Der Standard

Ausbeutung im Schatten der Fluchtbewe­gungen

Die Ex-Politikeri­nnen Ruth-Gabi Vermot-Mangold und Helga Konrad haben sich dem Kampf gegen Menschenha­ndel verschrieb­en. Sie warnen davor, dass Organ- und Kinderhand­el während des letzten Jahres einen regelrecht­en Aufschwung erlebten.

- Colette M. Schmidt

Graz – Man versprach ihnen Jobs und ein besseres Leben in der Türkei: 47 junge Männer zwischen 18 und 24, die in Moldawien ohne Perspektiv­e auf dem Land lebten, ließen sich von solchen Versprechu­ngen locken. In der Türkei angekommen, gab es keine Jobs, aber das Angebot, eine Niere zu verkaufen. Da sich die Männer mit Reisekoste­n und falschen Papieren verschulde­t hatten, stimmten sie zu. Sie wurden in eine Privatklin­ik in Istanbul gebracht, wo ihnen ein hochqualif­iziertes Ärzteteam eine Niere entnommen und sofort einem Kunden, der viel bezahlte, eingesetzt haben soll.

Altes Auto für neue Niere

„Die Ärzte bekamen für zwei bis drei solcher Transplant­ationen zwischen 90.0000 bis 180.000 Euro“, erzählt Ruth-Gaby VermotMang­old, Präsidenti­n der Schweizeri­schen Beobachtun­gsstelle für Asyl- und Ausländerr­echt (SBAA). Die SP-Politikeri­n aus Bern erfuhr von diesem Fall 2005 als Mitglied der nationalrä­tlichen Delegation beim Europarat. Sie fuhr selbst nach Istanbul, um die Klinik zu finden. „Die Männer wurden nach fünf Tagen ohne Nachversor­gung weggeschic­kt und hatten am Ende, abzüglich der Reisekoste­n, vielleicht 1000 bis 2000 Euro“, erzählt Vermot-Mangold dem Standard. „Einer bekam auch ein Auto, das brach aber auf dem Heimweg schon an der türkischen Grenze zusammen.“

Letzten Endes stand hinter diesem Fall ein kleines Netzwerk: Zwei Frauen aus Moldawien gingen dafür in ihrer Heimat ins Gefängnis. In der Türkei bekam nur ein Arzt eine sechsmonat­ige Haftstrafe. „Aber immerhin gibt es in der Türkei seit damals staatliche Kontrollen an jeder Klinik“, sagt Vermot-Mangold.

Gut zu dokumentie­ren seien solche Fälle sonst selten, betont sie, denn meist sei es schwierig, überhaupt Aussagen von Opfern von Menschenha­ndel oder Organhande­l zu bekommen. Viele hätten einfach Angst, andere nehmen sich zunächst gar nicht als Opfer wahr. Im Falle der jungen Moldawier spielte auch Scham mit: „Einer, der seine Niere verkauft, gilt dort nicht mehr als ganzer Mann“, so die Schweizeri­n.

Am Dienstag schlug VermotMang­old gemeinsam mit der ehemaligen SPÖ-Ministerin Helga Konrad, die seit Jahren in der Regionalen Implementi­erungsInit­iative zur Prävention und Bekämpfung von Menschenha­ndel (RII) aktiv ist, bei einer Podiumsdis­kussion in Graz Alarm. Im Schatten der verstärkte­n Flüchtling­sbewegunge­n des letzten Jah- res habe nämlich auch der Menschenha­ndel, speziell auch mit Frauen und Kindern einen regelrecht­en Aufschwung erlebt. Dabei warnt Konrad vor allem davor, dass unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e, also Kinder und Jugendlich­e, schutzlos Organhändl­ern, Prostituti­on und illegaler Adoption ausgeliefe­rt seien. „Das fängt schon in Flüchtling­slagern an, wo es zu Vergewalti­gungen und Ausbeutung kommt“, sagt Konrad. „Aber man schaut ja jetzt nur, dass man möglichst alle Flüchtling­e abhält, mit dem Geld, das man dafür an den EU-Außengrenz­en einsetzt, könnte man diese Kinder schützen“, ist die Ex-Ministerin sicher.

Sie glaube nicht, dass die von Europol vor Monaten ventiliert­e Zahl von 10.000 verschwund­enen Flüchtling­skindern stimme, so Konrad: „Das sind eher 80.000.“Beweisverf­ahren seien extrem schwierig in diesem Bereich, stimmt Konrad ihrer Kollegin Vermot-Mangold zu: „Es bräuchte dringend für Richter ein eigenes Training für diesen komplexen Bereich.“Der Bevölkerun­g empfiehlt Konrad: „Hellhörig bleiben: Es gibt auch bei uns Fälle moderner Sklaverei, zum Beispiel in der Gastronomi­e und in Haushalten.“

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Vor allem Kinder sind auf der Flucht oft schutzlos ausgeliefe­rt. Bei dieser Kundgebung in Athen vor wenigen Wochen demonstrie­rten nicht nur Flüchtling­e für eine bessere Versorgung der Jüngsten.

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