Über den Abgaswolken Mexikos
Nach La Paz, Rio und Medellín bekommt nun auch Ecatepec in Mexiko die erste urbane Seilbahn. Die Bevölkerung erspart sich dadurch Fahrzeiten, Smog und Lärm. Doch es gibt auch Kritik an Enteignung und zu wenig Begrünung entlang der Seilbahnstationen.
Von ihrem Tortillastand aus blickt Brigida Arco direkt auf die funkelnagelneue Seilbahnstation in La Cañada, einem ärmlichen Viertel der Satellitenstadt Ecatepec nördlich von Mexiko-Stadt. Monumental und futuristisch wirkt der Betonbau zwischen den kleinen bunten Häusern. Arco findet ihn hübsch. „Ich freue mich, wenn ich wie ein Adler im Himmel schweben darf“, sagt sie und blickt hinauf zu den orangeroten und dunkelgrünen Kabinen. Am 4. Oktober wurde die erste urbane Seilbahn Mexikos eingeweiht.
Die sieben Stationen erstrecken sich auf fünf Kilometer Länge. Sie verbinden den oberen Teil des Viertels mit der Haltestelle der Schnellbusse von und nach Mexiko-Stadt. Bis zu einer Stunde dauerte bisher die Fahrt in Kleinbussen, mit der Seilbahn werden es 19 Minuten sein. 3000 Passagiere pro Stunde können in den Kabinen befördert werden, ohne Lärmund Abgasbelästigung. „Und im Gegensatz zu Bussen oder Zügen fährt eine Kabine alle zwölf Sekunden“, sagt Projektleiter Giacomo Trattenero vom Südtiroler Konzern Leitner Ropeways.
Lösung gegen Verkehrschaos
Immer mehr urbane Seilbahnen werden in den chaotisch wachsenden Megastädten Lateinamerikas erbaut. Sie brauchen weniger Platz und kosten zehnmal weniger als eine U-Bahn, die Hälfte einer Schnellstraße. Mangels urbanistischer Planung sind sie eine gute Lösung gegen Verkehrschaos, besonders für kurze Strecken in hügeligen und dichtbesiedelten Gegenden, wie Stadtplaner Oliver Schütte vom Planungsbüro A 01 in Costa Rica erklärt. Vor Mexiko haben schon Medellín, La Paz, Rio de Janeiro oder Caracas damit experimentiert.
Die Erfahrungen haben gezeigt: Wird die Seilbahn intelligent als Zubringer eingesetzt und als Katalysator für die Aufwertung ärmerer Viertel genutzt, kann sie eine kleine Revolution in Gang setzen. In La Paz und Medellín verbindet sie nicht nur Stadtteile, sondern rückt Welten einander näher, die bislang der Status trennte: El Alto, die ärmliche, indigen geprägte Arbeitervorstadt, und die reiche Südstadt von La Paz zum Beispiel. In Medellín und Caracas sind die Seilbahnen direkt an das Bus- und Metronetz angeschlossen. Zudem wurden in den Stationen kleine Geschäfte und Gemeinschaftsräume eingerichtet, drum herum gibt es Sport- und Spielplätze – so ähnlich soll es auch in Ecatepec sein.
„Technisch stellen urbane Seilbahnen neue Herausforderungen dar“, sagt Trattenero, der für Leitner auch in Medellín und Lima ähnliche Projekte betreut. „Wir arbeiten hier nicht im freien Feld, sondern über den Köpfen der Menschen. Um die Leitungen zu legen, mussten wir zum Beispiel Drohnen einsetzen.“
Noch problematischer sind die politischen und sozialen Hürden. In Rio muss der Betrieb wegen Schusswechseln immer wieder unterbrochen werden. In La Paz gab es Proteste der Taxi- und Kleinbusfahrer gegen die unliebsame Konkurrenz. „Alles steht und fällt mit einer guten Vorbereitung durch die Regierung“, sagt Trattenero. Ganz optimal lief es auch in Ecatepec nicht. „Wir kämpfen hier seit 30 Jahren um ein Hospital, das wäre wichtiger als die Seilbahn“, sagt Stadtteilaktivist Eusebio Bastida. „Das nächste liegt drei Stunden Fahrtzeit entfernt. Aber kein Bürgermeister, kein Präsident, kein Gouverneur hat uns bisher erhört.“
An der Endstation der Avenida Morelos ist die Besitzerin einer Tacobude erbost: „Wir wurden von der Regierung enteignet und haben kein Geld gesehen“, sagt die Frau, die ihren Namen aus Angst vor Repressalien nicht nennen will. „Früher gab es hier viel Bäume, jetzt nur noch Zement“, ergänzt sie. Dem widerspricht Paul Abed von Aristos, dem mexikanischen Teil des Konsortiums: Alle Stationen seien begrünt.
An klaren Tagen ist der Blick über das Tal von Mexiko-Stadt so spektakulär, dass die Regierung sogar hofft, aus La Cañada eine Touristenattraktion zu machen. Das sieht Bastida zwiespältig: „Schön wäre es, wenn sich die Leute für uns interessieren, aber ich habe Angst, dass dann die Grundstücks- und Mietpreise steigen und wir uns das Leben hier nicht mehr leisten können.“