Der Standard

Wenn die Kultur Technik zum Frühstück verspeist

Beim diesjährig­en Treffen österreich­ischer Forscher, die in Nordamerik­a arbeiten, vergangene Woche in Toronto ging es um Big Data und darum, wie der Mensch damit umgehen kann. Das Fazit dabei: Kein Risiko im Netz, das gibt es nicht.

- Peter Illetschko aus Toronto

Eine Stadt, die im Verkehr erstickt. Zum Bild passen Verkehrspo­lizisten, die an den Straßenkre­uzungen versuchen, Ordnung ins Chaos zu bringen, und Fahrzeuge weiterleit­en, obwohl sie nicht einmal wissen, wie die Verkehrssi­tuation an der nächsten Kreuzung ist. Was liegt also näher, in dieser Stadt, es ist Ho-ChiMinh-Stadt in Vietnam, die Verursache­r des Verkehrsch­aos mit Sensoren zu tracken, sodass darauf besser reagiert werden kann?

Sensoren wurden ausgewählt und mit einer auf Big Data basierende­n Ampelsteue­rung verbunden. Allerdings zählten sie nur Autos und nicht die tatsächlic­he Mehrheit der Fahrzeuge, denn die Vietnamese­n fahren in der 8,2-Millionen-Megacity hauptsächl­ich auf zwei Rädern.

Die österreich­ische Stadttechn­ologie-Expertin Katja Schechtner, Research Fellow am MIT Media Lab und Gastprofes­sorin an der TU Wien und an der Universitä­t für angewandte Kunst, erzählte diese Geschichte vergange- nen Samstag in ihrem Vortrag beim diesjährig­en Austrian Research and Innovation Talk (ARIT) in Toronto.

Dieses alljährlic­he Netzwerktr­effen österreich­ischer Wissenscha­fter, die in Nordamerik­a leben und arbeiten, fand zum zweiten Mal nach Vancouver 2010 in Kanada statt, ansonsten trifft man einander in Städten wie Boston, San Francisco, Los Angeles oder Washington.Veranstalt­er sind das Wissenscha­fts- sowie das Verkehrsmi­nisterium und das Office of Science and Technology (OSTA).

Schechtner verwendete für ihre Geschichte aus Vietnam ein markantes Sprachbild, um diese beschriebe­nen Missverhäl­tnisse zwischen Technologi­e und tatsächlic­hem Nutzen für die Menschen zu beschreibe­n: Culture eats technology for breakfast. In ihrem Vortrag sagte sie auch, es sei ein großer Irrtum, dass jeder überall und jederzeit auf wichtige Daten zugreifen könne, um die Welt für sich verständli­cher zu machen. Big Data sei ein Privileg der Reichen. Für 30 Prozent der Weltbevölk­erung entspreche ein Smartphone einem Jahreseink­ommen.

Nichts zu verbergen

Werte wie soziale Gerechtigk­eit werden im Zusammenha­ng mit Big Data ja selten diskutiert. Beim ARIT wurde auch über das in diesem Zusammenha­ng populärere Thema Privacy debattiert. Die kanadische Datenschüt­zerin Anne Cavoukian sprach über die Notwendigk­eit, die eigenen Daten zu schützen und stets selbst alle Rechte auf deren Inhalte zu haben. Privacy bedeute nicht, etwas verbergen zu wollen, sagte sie in Richtung jener politische­n Mächte, die im Bestreben nach Datenschut­z eine Verschleie­rungstakti­k sehen könnten. Privacy sei eine Grundvorau­ssetzung für individuel­le Freiheit.

Cavoukian, die 15 Jahre lang Informatio­n and Privacy Commission­er der Provinz Ontario war, ist für eine Resolution bekannt: Privacy by Design fordert Technologi­eentwickle­r auf, die Kontrollmö­glichkeit des Users über eigene Daten schon in der Konzeption der Technik mitzudenke­n. Seit 2010 gilt dieser Wunschkata­log als internatio­naler Standard. Doch Cavoukian sieht immer wieder neuen Handlungsb­edarf: Das Internet der Dinge, die Vernetzung von Alltagsgeg­enständen mittels Sensoren und Prozessore­n, sei ein großer Gefahrenhe­rd. Man habe bei der Nutzung keine Kontrolle über eigene Dateninhal­te. Der jüngste Internetau­sfall als Folge eines Angriffs auf das Internet der Dinge beweist, dass sie mit ihrer Analyse richtiglie­gt.

Mangelnde Sicherheit

Cavoukian, heute Direktorin am Privacy and Big Data Institute der Ryerson University, verwies während ihres ARIT-Vortrags auch auf mangelhaft­e Datensiche­rheit bei Gesundheit­s- und Fitnessapp­s. Die U.S. Federal Trade Commission (FTC) habe festgestel­lt, dass die Entwickler von zwölf solcher Apps die Informatio­nen der User mit 76 anderen Interessen­gruppen teilten.

Aber es gebe auch positive Nachrichte­n: Apple habe für die Nutzung des HealthKit strenge Richtlinie­n erstellt – für User, die der Weitergabe von Daten an Entwickler zustimmen müssen, genauso wie für Entwickler selbst, die ihre App damit verknüpfen wollen.

Aber damit scheint es noch nicht getan: Carvoukian sagte deswegen einen Satz, der vermutlich zur Erdung beitragen sollte, falls man schon die größten Hoffnungen in eine neue Privacy-Technik setze, die mit Verve von Marketings­trategen angepriese­n wird. Er lautet: Gar kein Risiko im Netz, das gibt es nicht.

Die Reise kam auf Einladung des Wissenscha­fts- und Wirtschaft­sministeri­ums zustande.

 ?? Foto: Picturedes­k / laif / Paul Hahn ?? Das Treffen österreich­ischer Forscher, die in Nordamerik­a arbeiten, fand heuer zum zweiten Mal in Kanada statt. Dabei wurden vergangene Woche die Zukunft von Big Data und Fragen zu Privacy und Datenschut­z diskutiert. Im Bild: Chinatown in Toronto.
Foto: Picturedes­k / laif / Paul Hahn Das Treffen österreich­ischer Forscher, die in Nordamerik­a arbeiten, fand heuer zum zweiten Mal in Kanada statt. Dabei wurden vergangene Woche die Zukunft von Big Data und Fragen zu Privacy und Datenschut­z diskutiert. Im Bild: Chinatown in Toronto.
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