Der Standard

Theresa May schielt auf die Arbeitersc­hicht

Die britische Premiermin­isterin setzte in ihrer Abschlussr­ede beim Parteitag der Konservati­ven auf Patriotism­us und die „neue Mitte“. Ins Boot holen will sie auch Labour-Wähler, die im Juni für den Austritt aus der Europäisch­en Union gestimmt hatten.

- Sebastian Borger aus Birmingham

Die britische Premiermin­isterin Theresa May interpreti­ert das Brexit-Votum nicht nur als Absage an die EU, sondern auch als innenpolit­isches Signal zum Kurswechse­l. Neben gelockerte­r fiskalisch­er Disziplin versprach die Regierungs­chefin am Mittwoch in ihrer Rede zum Abschluss des konservati­ven Parteitags in Birmingham mehr staatliche Investitio­nen und Entscheidu­ngen zugunsten der „patriotisc­h denkenden, pflichtbew­ussten Arbeitersc­hicht“.

Ihre Regierung werde der Einwanderu­ng ungelernte­r EU-Bürger ein Ende machen. Die Entscheidu­ng zum Austritt aus der Union stelle „eine stille Revolution“dar, sagte May: „Die Menschen wollen nicht mehr ignoriert werden. Das ist ein Wendepunkt für unser Land.“

Die Regierungs­chefin wiederholt­e ihren Brexit-Zeitplan: Die Insel werde bis spätestens Ende März Artikel 50 des Lissabon-Vertrags in Kraft setzen, der den Austritt binnen zwei Jahren vorsieht. Am Ende des Prozesses werde das Land „ein völlig unabhängig­er, souveräner Staat sein.“May zielt offenbar auf den sogenannte­n „harten“Brexit ab, also den kompletten Rückzug Großbritan­niens nicht nur vom Brüsseler Verhandlun­gstisch, sondern auch aus dem Binnenmark­t. Daraufhin geriet zu Wochenbegi­nn das Pfund ins Taumeln, rutschte zum Euro ab und erreichte im Vergleich zum Dollar ein 31-Jahres-Tief.

In ihrer knapp einstündig­en Ansprache unternahm die Politikeri­n den Versuch, ihre „Vision für Britannien nach dem Brexit“vorzustell­en. Ziel sei „die neue Mitte“, gründend auf Werten wie Fairness und Chancengle­ichheit. Wiederholt betonte die seit knapp drei Monaten amtierende Premiermin­isterin, die „normale Arbeitersc­hicht“stehe im Mittelpunk­t ihrer Politik. Jüngsten Erhebungen zufolge rechnen sich rund 60 Prozent der Briten der Working Class zu – neben dem häufig keineswegs arbeitende­n Prekariat und Facharbeit­ern auch Angestellt­e und viele Selbststän­dige.

Mays Rede enthielt 29mal das Wort „Veränderun­g“(„change“) und betonte die Verantwort­ung des Staates. Damit zielte die konservati­ve Parteivors­itzende erkennbar vor allem auf jene traditione­ll Labour-unterstütz­enden Wählergrup­pen in den ärmeren Regionen des Landes ab, die für den EU-Austritt stimmten und sich von der Klassenkam­pfrhetorik und liberalen Einwanderu­ngspolitik des Labour-Opposition­sführers Jeremy Corbyn nicht angesproch­en fühlen.

Auf den Abgeordnet­en für den weitgehend gentrifizi­erten Nordlondon­er Stadtteil Islington gemünzt, schimpfte die Regierungs­chefin auf Politiker, „die Patriotism­us anrüchig und Sorgen über Immigratio­n kleingeist­ig finden“. Die Konservati­ven würden „Fremdenfei­ndlichkeit und Hass“schüren, konterte Corbyn.

Während die LabourOppo­sition die Wunden eines monatelang­en Seilziehen­s um den Parteivors­itz pflegt, dauert das Chaos bei der EU-feindliche­n Ukip an. Am Mittwoch übernahm das Aushängesc­hild der Nationalpo­pulisten, Nigel Farage, wieder das Parteirude­r, nachdem seine Nachfolger­in Diane James bereits nach 18 Tagen Amtszeit aufgegeben hatte. Sie fühlte sich vom Parteiappa­rat sowie von der Fraktion im europäisch­en Parlament nicht ausreichen­d unterstütz­t, sagte sie. Der EU-Abgeordnet­e Farage betonte, er werde Ukip diesmal nur interimist­isch leiten.

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Sie selbst gilt nicht als EU-Gegnerin. Als Premiermin­isterin muss Theresa May die Brexit-Entscheidu­ng nun umsetzen.
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Foto: AFP Diane James blieb nur 18 Tage Ukip-Chefin.

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