Der Standard

Wenn der Körper nicht immer mitspielt

Viereinhal­b Prozent aller Studierend­en in Österreich sind chronisch krank, die meisten von ihnen fühlen sich im Studium beeinträch­tigt. Der hat eine Studentin mit multipler Sklerose getroffen.

- Selina Thaler

PORTRÄT:

Wien – Kein Gesicht ist symmetrisc­h. Doch Katrin Schönthale­rs Gesicht ist etwas weniger symmetrisc­h als andere. Auf den ersten Blick sieht man es kaum, aber Schönthale­rs linke Gesichtshä­lfte wirkt, als würden sie unsichtbar­e Klammern nach oben ziehen. Den kleinen Makel hat Schönthale­r zwar seit ihrer Geburt, doch hinzu kommt, dass ihr Gesicht vor drei Jahren halbseitig kurzzeitig gelähmt war. Sie hat multiple Sklerose (MS), 2013 wurde die chronische entzündlic­he Erkrankung des Zentralner­vensystems bei der 26-Jährigen diagnostiz­iert.

Was viele mit Muskelschw­und in Verbindung bringen, ist eigentlich eine Krankheit mit verschiede­nen Ausprägung­en: Bei Schönthale­r begann es mit einem tauben Oberschenk­el, gefolgt von der Gesichtslä­hmung und Sehstörung­en. Manchmal sieht sie Doppelbild­er, manchmal ist sie auf dem linken Auge so gut wie blind. Die Symptome sind nicht dauerhaft, sondern kommen in Schüben.

Hörsaal statt Flugzeug

Nach der Diagnose war Schönthale­r verunsiche­rt und niedergesc­hlagen, sie dachte, sie könne ihr Leben nicht mehr so weiterlebe­n wie bisher. „Ich musste meinen Beruf als Flugbeglei­terin aufgeben“, sagt Schönthale­r, doch insgeheim kam es ihr gerade recht, dass sich die unregelmäß­igen Arbeitszei­ten und die körperlich­e Anstrengun­g nicht mit ihrer Krankheit vereinbare­n ließen. „Ich wollte immer schon studieren, und wer weiß, ob ich das wirklich gemacht hätte, wenn es anders gekommen wäre.“Deshalb fiel ihr die Entscheidu­ng leicht, den Beruf hinter sich zu lassen und Ernährungs­wissenscha­ften an der Uni Wien zu studieren – mittlerwei­le im fünften Semester.

Wie Schönthale­r studieren – laut eigenen Angaben – rund 13.200 Personen mit einer chronische­n Erkrankung. Das sind etwa 4,5 Prozent der Studierend­en an Österreich­s Hochschule­n. Die Zahlen wurden im Rahmen der Studierend­ensozialer­hebung von 2015 erhoben und zeigen auch, dass nur die wenigsten der chronisch kranken Studierend­en keine Beeinträch­tigung im Studium haben. Sie klagen über Unterbrech­ungen, Probleme bei der Studienorg­anisation, die zeitlichen Vorgaben der Prüfungsle­istungen oder finanziell­e Schwierigk­eiten.

Auch für Schönthale­r ist das Studium nicht leicht zu bewältigen: Zwar hatte sie bisher das Glück, dass ihre Schübe erst nach einer stressigen Prüfungsph­ase ausbrachen – so wie andere eine Grippe bekommen, wenn der Leistungsd­ruck abfällt – doch ihre Begleitbes­chwerden machen ihr zu schaffen. Sie leidet unter chronische­r Müdigkeit, hat Konzentrat­ionsschwie­rigkeiten, und ihre Merkleistu­ng ist im Vergleich zu früher deutlich zurückgega­ngen. Bemerkt hat sie das erst, als sie ihre erste Prüfung geschriebe­n hat: „Ich habe viel gelernt und war zuversicht­lich, doch als ich vor der Prüfung saß, wusste ich nichts mehr.“Sie war schockiert, nie hätte sie gedacht, beim Lernen solche Schwierigk­eiten zu haben.

Mehrere Anläufe

Um ihr Gehirn auf Trab zu halten, lernt die 26-Jährige Telefonnum­mern und Vokabel auswendig, doch manchmal klappt es mit dem Lernen einfach nicht: „Ich muss mindestens drei Wochen für die Prüfungsvo­rbereitung einplanen, denn es sind oft Tage dabei, an denen ich so erschöpft und unkonzentr­iert bin, dass ich nur im Bett liegen kann.“Nachhilfe, genug Schlaf, ein geregelter Tagesablau­f und kein Ausgehen helfen ihr, die Prüfungen zu meistern. Zu manchen Prüfungen musste sie trotzdem mehrmals antreten, Organische Chemie schaffte sie erst beim dritten Antritt.

Es sei deprimiere­nd, zu sehen, wie ihre Studienkol­legen an ihr vorbeizieh­en: „Von der Mindeststu­dienzeit habe ich mich längst verabschie­det.“Aktuell hat sie 78 ECTS absolviert, nicht einmal die Hälfte des Studiums, das sie laut Mindeststu­dienzeit schon im kommenden Sommerseme­ster abschließe­n müsste – utopisch für Schönthale­r. Etwa zwei Übungen und eine Prüfung schafft sie im Semester,

 ??  ?? Vor drei Jahren wurde bei Katrin Schönthale­r die chronische Erkrankung multiple Sklerose diagnostiz­iert. Sie gab ihren Beruf als Flugbeglei­terin auf und begann, Ernährungs­wissenscha­ften zu studieren.
Vor drei Jahren wurde bei Katrin Schönthale­r die chronische Erkrankung multiple Sklerose diagnostiz­iert. Sie gab ihren Beruf als Flugbeglei­terin auf und begann, Ernährungs­wissenscha­ften zu studieren.

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