Für Orbán läuft es nicht ganz rund
Trotz der Machtfülle, die er sich in den vergangenen Jahren sichern konnte, musste Ungarns Premier Viktor Orbán zuletzt auch Rückschläge einstecken. Beim Flüchtlingsreferendum und beim Gedenken an den Aufstand von 1956 verschafften sich die Gegner Gehör.
Ungarns rechtspopulistischer Ministerpräsident Viktor Orbán ist innerhalb der eigenen Landesgrenzen der wahrscheinlich mächtigste Regierungschef eines EU-Mitgliedsstaates. Während seiner seit 2010 währenden Amtszeit ist das Verfassungsgericht weitgehend entmachtet worden. Die reichweitenstarken Medien sind zum überwiegenden Teil unter der Kontrolle von OrbánVertrauten. Die parteipolitisch organisierte Opposition ist schwach, fragmentiert und visionslos. Die wirtschaftliche Macht konzentriert sich in den Händen Orbán-abhängiger Oligarchen, die noch dazu einen Gutteil der EU-Förderungen abschöpfen und in ihre Taschen lenken.
Dennoch läuft es für Orbán derzeit nicht rund. Innerhalb von nur drei Wochen musste er zwei schmerzhafte Ohrfeigen einstecken. Am 2. Oktober endete eine von Orbán angestrengte, gegen die EU-Flüchtlingsquoten gerichtete Volksabstimmung mit einem ungültigen Ergebnis. Trotz beispielloser Panikkampagnen gegen alles Fremde, trotz nie gesehener Geldsummen, die für diese Kampagnen verpulvert wurden, wurde das nötige Quorum nicht erfüllt.
Am Sonntag wiederum irritierten den Machtmenschen Orbán ein paar Hundert junge Leute, die ihn beim Festakt für die Revolution von 1956 auspfiffen. Dabei kamen die Orbán-Gegner gar nicht erst in die Nähe der Redner- und Ehrengasttribüne auf dem Kossuth-Platz vor dem Parlament. Aus der Ferne zu vernehmen war ihr Trillerpfeifenkonzert dort aber sehr wohl. Orbáns Mimik, übertragen von Großbildschirmen, verriet Ärger und peinliche Betroffenheit. Mit einem eher unbeholfenen Halbsatz versuchte er, die Situation zu überspielen: Dank 1956 sei der Kommunismus tödlich verwundet und zusammen mit seinen Führern vom Teufel geholt worden, „aber manchmal kehrt er zurück, um es pfeifen zu lassen“, gab er zum Besten.
Laut Berichten vom Montag kam es bei der Gedenkfeier auch zu Handgreiflichkeiten. Ein prominenter Historiker etwa soll von einem Orbán-Anhänger durch einen Faustschlag im Gesicht verletzt worden sein.
Neue politische Akteure
Die jüngsten Pannen, die Orbán erfahren musste, verdanken sich neuartigen Akteuren. Am Scheitern der Quotenvolksabstimmung war die Satirepartei „Zweischwänziger Hund“beteiligt, die mit einer originellen Posterkampagne für ein ungültiges Votum warb – das Quorum ist nämlich nach ungarischer Gesetzeslage nur dann erfüllt, wenn mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten eine gültige Stimme abgeben. Seinen Wahlkampf finanzierte der „Zweischwänzige Hund“über Crowdfunding. Seine gewitzten Parolen zogen das Pathos und die Panikmache der Orbán-Kampagne ins Absurde. Tatsächlich wählten sechs Prozent der Wähler ungültig, in Budapest sogar zwölf Prozent.
Zu dem Pfeifkonzert am Sonntag wiederum hatte Péter Juhász, der Vizeobmann der kleinen liberalen Partei Együtt (Gemeinsam), aufgerufen. Er selbst wurde von den Ordnern der beauftragten privaten Sicherheitsfirma am Betreten des Kossuth-Platzes gehindert. Juhász blickt auf eine lange Vergangenheit als Aktivist zurück. Mal setzte er sich für die Entkriminalisierung leichter Drogen ein, mal baute er in den Armutsregionen des Landes Rechtshilfeorganisationen für die Roma auf. Als Abgeordneter des Bezirksrats des fünften Budapester Stadtbezirks enthüllt er die mutmaßliche Korruption des früheren Bezirksbürgermeisters und heutigen Propagandaministers im Kabinett Orbán, Antal Rogán.
Der frische Wind, den diese neuartigen Akteure in Ungarn entfachen, ist augenfällig. Ob sich daraus eine dauerhafte politische Kraft entwickeln wird, lässt sich noch nicht absehen.
Nun, da Norbert Hofer bei der ersten Wahl keine Mehrheit erzielen konnte, glaubt er nach höherem Beistand suchen zu müssen. Es ist deshalb kein Wunder und schon gar kein biblisches, wenn dabei seine Hinwendung zu Gott ein wenig plakativ ausfällt. Michael Chalupka, der Direktor der evangelischen Diakonie Österreich, wies daraufhin den Protestanten Hofer zurecht, indem er das zweite Gebot zitierte: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen“.
Die historische Erfahrung dieses Landes lehrt uns, wie gefährlich die Vermischung von Religion und Staat für beide Seiten werden kann. Der Glaube verkommt so leicht zur engstirnigen Parteilichkeit und zur dogmatischen Ideologie. Die Politik wird hingegen jeglicher Nüchternheit beraubt. Jeder Streit kann dann leicht zum heiligen Krieg werden. Wer daran zweifelt, braucht bloß an jene Gegend zu denken, in welcher der Autor dieser Zeilen geboren wurde: Im Nahen Osten sehen wir, was geschieht, wenn das Allmächtige alle Fragen des Alltags okkupieren will. Die Grenze, die hier rasch überschritten wird, ist jene auf Leben und Tod.
Hofer will uns jedoch eben zeigen, wo Gott wohnt – und zwar auf Teufel komm raus. Er strebt nicht nach Trost und Erlösung, sondern will den Kreuzzug. Er ruft nicht das Unaussprechliche an, sondern den alten Bürgerblock auf. Er zielt auf jene Konservative ab, denen Alexander Van der Bellen nicht ganz grün ist, weil sie selbst bei einem früheren Parteichef der Grünen nur eines sehen können, und zwar rot.
Feindbild ...
Sie wollen das Feindbild. Es ist halt ein Kreuz mit Hofer, und zwar eines, bei dem manch einer sogar – wie gerichtsanhängig war – nicht nur einen Haken zu sehen meinte, sondern deren gleich vier. Hofer weiß die Reverenz an die Konfession mit dem Ressentiment gegen alle Muslime schlechthin zu schüren.
Wer jedoch Hofer vorwirft, sich auf seinen Plakaten des Beistands Gottes zu berühmen, riskiert, als gottlos beschimpft zu werden. Dieses Argument sollte nicht leichthin abgetan werden, nur weil es von den Freiheitlichen stammt. Tatsächlich lässt sich mit gutem Grund einwenden: Der Bezug zu Gott sollte jedem Gläubigen gestattet sein. Warum sollte der Kandidat Hofer nicht seine Frömmigkeit hervorstreichen dürfen? Er zitiert jene optionale Beifügung zum Gelöbnis, die auch Rudolf Kirchschläger, Kurt Waldheim und Thomas Klestil bei ihrer Angelobung sprachen. Das ist gesetzlich ausdrücklich zulässig, und daran ist nichts Verwerfliches.
Aber wichtig ist der Unterschied zwischen einer Angelobungsformel und einem Werbeplakat. Hofers Poster sollte in seiner Gesamtheit betrachtet werden. Der Satz „So wahr mir Gott helfe“ist unterschrieben mit „Norbert Hofer – Bundespräsident“. Ein Kandidat nimmt bereits das Wahlergebnis vorweg. Was er tut, ist aus juristischer Sicht wohl nicht relevant, doch ethisch dennoch bedenklich.
Es ist eine gleichsam symbolische Amtsanmaßung, ehe wir darüber abstimmen konnten. Schlimmer noch: Er tut so, als hätte er nicht bereits in einer demokratischen Abstimmung die Mehrheit verfehlt. Alexander Van der Bellen erzielte damals die Majorität in einem Votum, das zwar vom Verfassungsgerichtshof widerrufen, bei dem jedoch explizit keine Manipulation nachgewiesen wurde. Wen wundert’s, wenn Hofer auch seit dem 8. Juli nicht darauf verzichtet, als Nationalratspräsident gemeinsam mit Doris Bures und Karlheinz Kopf die Agenden jenes Amtes auszufüllen, für das er gleichzeitig erst kandidiert. Hofer ist jener Mann, der bereits vor der Auszählung der Stichwahl sein Misstrauen verkündete.
... und Zweifel
Der Zweifel an der Demokratie und an der Republik, den Hofer immer wieder in den letzten Monaten schürt, offenbart sich in diesem Plakat und in der Phrase von Gott. Im Einklang mit rassistischen und rechten Populisten anderer Länder – ob diese Kreuzritter des Abendlandes nun Trump, Farage oder Orbán heißen – diskreditiert er die Demokratie. Jede Unregelmäßigkeit, selbst die Ausrichtung kritischer Medien und sogar manch scharfes Interview im Fernsehen werden herangezogen, um unser System an sich infrage zu stellen. Dieses Vorgehen hat Methode, denn was zählt für diese Maulhelden und Scharfmacher schon das Stimmergebnis der Bevölkerung, wenn sie schon immer davon überzeugt sind, sie wüssten besser, was das Volk, in dessen Namen sie hetzen, will, als die Menschen selbst.
Wohlgemerkt: Hofer festigt nicht den Glauben an Gott, sondern untergräbt jenen an die Republik und ihre Institutionen. Auf seinem Plakat findet sich nur die religiöse Beifügung, die bei der Angelobung nicht vorgeschrieben, sondern nur erlaubt ist. Gesetzlich ausdrücklich festgelegt ist hingegen der Satz: „Ich gelobe, dass ich die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beobachten und meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewis- sen erfüllen werde.“Auf den Abdruck dieser Worte verzichtete Norbert Hofer – und das ist wohl kein Zufall.
DORON RABINOVICI (Jahrgang 1961) ist Schriftsteller und lebt in Wien. Zuletzt erschienen „Herzl relo@ded – Kein Märchen“, Suhrkamp, Berlin 2016