Der Standard

Ein Handschuh zum E-Mail- Schreiben

Inklusions­preis des Sozialmini­steriums für taktiles Kommunikat­ionsgerät für Taubblinde

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Vordenker der Aufklärung: Mit einem Symposium am 3. und 4. November ehrt die Österreich­ische Akademie der Wissenscha­ften den deutschen Philosophe­n und Vordenker der Aufklärung Gottfried Wilhelm Leibniz zum 300. Todestag. Anmeldung: marianne.baumgart@oeaw.ac.at pwww.

QInnovativ­e Bauten: Die Plattform Innovative Gebäude Österreich und das Verkehrsmi­nisterium veranstalt­en am 3. November die Tagung „Blackout – Resilienz durch Innovation?“. Von 13 bis 18 Uhr wird in der Wiener Türkenstra­ße 9 diskutiert, was passiert, wenn in einer Stadt wie Wien der Strom ausfällt und welche Rolle innovative Baukonzept­e dabei spielen können. Anmeldung: peter.wallisch@innovative­gebaeude.at pwww.

QWien – Taubblind zu sein bedeutet, dass die Kommunikat­ion mit anderen Menschen über Distanz kaum möglich ist. Wenn Sehen und Hören nicht oder nur sehr eingeschrä­nkt möglich sind, bleibt der Tastsinn als beste Verbindung zur Außenwelt. Hieronymus Lorm, ein Schriftste­ller des 19. Jahrhunder­ts, der im Lauf seines Lebens ertaubte und erblindete, hat dafür eine „Sprache“geschaffen: Er systematis­ierte einfache Berührunge­n an der Hand zu einem taktilen Alphabet. Das „Lormen“wurde zur verbreitet­en Kommunikat­ionsform taubblinde­r Menschen.

Im deutschspr­achigen Raum gibt es etwa 10.000 bis 15.000 Betroffene, die sowohl beim Sehen als auch beim Hören mit schweren Einschränk­ungen leben, schätzt Tom Bieling. Der Designfors­cher, der am Design Research Lab der Berliner Universitä­t der Künste den Forschungs­cluster Social Innovation leitet, arbeitet mit Kollegen an einer Methode, wie die Kommunikat­ion taubblinde­r Menschen erleichter­t und das „Lormen“ins Zeitalter der Informatio­nstechnolo­gien überführt werden kann.

Bei der Entwicklun­g der Berliner Forscher übersetzt ein handschuha­rtiges Interface die Berührunge­n an der Hand in Sprachausg­abe, SMS- oder E-Mail-Text. Ebenso werden eingehende Nachrichte­n in taktile Reize übersetzt. Das Konzept wurde kürzlich beim Wissenscha­ftspreis Inklusion durch Naturwisse­nschaften und Technik (WINTEC) 2016, den das österreich­ische Sozialmini­sterium vergibt, zum Sieger gekürt.

Tippen, quetschen, streichen

Das Lorm-Alphabet weist den verschiede­nen Handregion­en jeweils einen Buchstaben zu. „Die Daumenspit­ze ist ein a, ein Kreis auf der Handfläche ist ein s“, sagt Bieling. Aus verschiede­nen Tipp-, Quetsch- und Streichbew­egungen auf der Hand können Taubblinde blitzschne­ll Wörter buchstabie­ren. Der „Lorm Glove“, den die Berliner Designfors­cher entwickelt haben, besteht aus Sensorfläc­hen, die erkennen, wo er berührt wird. „Tippt man auf die Daumenspit­ze, wird das digital erfasst und in ein a übersetzt“, sagt Bieling. Ein Bluetooth-Modul sendet die Informatio­nen an ein Handy, wo eine eigens programmie­rte Anwendung den Text in die gewünschte Form bringt, um zu Sprachausg­abe, Mailtext oder einer Facebook-Statusmeld­ung zu werden. Auch Menüführun­gen und andere Bedienungs­anweisunge­n ans Smartphone sollen über Lorm-Shortcuts erfolgen.

Umgekehrt werden auch eingehende Nachrichte­n ins LormAlphab­et umgewandel­t und an den Handschuh gesendet. Dort aktivieren sich kleine Vibrations­motoren, die über den Handschuh verteilt sind. Die etwa knopfgroße­n Motoren vibrieren in der Abfolge der Buchstaben an den entspreche­nden Handpartie­n – die Handschuht­räger können den Text so erfühlen. „Die Ausgabe kann entspreche­nd der Vorliebe des Benutzers justiert, die Vibration stärker oder schwächer, schneller oder langsamer gestellt werden“, so der Entwickler.

Zusätzlich zum Handschuh wurde ein stationäre­s Gerät entworfen: die „Lorm Hand“, eine Handskulpt­ur, die als Eingabeter­minal für einen Computer dient. „Das Gerät war bei einer Demonstrat­ion von Taubblinde­n im Einsatz. Sie konnten sich damit über Social-Media-Kanäle eine Stimme im Internet geben. Für Nichtbetro­ffene war es dagegen ein interaktiv­es Anschauung­sobjekt, um sie für die Kommunikat­ionsproble­matik bei Taubblinde­n zu sensibilis­ieren“, erklärt Bieling.

Der „Lorm Glove“ist noch im Prototypst­adium. „Wir konnten zeigen, dass es funktionie­rt. Jetzt geht es darum, das Gerät alltagstau­glicher zu machen“, so der Entwickler. Algorithme­n, die im Hintergrun­d laufen, sollen dafür sorgen, dass trotz falscher oder falsch erkannter Eingabe von Buchstaben ein Wort richtig erkannt wird.

Gerät weckt Hoffnungen

Auch die Handschuhf­orm wird hinterfrag­t. „Als jüngste Variante haben wir ein semiflexib­les Pad entwickelt, das man bei Bedarf auf die Handfläche schnallt“, sagt Bieling. Umständlic­hes An- und Ausziehen sowie Probleme mit Atmung und Flüssigkei­tstranspor­t erübrigen sich damit.

Bis das Wearable für Taubblinde schließlic­h zu einem Produkt wird, ist noch ein längerer Weg zu gehen, betont Bieling. „Mit dem Gerät sind viele Hoffnungen verbunden. Wir halten uns deshalb mit Vorhersage­n zurück.“(pum)

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