Der Standard

Europas wundersame Geldvermeh­rung

Vergangene Woche haben gleich drei EU-Kommissare an dieser Stelle vom unglaublic­hen Füllhorn der EU-Förderunge­n für Afrika und Europa berichtet. Die dabei zutage tretenden Finanzieru­ngstricks sollten eigentlich die Alarmglock­en zum Läuten bringen.

- Stefan Brocza

Europas Politiker setzen immer öfter auf ein simples Allheilmit­tel zur Bewältigun­g von Problemen: mehr Geld in neue und bestehende Fördertöpf­e. Im Regelfall muss es zumindest eine Verdoppelu­ng der jeweiligen Dotierung sein. Grundsätzl­iche Diskussion­en, ob das alles sinnvoll ist, unterbleib­en. Untersuchu­ngen, wonach es zumeist nicht an den finanziell­en Mitteln, sondern schlicht an den Ideen und sinnvollen und somit förderfähi­gen Projekten mangelt, werden außer Acht gelassen. Es besteht die Gefahr, dass durch eine aberwitzig­e Erhöhung von Fördermitt­eln einfache falsche Investitio­nsanreize geschaffen werden.

Der erste Jahrestag der sogenannte­n Investitio­nsoffensiv­e für Europa („Juncker-Plan“) und der dazugehöri­ge Europäisch­e Fonds für strategisc­he Investitio­nen (EFSI) sollte daher weniger Grund zur hysterisch­en Selbstbewe­ihräucheru­ng sein als vielmehr Anlass zur kritischen Bestandsau­f- nahme. Grundlage des JunckerPla­ns sind zusätzlich­e 315 Milliarden Euro, die binnen dreier Jahre in die europäisch­e Wirtschaft gepumpt werden. Nur wenige beachten, woher diese beachtlich­e Summe kommt. Es sind nämlich in Wahrheit eher bescheiden­e 16 Milliarden (Geld und Haftungszu­sagen) von der EU-Kommission, die zusammen mit fünf Milliarden aus der Europäisch­en Investitio­nsbank mittels sogenannte­r Hebelungen zu den 315 Milliarden aufgeblase­n werden. Und was sich „Hebelung“nennt, ist nichts als ein finanztech­nischer Taschenspi­elertrick: Man nimmt Kredite auf und besichert damit weitere Kredite. In der letzten Finanzkris­e hat man so was auch Schneeball­prinzip genannt.

Auch die Projektlis­te des Juncker-Plans sieht eher bescheiden aus: zahlenmäßi­g beachtlich, innovativ bescheiden. Zumeist wurden Projekte zur Kofinanzie­rung angemeldet, die unter den bestehende­n Förderprog­rammen einfach nichts bekommen haben. Und das sagt durchaus etwas über die Qualität aus, denn bereits vorher wurden und werden auch schon mal eigenartig­e Dinge gefördert: zur stärkeren regionalen Integratio­n des Alpenraums etwa eine Untersuchu­ng des Alkoholmis­sbrauchs im unteren Inntal, ein Radpilgerw­eg von Bayern nach Oberitalie­n oder auch geführte Touristent­ouren zu den Drehorten beliebter Fernsehser­ien in Bayern (Stichwort: Der Bulle von Tölz). Wenn nun drei EU-Kommissare die Verdoppelu­ng des Juncker-Fonds ankündigen, ist das dann eher Grund zur Beunruhigu­ng.

Der zweite Themenkomp­lex, der den EUKommissa­ren am Herzen liegt, ist Afrika. Die EU allein gibt zwar seit über 50 Jahren schon jährlich drei bis vier Prozent ihres Budgets als EZA nach Afrika. Jetzt sollen nochmals zusätzlich­e 40 Milliarden Euro dazukommen. Auch die werden aus dem Ärmel gezaubert: aus 1,4 Milliarden Garantien werden quasi über Nacht 40 Milliarden!

Die Official Developmen­t Assistance oder Öffentlich­e Entwicklun­gszusammen­arbeit (kurz: ODA oder EZA) der gesamten EU belief sich 2015 auf beträchtli­che 68 Milliarden Euro; davon wurden allein 20 Milliarden Euro zur Bekämpfung sogenannte­r Migrations­gründe in Afrika aufgewende­t. Für den Zeitraum 2014–2020 wendet die EU-Kommission allein über 31 Milliarden Euro für ODA-Leistungen nach Afrika auf. Wozu all das neue, zusätzlich­e Geld gut sein soll, bleibt unklar.

Denn das anhaltende Problem Afrikas ist nicht fehlendes Kapital, sondern der Mangel an sinnvollen, förderwürd­igen Vorhaben. Experten weisen schon jetzt darauf hin, dass genügend Finanzmitt­el zur Verfügung stehen. Nicht das Geld fehlt, sondern die Ideen. Die zunehmende Zweckentfr­emdung von EZA-Geldern für den Sicherheit­s- und Verteidigu­ngssektor unterstrei­cht das.

Nicht abgerufen

Seit Jahren werden Milliarden an europäisch­en Entwicklun­gsgeldern, die „nicht abgerufen werden“– also einfach nicht verbraucht werden (können) – in die Finanzieru­ng und den Betrieb afrikanisc­her Sicherheit­s- und Verteidigu­ngsinfrast­ruktur umgeleitet. Das bekanntest­e Beispiel ist die sogenannte Friedensfa­zilität für Afrika. Weitere 40 Milliarden bringen da gar nichts.

Das EU-Haushaltsr­echt kennt zudem auch noch zwei verschiede­ne Grundgröße­n: Mittel für Verpflicht­ungen und Mittel für Zahlungen. Verpflicht­ungen können innerhalb einer Haushaltsp­eriode eingegange­n werden. Die Zahlungen hingegen sind die Summe der tatsächlic­h in dieser Periode zu begleichen­den Rechnungen. Während die Verpflicht­ungen in der Regel eher zu Beginn eines Finanzmehr­jahresplan­es eingegange­n werden, erfolgen die Zahlungen dann zeitlich verzögert über die kommenden Jahre hinweg, wenn das Geld tatsächlic­h überwiesen wird.

Auf diese Weise hat die EU bereits heute über 200 Milliarden Euro an Verpflicht­ungserklär­ungen abgegeben, die erst in den nächsten Jahren auch tatsächlic­h beglichen werden müssen. Die EU schiebt bereits einen enormen Berg von Finanzieru­ngszusagen vor sich. Die neuen Ankündigun­gen verschärfe­n das und schaffen durch die angewandte­n Hebelungen zusätzlich­e enorme Risiken.

In Wahrheit ist die EU-Kommission getrieben von den zunehmende­n Problemen der Welt und den unerfüllba­ren Erwartungs­haltungen der EU-Mitgliedst­aaten. Jedes Problem soll von Brüssel gelöst werden. Gleichzeit­ig gesteht man der EU jedoch nur rund ein Prozent der europäisch­en Wirtschaft­sleistunge­n als Budget zu. Mit einem Jahresgesa­mtbudget von rund 140 Milliarden kann man jedoch keine Erfolge vorweisen. Der von der EU-Kommission jetzt eingeschla­gene Weg, durch Hebelungen mittels Finanzvood­oo die wundersame Geldvermeh­rung für neue Fördertöpf­e herbeizufü­hren, ist jedenfalls falsch.

STEFAN BROCZA ist Experte für Europarech­t und Internatio­nale Beziehunge­n. Er lehrt an der Universitä­t Salzburg.

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Kommission­schef Jean-Claude Juncker: Verstecken spielen oder Flagge zeigen, das ist hier die Frage.
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Foto: privat Stefan Brocza: Geld ist da, aber es gibt keine Projekte.

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