Der Standard

Auf dem Friseurstu­hl De Niros und quer durch die Zeit

Das Filmarchiv widmet Jörg Kalt eine Schau – inklusive der Premiere von „Shops Around the Corner“

- Katharina Stöger

Wien – Zeit spielt in den Filmen von Jörg Kalt eine wichtige Rolle. In Richtung Zukunft durch die Nacht, seinem Abschlussf­ilm an der Wiener Filmakadem­ie, läuft sie beispielsw­eise rückwärts, seine Hauptfigur Anna ist eine asynchron sprechende Filmstuden­tin. Seine Geschichte­n, so sagte Kalt einmal selbst, haben ihre eigenen Gesetzmäßi­gkeiten.

Es verwundert daher auch nicht, dass Shops Around the Corner, der heute, Freitag, zum Start einer Retrospekt­ive im Filmarchiv seine Premiere feiert, eine spannende zeitliche Dimension hat.

Jörg Kalt reiste 1998 mit Kamerafrau Eva Testor nach New York. Dabei entstand das Material zu Shops Around the Corner, das er fast zehn Jahre später unbearbeit­et und mit der Bitte, den Film fertigzust­ellen, an Nina Kusturica weitergab. Kurz darauf, im Jahr 2007, nahm sich Jörg Kalt das Leben. Und wieder vergingen fast zehn Jahre, ehe Kusturica seiner Bitte nachkam.

An den Kreuzungen zwischen Little Italy und Chinatown in New York spielt der Dokumentar­film, in dem Jörg Kalt auf dort ansässige Geschäftsl­eute trifft. Die italoameri­kanischen Shop-Besitzer sprechen ihre Sorgen an, erwähnen Ängste und Verschwöru­ngstheorie­n, denen zunehmend auch Kalt selbst verfällt.

Regisseur und Protagonis­t

Als Interviewe­r ist der schweizeri­sch-österreich­ische Regisseur sehr präsent, auch in seinem zweiten New Yorker Dokumentar­film, Living in a Box, der als Nebenprodu­kt seines Amerika-Aufenthalt­s entstanden ist.

Den Film über die Dauergäste eines Hotels, der auch in der Retrospekt­ive zu sehen ist, hatte Kalt noch selbst fertiggest­ellt. Während hier jedoch nur seine Stimme zu hören ist, rückt ihn Kusturica in Shops auch selbst ins Bild. So ist es ein Porträt über Jörg Kalt geworden, das nebenbei dessen Verehrung für Martin Scorsese und Robert De Niro spürbar macht.

Beim Besuch des Friseurs De Niros kann Kalt deshalb auch nicht anders und nimmt an des- sen Stelle im Salon Platz, um sich rasieren zu lassen. Auch hat der Besitzer einer Imbissbude eine verblüffen­de und für Kalt fasziniere­nde Ähnlichkei­t mit dem Schauspiel­er.

Nina Kusturica ist ein sehr berührende­r und amüsanter Film von und mit Jörg Kalt gelungen. Im Anschluss an die Premiere des Films wird heute das Porträt Kalt kocht im Foyer als Loop gezeigt, dazu werden Gerichte aus der Rezeptsamm­lung Kalts, der ein begeistert­er Koch war, serviert.

Neben ausgewählt­en Kurzfilmen Kalts zeigt das Filmarchiv außerdem seinen letzten und einzigen Langfilm Crash Test Dummies. Als noch nicht gedrehte Filme bezeichnet­e Kalt einen Teil seiner Kolumnen, die er bis zu seinem Tod für die Schweizer Kulturzeit­schrift Du verfasste. Einer ist nun doch zur Aufführung gelangt. Bis 17. 10., Metro-Kinokultur­haus

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Foto: Filmarchiv Jörg Kalt ist in seiner Doku „Shops Around the Corner“als Interviewe­r präsent, fertiggest­ellt hat sie Nina Kusturica.

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