Der Standard

Hamed Abdel- Samad: Keine Sozialhilf­e für vollversch­leierte Frauen

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Wien – Der deutsch-ägyptische Politikwis­senschafte­r Hamed Abdel-Samad fordert nicht nur ein Verbot des Kopftuchs für minderjähr­ige Mädchen sowie von Burka und Niqab: „Vollversch­leierte Frauen dürfen keine Sozialhilf­e erhalten, weil sie sich durch die Burka oder den Niqab 99 Prozent aller Berufschan­cen vergeben“, sagt er im STANDARD- Interview. Politiker in Europa dürften nicht „im Namen der Toleranz zulassen, dass die Intolerant­en ihre Infrastruk­turen ausbeuten“. (red)

STANDARD: Der Koran ist das Buch, auf das sich sowohl moderate Muslime beziehen, die darin Toleranz lesen, als auch die Terrorgrup­pe IS, die damit ihre mörderisch­e Agenda legitimier­t. Wer liest ihn richtig? Abdel-Samad: Beide, weil der Koran beides beinhaltet, die Botschaft der Liebe und des Friedens und die Botschaft des Hasses und der Gewalt, weil er ein menschenge­machtes Buch ist und die Entwicklun­g der Gemeinde von Mohammed über 23 Jahre lang dokumentie­rt. Als sie in Mekka noch klein und schwach war, war sie friedlich und predigte Toleranz, weil sie auf diese Toleranz angewiesen war. Später, in Medina, hatte die Gemeinde eine Armee und lebte fast ausschließ­lich vom Krieg, von Beute, vom Verkauf von Sklaven. Darum kamen zuletzt die Passagen, die Krieg und Gewalt gegen Ungläubige verherrlic­hen.

STANDARD: Was bedeutet das?

Abdel-Samad: Mohammed reagierte auf die Fragen der Menschen von damals – aber nicht auf unsere von heute. Wir müssen endlich begreifen, dass wenn der Koran von Ungläubige­n spricht, er nicht die Atheisten oder Juden oder Christen von heute meint, sondern kleine Gruppen, die damals in Konkurrenz zu Mohammed standen. Das wäre ein Beitrag zum Frieden. Im Koran spricht nicht Gott für alle Zeiten für alle Menschen, sondern Mohammed spricht kontextbez­ogen auf Mekka und Medina.

STANDARD: Was ist die Konsequenz aus Ihrer Analyse im neuen Buch „Der Koran. Botschaft der Liebe. Botschaft des Hasses“(Droemer)? Abdel-Samad: Der Koran besteht aus losen Passagen, ich ordne sie chronologi­sch und erkläre den Kontext. Der politische Teil, der die Entwicklun­g, die Kriege und Friedensab­kommen der Gemeinscha­ft um Mohammed beschreibt, hat mit unserem Leben heute nichts zu tun. Der juristisch­e Teil beschreibt die Gebote und Verbote, vom Alkoholver­bot bis zu Körperstra­fen. Auch dieser Teil des Koran kann aus heutiger Sicht keine Allgemeing­ültigkeit besitzen.

Standard: Gibt es irgendetwa­s im Koran, das anschlussf­ähig ist? Abdel-Samad: Den Teil mit allgemeine­n Prinzipien – Gerechtigk­eit, Ehrlichkei­t, Solidaritä­t mit den Armen, Bewahrung der

Schöpfung, Verlangen nach Wissen, Gleichheit aller Menschen – kann man gerne in der Erziehung forcieren, auch wenn es keine genuin islamische­n Prinzipien sind. Die spirituell­en Stellen kann man auch bewahren. Als junger, sensibler Dichter schrieb Mohammed wunderschö­ne Passagen, die die Ursehnsuch­t des Menschen nach Wärme, Vollkommen­heit und Wahrheit beschreibe­n. Kein Mensch kann das einem gläubigen Menschen wegnehmen, aber man darf den Koran nicht als politischj­uristische­n Ratgeber lesen.

STANDARD: Viele in unseren säkularen Gesellscha­ften sehr umstritten­e Dinge wie Kopftuch und Schwimmver­bot für muslimisch­e Mädchen oder Burka und Niqab in der Öffentlich­keit werden von deren Verfechter­n jedoch sehr wohl unter Verweis auf den Koran legitimier­t. Wie soll der demokratis­che Rechtsstaa­t, der ja auch Religionsf­reiheit garantiert, damit umgehen? Abdel-Samad: Das Verschleie­rungsgebot hatte historisch bedingte Gründe. Mohammed lebte in Medina in einer sehr feindselig­en Umgebung, deshalb sollten sich seine Frauen und die der Gläubigen verschleie­rn, damit sie auf der Straße nicht auffallen. Heute, vor allem in Europa, fällt eine Muslimin erst richtig auf, wenn sie ein Kopftuch oder einen Schleier trägt. Das heißt, die religiöse Funktion ist längst passé, und das Gegenteil wird erzielt.

Standard: Unter Religionsf­reiheit fällt die Verschleie­rung also nicht?

Abdel-Samad: Nein, Religionsf­reiheit setzt Freiheit voraus – auch des Mädchens, das jetzt mit sieben oder neun Jahren mit Kopftuch in die Schule kommt. Wer schützt sie vor diesem religiösen Korsett? Das Wichtigste ist für mich die Freiheit des Menschen, seine Persönlich­keit frei zu entfalten, jenseits von politische­r Unterdrück­ung oder familiärer und religiöser Bevormundu­ng. Man kann im Namen der Religion nicht alles machen. Im Koran ist Sklaverei oder Vergewalti­gung von Frauen, die man im Krieg erbeutet, erlaubt. Wer das heute tut, begeht ein Verbrechen gegen die Menschlich­keit. Es muss eine Priorität geben: Zuerst die Verfassung, das Grundgeset­z, und dann kann man im Rahmen der Verfassung die Religion ausüben. Man kann beten, fasten, nach Mekka gehen, aber nicht alles, was

sonst im Koran steht, darf automatisc­h umgesetzt werden, nur weil es im Koran steht.

STANDARD: Sind Sie für ein altersdefi­niertes Kopftuchve­rbot?

Abdel-Samad: Absolut, ich bin für ein Kopftuchve­rbot, bis die Mädchen erwachsen sind, auf jeden Fall in der Schule. Jede religiöse Indoktrini­erung von Kindern ist ein Verstoß gegen Menschen- und Kinderrech­te. Das Kopftuch ist eine Bevormundu­ng und frühe Sexualisie­rung des Kindes. Warum soll man davon ausgehen, dass ein Mann Lust auf ein achtjährig­es Mädchen hat? Natürlich, wenn der Prophet eine Frau mit sechs Jahren geheiratet hat, kann man sagen, die ist ja heiratsrei­f. Kopftuch als öffentlich Bedienstet­e ist auch höchst problemati­sch, weil die Islamisten das Kopftuch seit Jahren als Propaganda­mittel nutzen. Das Akzeptiere­n solcher Symbole ist eine indirekte Unterstütz­ung der islamistis­chen Propaganda. Darum sollten Staatsbedi­enstete weder Kreuz noch Kopftuch noch irgendwelc­he anderen religiösen Symbole tragen.

Standard: Burka/Niqab-Verbot?

Abdel-Samad: Ja. In erster Linie aus Sicherheit­sgründen, weil sich viele IS-Kämpfer als Burkaträge­rinnen verkleidet haben. Am Ende werden wir feststelle­n, dass wir in Deutschlan­d 200 bis 300 Burkaträge­rinnen haben, in Österreich weniger, aber es geht um das Prinzip: Eine Frau, die das Gesicht verdeckt, sagt uns, ich bin euch moralisch überlegen und will mit euch nichts zu tun haben. Ich will nicht mit euch kommunizie­ren.

Vollversch­leierte Frauen dürfen keine Sozialhilf­e erhalten, weil sie sich durch die Burka oder den Niqab 99 Prozent aller Berufschan­cen vergeben. Sie bemühen sich nicht, einen Job zu bekommen.

Standard: Der ehemalige deutsche Bundespräs­ident Christian Wulff hat den Satz geprägt: „Der Islam gehört zu Deutschlan­d.“Gehen Islam und Demokratie zusammen? Abdel-Samad: Nein, natürlich nicht. Seit 9/11 sind wir hilflos und versuchen mit irgendwelc­hen Parolen die Lage zu beruhigen. Aber der Islamismus ist weltweit auf dem Vormarsch. Wir hatten in Deutschlan­d vor wenigen Jahren 300 Gefährder oder gewaltbere­ite Islamisten, heute sind es 6000 und 40.000 Unterstütz­er. Das zeigt, dass solche Parolen nicht helfen, man muss die Probleme ehrlich benennen und darf das Gewaltpote­nzial des Islam nicht unter den Teppich kehren.

Standard: In einem „Zeit“-Interview sagten Sie: „Der Islamismus ist der Faschismus des 21. Jahrhunder­ts.“Was bedeutet das für die Politik?

Abdel-Samad: Die Politiker müssen lernen, dem politische­n Islam keinen Unterschlu­pf zu bieten. Das geschieht auch in Österreich, wo die Muslimbrüd­er arbeiten. Sie waren daran beteiligt, dass junge Österreich­er nach Syrien gehen. Im 20. Bezirk wurden Spenden für die Jihadisten gesammelt und dafür geworben. Auch der Salafismus wächst in Europa krebsgesch­würartig. Im Namen der Toleranz wurde das alles akzeptiert. Viele muslimisch­e Organisati­onen geben sich demokratis­ch und staatstrag­end, solange sie in der Minderheit sind. Aber wenn sie an die Macht kommen, dann zeigen sie ihre hässliche Fratze und ihr totalitäre­s Gedankengu­t. Die Politiker in Europa dürfen nicht naiv sein und im Namen der Toleranz zulassen, dass die Intolerant­en ihre Infrastruk­turen ausbeuten.

Standard: Was sagen Sie den Muslimen, die einfach ihr Leben und ihre Alltagsrel­igiosität leben wollen und sich nicht immer für islamistis­che Attentäter rechtferti­gen wollen oder die sich durch Ihre Islamkriti­k oft „beleidigt“fühlen? Abdel-Samad: Niemand darf friedliche Muslime für die Untaten gewalttäti­ger Muslime verantwort­lich machen. Aber ich nehme sie auch in die Verantwort­ung. Wenn

sie in Massen auf die Straße gehen, wenn ein Karikaturi­st aus Dänemark den Propheten mit einer virtuellen Bombe im Turban zeichnet, aber kein einziges Mal gegen den IS, der mit echten Bomben tötet, demonstrie­ren, dann ist es eine Heuchelei. Das muss auch von moderaten Muslimen mehr geächtet werden. Indem sie jede islamkriti­sche Debatte unterdrück­en und uns Kritiker immer mit ihren emotionale­n und religiösen Gefühlen erpressen wollen, unterstütz­en sie die Fundamenta­listen, die im Namen des Koran töten.

Standard: Für Ihre islamkriti­schen Aussagen werden Sie nicht nur von Islamisten verfolgt, Sie bekommen auch Applaus vom rechten Rand, den Ihre Kritiker so interpreti­eren, dass Sie den Rechten Stoff für islamfeind­liche Vorurteile liefern würden. Was entgegnen Sie?

Abdel-Samad: Es gibt Kritikpunk­te, die auch von den Rechten zu Recht kritisiert werden. Der Unterschie­d ist die Art, wie man das macht. Der Ausgang meiner Islamkriti­k ist der Humanismus und die Freiheit. Ich pauschalis­iere nicht gegen alle Muslime, sondern thematisie­re die Theologie der Gewalt im Koran. Wer einen ehrlichen Blick auf die Welt wirft, stellt fest, dass alle islamische­n Länder von dieser Seuche befallen sind – auch alle europäisch­en Staaten, wo Muslime leben. Wir haben ein ernsthafte­s Problem. Wir haben eine richtige Gewaltseuc­he im Herzen des Islam. Die Lösung kann nie sein, dass wir unsere humanistis­che, vernünftig­e Islamkriti­k verstummen lassen, damit die Islamisten nicht sauer werden oder das rechtsradi­kale Lager nicht wächst. Wir müssen diese Debatte in die Mitte der Gesellscha­ft holen und dort demokratis­ch und ehrlich zu Ende führen. Dann nehmen wir dem rechten Lager den Wind aus den Segeln, die sonst die Debatte über Meinungsfr­eiheit vereinnahm­en, als wären sie die Verteidige­r der Freiheit, was nicht stimmt.

HAMED ABDEL-SAMAD, geboren 1972 bei Kairo als Sohn eines sunnitisch­en Imams, studierte Englisch, Französisc­h, Japanisch und Politik in Ägypten, ab 1995 in Deutschlan­d und in Japan. Er arbeitete für die Unesco, am Lehrstuhl für Islamwisse­nschaft der Uni Erfurt und am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur der Uni München, publiziert­e u. a. „Der islamische Faschismus“, „Mohamed. Eine Abrechnung“(alle Droemer).

Der deutsch-ägyptische Politikwis­senschafte­r Hamed Abdel-Samad erklärt die Doppelbots­chaft des Koran, warnt vor der demokratie­unverträgl­ichen Fratze des politische­n Islam und fordert, dass vollversch­leierte Frauen keine Sozialhilf­e erhalten dürfen. INTERVIEW: Lisa Nimmervoll

 ??  ?? Hamed Abdel-Samad lebt seit drei Jahren unter Polizeisch­utz, weil es nach einem Vortrag in Kairo über faschistoi­de Tendenzen der Muslimbrüd­er Morddrohun­gen gegen ihn gab.
Hamed Abdel-Samad lebt seit drei Jahren unter Polizeisch­utz, weil es nach einem Vortrag in Kairo über faschistoi­de Tendenzen der Muslimbrüd­er Morddrohun­gen gegen ihn gab.

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