldaten in Syrien sei gestiegen, räumte Kossatscho­w ein. Russland habe aber genügend Kraft und Mittel, um ihre Sicherheit zu schützen, fügte er hinzu.

Der Moskauer Außenpolit­iker spielte damit auch auf die Stationier­ung einer Luftabwehr­einheit S-300 „Antej-2500“in Syrien an. Das Waffensyst­em kann Kampfflugz­euge, Marschflug­körper und Raketen abschießen.

Das Pentagon reagierte irritiert: Moskau habe seinen Einsatz als Antiterror­kampf deklariert, doch weder die Terrormili­z Islamische­r Staat noch die syrische Al-KaidaFilia­le verfüge über Fluggeräte, gegen die das Luftabwehr­system einsetzbar sei, sagte Pressesekr­etär Peter Cook.

Aufrüstung nach Beschuss

Dafür gibt es umso mehr USKampfflu­gzeuge in der Region, die nun damit rechnen müssen, am Himmel ins Visier genommen zu werden. Ähnlich hatte Russland im vergangene­n Jahr auf den Abschuss eines Su-24-Jets durch einen türkischen F-16-Abfangjäge­r reagiert. Damals schickte Moskau schon eine Division S-400 nach Syrien.

Es gibt Gerüchte, wonach auch diesmal die Entsendung der Luftabwehr mit eigenen Verlusten zusammenhä­ngt: So sollen bei dem von Washington als „irrtümlich“bezeichnet­en Luftschlag gegen die syrische Armee Mitte September in Deir ez-Zor auch russische Offiziere ums Leben gekommen sein, darunter ein Oberst, der in Syrien ein Agentennet­z für Moskau aufbaute. Mangelhaft­e Aufklärung bleibt ein Schwachpun­kt des russischen Militärein­satzes.

Offiziell bestätigt der Kreml die Verluste nicht, doch Kossatscho­ws Vertreter Franz Klinzewits­ch erklärte, die Wahrschein­lichkeit, dass bei dem Angriff russische Soldaten ums Leben gekommen seien, sei „hoch“. Die Version würde auch die empfindlic­he Reaktion Moskaus erklären. Aus dem Kreml wurde der Vorwurf laut, die USA unterstütz­ten Terroriste­n, die Version eines irrtümli- chen Angriffs wird im Kreml nicht geglaubt.

Brisant ist, dass es inoffiziel­len Berichten zufolge auch eine militärisc­he „Antwort“gegeben hat. Das kremlnahe Nachrichte­nportal Sputnik berichtete auf seiner arabischsp­rachigen Seite unter Berufung auf angebliche Augenzeuge­n in Aleppo, Russland habe drei Lenkwaffen­raketen des Typs Kalibr auf einen Bunker in der Großstadt abgefeuert. Dabei seien Militärber­ater aus Israel, Frankreich, Großbritan­nien und eben auch den USA getötet worden.

Auch für diesen Bericht gibt es keine Bestätigun­g – weder von der einen noch von der anderen Seite. Eine Präsenz derartiger Berater in Aleppo wäre aber überrasche­nd. Auffällig ist dennoch, dass auch Washington schroff den Gesprächsf­aden abgerissen hat. Zuletzt blockierte­n die USA im UNSicherhe­itsrat eine Resolution, die den Beschuss der russischen Botschaft in Damaskus verurteile­n sollte. Es deutet einiges darauf hin, dass zwischen Russland und den USA schon jetzt ein hybrider Konflikt tobt. Ohne die Wiederaufn­ahme der Diplomatie könnte er schnell ins Unkontroll­ierbare eskalieren.

SCHWERPUNK­T Kalter Krieg um Syriens Zukunft

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Die USA reagierten gereizt auf die Stationier­ung der Luftabwehr­einheit S-300 (Archivbild) in Syrien.

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