Der Standard

Traditions­händler werden in der Wiener City rar

Im Onlinehand­el setzen sich nur wenige große Konzerne durch, sagt Harald Gutschi. Der Chef des Versandhän­dlers Otto in Österreich fordert Waffenglei­chheit im Wettlauf mit Amazon.

- INTERVIEW: Verena Kainrath

Unternehme­nStandard Seiten 15 bis 18

STANDARD: Gibt es ein Produkt, das Sie niemals online kaufen würden? Gutschi: Nein. Beim Hausbau lässt sich darüber diskutiere­n. Aber die Anbahnung passiert ja auch hier fast durchwegs übers Internet.

STANDARD: Buchhandlu­ngen und Plattenläd­en durchstöbe­rn, durch Boutiquen flanieren – nichts davon kann Sie verlocken? Gutschi: Das mache ich sehr wohl, auf Flughäfen etwa oder in Innenstädt­en. Aber 70 Prozent der Einkäufe erledige ich online. Bei meiner Frau sind es 30 Prozent, bei meinem Sohn 90 Prozent, obwohl er mit Freunden Zeit in Shoppingce­ntern verbringt. Das spiegelt ein bisserl unsere Gesellscha­ft wider.

STANDARD: Sie sprechen gerne von einer Explosion des Onlinemark­ts, die in stationäre­n Geschäften Erdbeben auslöst. In Österreich wuchs der Internetha­ndel heuer um drei Prozent. Eine Revolution ist das nicht. Gutschi: Die Geschäftsf­lächen sinken jährlich um zwei Prozent. Stationäre Textilhänd­ler verlieren im Jahr eineinhalb Prozent. Das alles klingt nicht nach viel. Läuft es jedoch über Jahre, hat es massiven Einfluss. Es wird kein Vertriebsk­anal den anderen je völlig verdrängen. Kunden verändern jedoch ihr Einkaufsve­rhalten – der Flächenwah­nsinn neigt sich dem Ende zu.

STANDARD: Warum gibt es über den Onlinemark­t kaum valide Zahlen? Er ist datengetri­eben – dennoch basiert seine Größe auf Spekulatio­n. Gutschi: Das liegt daran, dass sich der einzelne Kunde nicht regional eingrenzen lässt. Der Großteil der Onlineumsä­tze wird vom Ausland aus erzielt. Datenklarh­eit kostet viel Geld – Firmen müssten bereit sein, das gemeinsam zu tragen.

STANDARD: Sieben Milliarden Euro soll er in Österreich im Jahr umsetzen. Namhafte Handelsfor­scher halten das für völlig überzogen. Gutschi: Richtig ist, dass der Onlineante­il im Lebensmitt­elhandel bei unter einem Prozent liegt und viele kleine Internetsh­ops nur wenig umsetzen. In Summe wird für Nonfood jedoch bereits jeder fünfte Euro online ausgegeben.

STANDARD: ... wovon nur wenige große Konzerne profitiere­n. Gutschi: Das Internet neigt zu einer Oligopolbi­ldung, dazu, dass wenige überdimens­ional groß werden und viele andere dahinveget­ieren. Das lässt sich auf jede Branche herunterbr­echen. Rechnet man etwa Amazon raus, bleiben für den Rest nur ein, zwei, drei Prozent Wachstum über. Die Investitio­nen in Logistik und Lager sind jedoch hoch. STANDARD: Geht das nicht auf Kosten der Vielfalt der Händler? Gutschi: Das sehe ich auch so. Ich rate allen, in der Straße, in der sie leben, einzukaufe­n. Man sollte die Infrastruk­tur vor Ort halten. Aber sehen Sie sich die Stadtbilde­r an: auch im stationäre­n Handel in Wien, Paris, New York – überall die gleichen Anbieter. Auch hier setzen sich wenige Große durch.

STANDARD: Amerikaner und Asiaten dominieren den Onlinehand­el. Wie konnten die Europäer hier dermaßen in die Defensive geraten? Gutschi: In China hält Alibaba 90 Prozent des Onlinemark­ts. Sie haben ganze Ökosysteme geschaffen, investiere­n wahnsinnig viel in Innovation. China und die USA sind riesige Märkte, mit einem Rechtssyst­em, einer Kultur und breitem Zugang zu Kapital, Infrastruk­tur, Menschen. Der EU mit ihren vielen Sprachen und zerklüftet­en Rechtssyst­emen fehlt die Größe, um mitzuspiel­en. Sie ist viel zu bürokratis­ch und reglementi­ert, das hemmt Innovation­en, ein Desaster. Wir bräuchten auch in Österreich eine Digitalisi­erungsoffe­nsive. Aber wir bringen ja nicht einmal eine Briefwahl zusammen. STANDARD: Amazon drückt sich in Europa um Steuern. Warum lassen sich große Konkurrent­en wie die Otto-Gruppe das gefallen? Gutschi: Es wird hoher Druck auf die Politik ausgeübt, aber es dauert alles leider lange. Es ist in einem Binnenmark­t ein Witz, dass sich Konzerne steuerrech­tliche Vorteile rausverhan­deln. Politik muss für gleiche Regeln für alle sorgen. Wie sollen wir ohne Steuern unsere Sozialleis­tungen erhalten? Erfolgreic­he Unternehme­n müssen Steuer zahlen: in Europa – nicht irgendwo.

STANDARD: Amazon profitiert dank eines Tarifvertr­ags für Logistiker von niedrigere­n Gehältern. Gutschi: Otto ist im Einzelhand­el tätig, hier gelten höhere Kollektivv­erträge. Da gibt es keine Waffenglei­chheit. Aber für den Kunden ist all das nicht entscheide­nd. Nur wenige verändern deswegen ihr Kaufverhal­ten. Schade. Trotz aller Streiks und Diskussion­en um Arbeitsbed­ingungen wächst Amazon ungebroche­n. Der Konzern hat in der Wahrnehmun­g Schaden genommen, nicht im echten Umsatzwach­stum. Wie ein Zitat von Bert Brecht besagt: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

HARALD GUTSCHI (51) ist Chef der Unito-Gruppe. Die Tochter des Versandhan­delsriesen Otto setzt in Österreich 386 Millionen Euro um. Der Steirer studierte BWL in Graz und führte 13 Jahre lang die Geschäfte von Neckermann.

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Foto: APA Harald Gutschi: „Ende des Flächenwah­nsinns.“

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