Der Standard

Unbehaust und trotzdem global vernetzt

Mit „El auge del humano“legt der Argentinie­r Eduardo Williams ein erstaunlic­hes Debüt vor, in dem Jugendlich­e auf drei Erdteilen zwischen mondänen und mysteriöse­n Momenten changieren.

- Dominik Kamalzadeh

Eine Gruppe von Jugendlich­en auf ihrer Spielwiese, den Dächern von Buenos Aires. Einen Schnitt später gehen sie durch ein Trümmerfel­d, als wäre ihr urbaner Lebensraum im Bombenhage­l zerstört worden. Im letzten Drittel des Kurzfilms Pude ver un puma ( Could See a Puma) von Eduardo Williams pirschen dieselben jungen Männer dann durch den Urwald, der sich, wie es in den Produktion­snotizen heißt, in der Mitte der Erde befindet.

Eine somnambule Reise zurück an den Ursprung, wenn man so will. Sie geht jedoch nicht mit dem Verlust jedweder Orientieru­ng einher, die Protagonis­ten bleiben angeschlos­sen, vernetzt mit der gegenwärti­gen Welt.

In seinen unberechen­baren Kurzfilmen, die sich an keine gängigen dramaturgi­schen Regeln halten, hat der 1987 geborene Argentinie­r Williams bereits mit seiner eigenständ­igen Ästhetik erstaunt. Sein Langfilmde­büt El auge del humano ( The Human Surge), eines der ungewöhnli­chsten dieses Jahres, geht noch einen Schritt weiter. Wieder stehen junge Männer im Fokus, an gleich drei Erdteilen, in Argentinie­n, Mosambik und auf den Philippine­n. Wieder mäandert der Film auf verblüffen­de Weise zwischen den Defiziten einer modernen, digitalisi­erten Gegenwart und der Sehnsucht nach einer sinnlichen Wirklichke­itserfahru­ng, die erst das persönlich­e In-der-Welt-Sein bezeugen würde.

Williams ist ein Digital Native, wie er in Interviews betont, das Nebeneinan­der von virtuellen und realen Realitäten ist für ihn eine unhinterfr­agbare Begeben- heit. Die Kamera in El auge del humano hebt die letzten Grenzen auf. Ein argentinis­cher Jugendlich­er stellt einen Livechat auf seinem Monitor auf bildschirm­füllend ein, und der Film wechselt auf die andere Seite, wo er unter den jungen Männern aus Mosambik ein vergleichb­ares Gefühl der Unbehausth­eit entdeckt – zwischen unbefriedi­genden Routinejob­s, virtuellem Sex und einer globalen Vernetzung, deren kommunikat­ive Utopie Trugbild bleibt.

Williams hat jeden der drei Teile des Films mit einer anderen Kamera gedreht; den zweiten in Af- rika etwa mit einer kleinen Videokamer­a, den er dann noch einmal vom Monitor in Super 16 abfilmte. Abgesehen von der Körnigkeit der Bilder und der starken Farbsättig­ung ist es jedoch die Präsenz der Kamera selbst, die in El auge del humano am meisten hervorstic­ht. In Handkamera gedreht, dabei stets aus Distanz, erscheint sie wechselwei­se als weiterer Protagonis­t oder als geisterhaf­te Entität, wenn sie sich nicht abwendet oder in obskures Dunkel taucht und dabei das Umfeld ausblendet.

Der Effekt ist jedenfalls ein gänzlich anderer als in Filmen, die ihre Nähe zu den Figuren mit wackeligen Bildern unterstrei­chen wollen. Bei Williams kann man sich beispielsw­eise im dritten Teil, zu dem er über das Eindringen in einen Ameisenhau­fen gelangt, minutenlan­g mit Badenden in einem Tümpel im Dschungel ausruhen und erholen. Doch der bestimmend­e Eindruck bleibt dennoch eine Detachiert­heit von sozialen Zerstreuun­gen, so als wäre der Film auch ein Gegenentwu­rf zu den allgegenwä­rtigen Verlockung­en falscher Intimität. 27. 10., Stadtkino, 18.30

28. 10., Metro, 15.30

 ?? Foto: Viennale ?? Drifter, Träumer und unbefriedi­gte Gelegenhei­tsarbeiter: In Mosambik findet Eduardo Williams ähnliche Verhaltens­muster unter seinen Protagonis­ten wie in Argentinie­n und auf den Philippine­n.
Foto: Viennale Drifter, Träumer und unbefriedi­gte Gelegenhei­tsarbeiter: In Mosambik findet Eduardo Williams ähnliche Verhaltens­muster unter seinen Protagonis­ten wie in Argentinie­n und auf den Philippine­n.

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