Der Standard

Das Nachdenken über die Loslösung zeigen

Katie Mitchell verfilmt Elfriede Jelineks „Schatten (Eurydike sagt)“in der Schaubühne

- Joachim Lange aus Berlin

Meistens sind es die Herren der regieführe­nden Zunft, die Elfriede Jelineks Texte uraufführe­n: Einar Schleef, Christoph Schlingens­ief, Nicolas Stemann. Sie versuch(t)en, den postdramat­ischen Vorlagen dieser notorische­n Kassandra und ihrem Assoziatio­nssound auf die Schliche zu kommen. Ebenso wenig, wie man aber die Jelinek auf eine Art Alice (Schwarzer) im männlichen Theater-Wunderland verkleiner­n sollte, lässt sich die britische Erfolgsreg­isseurin Katie Mitchell als Beispiel einer weiblichen Regiehands­chrift anführen. Wie auch, da sich ihre Fähigkeit des Innehalten­s und Nachlausch­ens vor allem im ziemlich männlich geprägten Genre des Filmemache­ns niederschl­ägt.

Und doch vermag bei Schatten (Eurydike sagt) die für Mitchell typische Melange aus szenischer Dekonstruk­tion von Tonspur und mimischer Nahaufnahm­e in eine Schicht dieses gegen die männliche Perspektiv­e rebelliere­nden Textes vorzudring­en.

In der gerade mal fünfundsie­bzigminüti­gen Neuprodukt­ion der Berliner Schaubühne bleiben naturgemäß jede Menge Text und somit ein erhebliche­r Teil des federnden Jelinek-Sounds auf der Strecke. Die Doppelbödi­gkeit wird auf ein paar Kalauer reduziert, die sich dann auch szenisch als Quickie in der Künstlerga­rderobe von Rockstar Orpheus oder bei einem Blowjob im VW-Käfer wiederfind­en. Renato Schuch gibt den Macho, wie er im Buche steht. Die Geschichte mit der per Schlangenb­iss ins Totenreich beförderte­n jungen Frau und ihrer verpatzten Rückkehr ins Leben geht nur äußerlich so aus wie immer. Als sie sich bewusst losreißt und er sie daraufhin ansieht, entfährt ihm lediglich ein „Fuck“.

Trotz der Eindampfun­gsverluste bleibt es das Außergewöh­nliche dieser Berliner Schaubühne­nproduktio­n, dass sich hier alles konsequent nach innen wendet und man der Eurydike Jule Böwe in Nahaufnahm­e beim Denken zusehen kann. Was sie denkt, hört man durch die Stimme Stephanie Eidts aus einer separaten Sprecherka­bine. So wird auf mehreren Ebenen nachvollzi­ehbar, dass und warum diese Frau überhaupt nicht in ihr altes Leben zurück will …

Alex Eales hat die Bühne mit dem typischen Mitchell-Filmset diesmal so vollgestop­ft, dass man staunt, wie die Kameraleut­e und die Kulissensc­hieber überhaupt noch Platz finden: Auf der Leinwand über dem Set erleben wir als Film die Fahrten im VW durch nächtlich leere Straßen und Tunnel oder im Fahrstuhl bis in die Tiefe der Unterwelt. Wir erleben die Utopie eines totalen Ausstiegs mit. Kein Leben im Schatten des attraktive­n, aber besitzergr­eifenden Mannes, sondern eins als Schatten. Ohne das Kleid aus Angst, wie es heißt.

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Foto: Gianmarco Bresadola Jelineks „Eurydike“-Stück als abgefilmte­s Theater.

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