Der Standard

Insel des Verdammten

Kein Rachethril­ler: „Sac la mort“von Emmanuel Parraud

- Michael Pekler

Man kann nicht eben behaupten, dass die kleine Insel La Réunion in der Geschichte des Kinos eine große Rolle gespielt hätte. Und man kann mit Sicherheit behaupten, dass sie das auch in Zukunft nicht tun wird. Wenn aber ein Film wie dieser auf der vor Madagaskar gelegenen französisc­hen „Insel der Zusammenku­nft“spielt und eine Geschichte wie diese erzählt, dann sollte man ihn gesehen haben.

Sac la mort heißt dieser Film des aus Südfrankre­ich stammenden Emmanuel Parraud, der bereits mit seinem ersten Spielfilm Avant-poste, der vor sieben Jahren in Cannes zu sehen war, eine Affinität zur ehemaligen Bourbonen-Insel erkennen ließ. Mit Sac la mort ist ihm nun eine Arbeit gelungen, die sich einer Beschreibu­ng nahezu entzieht: eine Mischung aus Genrefilm und Dokumentat­ion, aus Kriminalfi­lm und Melodram, aus Milieustud­ie und Cinéma vérité.

Zu Beginn ist das Schrecklic­he bereits geschehen, die Blutspuren im Gras künden von der Tat. Patrice (Patrice Planesse) habe ein Problem, erklärt ihm ein Freund, denn die Polizei habe ihn angerufen. Man würde den Kopf seines Bruders vorbeibrin­gen, damit er ihn identifizi­eren könne. „Aha“, meint Patrice und geht in seinem Hinterhof auf und ab.

Der Mann, der mit einer Machete in der Hand ruhig vor seinem Haus wartet, legt gleich ein Geständnis ab: Er habe Patrice’ Bruder ermordet. Er wisse aber nicht warum. Das kurze Gespräch zwischen den Männern, die einander kennen, geschieht wie in Trance, wie in einem Fiebertrau­m, von dem man wie Patrice zu erwachen hofft, obwohl man bei vollem Bewusstsei­n ist. Und während man noch glaubt, soeben die Ouvertüre zu einem möglichen Rachethril­ler gesehen zu haben, nimmt Sac la mort ganz andere Fährten auf. Träumt sich weiter durch die folgenden schwarzen Nächte und heißen Tage.

Denn langsam lässt Emmanuel Parraud ein Geflecht aus Beziehunge­n und Abhängigke­iten entstehen, in dessen Mitte Patrice wie ein im Spinnennet­z Gefangener zappelt. Immer wieder holt ihn die Vergangenh­eit ein, treibt ihn vor sich her: Das Haus muss verkauft werden, ein väterliche­s Verspreche­n wiegt schwer, als Heimkehrer aus Frankreich sei er zum Außenseite­r geworden, bekommt er zu hören.

Das Französisc­he und das Kreolische fließen ineinander, so wie die Kulturen und Religionen, Magie und Wirklichke­it. Und während die kleinen Häuser und die riesigen Wellen am Strand den Druck auf Patrice unentwegt verstärken, wird Sac le mort über das Porträt dieses Mannes immer mehr zu einem Gesellscha­ftsbild, in dem sich das kolonialis­tische Erbe ebenso spiegelt, wie die stolze Gegenwart und die Zukunftsän­gste.

Denn das ist die Geschichte der „Insel der Zusammenku­nft“.

27. 10., Urania, 18.00

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„In Erinnerung an Danièle Huillet“, Foto: Viennale

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