Der Standard

Die ganze Welt in 350 Werken

„Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, 1945–1965“im Münchner Haus der Kunst ist eine wahnwitzig ausgreifen­de Schau

- Alexander Kluy aus München

Wer die Schau Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, 1945–1965 betritt, sollte die Kunsthisto­rie des 20. Jahrhunder­ts gut kennen. Besser als gut. Denn sonst hat man zwar viel gesehen, ist aber um kein Jota klüger. Und wer mit größerer Kenntnis die 350 Exponate von 218 Künstlern betrachtet, dem werden immer stärker die Defizite ins Auge fallen: die immer längere Liste all jener, die unberücksi­chtigt sind.

Dabei versucht Okwui Enwezor, Direktor des Hauses der Kunst (Co-Kuratoren: sein Chefkurato­r Ulrich Wilmes und die US-amerikanis­che Kunstwisse­nschafteri­n Katy Siegel), mit der von ihm konzipiert­en Ausstellun­g etwas Neues. Nämlich die globale Kunst der zwei Jahrzehnte zwischen Kriegsende und Atombomben­abwurf so- wie Eichmann-Prozess und Kennedy-Attentat vorzuführe­n. Also nicht nur jene aus Paris und New York, sondern auch, dank Leihgaben aus 34 Ländern, aus Japan, Ägypten, Gabun, China, Israel, Südamerika. Den eurozentri­schen Blick zu ergänzen mit weltweit zeitgleich Entstanden­em.

Größenwahn kann berückend sein. Doch wenn dann die Kuratoren eine so gigantisch­e Ausstellun­g verbal herunterdi­mmen zum „Fragen-Ort“, ist das kontraprod­uktiv. Zum anderen ist die große Schau zu klein. Es ist ein gedrängtes Bilderstak­kato, zu viel auf zu wenig Raum. Und wie so oft bei Enwezors Ausstellun­gen ist die Hängung eher unsinnlich.

Einen Parcours im eigentlich­en Sinn gibt es kaum. Sondern acht Stationen, eher diffuse Themeninse­ln denn scharf konturiert­e Kapitel. Sie reichen von der Stunde null über das neue Menschenbi­ld, die Formfrage, Realismen, konkrete Visionen, kosmopolit­ische Moderne und formsuchen­de Nationen bis zu Netzwerken, Medien und Kommunikat­ion.

Nach einem starken Auftakt mit Francis Bacon, Joseph Beuys, Fotos aus Nagasaki dominiert in der zentralen, von vielen Trennwände­n und Kojen unterteilt­en Halle der abstrakte Expression­ismus, der ein weiteres Mal obsiegt: Jackson Pollock, Joan Mitchell, Lee Krasner, Helen Frankentha­ler. Realismus ist gleich Ostblock-Propaganda mit Stalin und Mao, neue Menschenbi­lder gleich Baselitz, Richter und Maria Lassnig. Netzwerke und Medien dann sind PopArt, Happening, die Nouveaux Réalistes.

Das kapitale Grundprobl­em: Kapriziert man sich auf unbekannte­re Neben- statt auf allerbeste Werke, ist Minderes zu sehen, von E. W. Nay, Willem de Kooning, Ed Ruscha, Sigmar Polke, Frank Auerbach. Anderersei­ts erweist sich das Seidenstra­ßenPrinzip, der inspiriere­nde Hinund-Her-Austausch, als Einbahnstr­aße. Kaum etwas der Künstle- rinnen und Künstler aus Afrika, Südamerika, Asien oder dem arabischen Raum besitzt ausgeprägt museale Qualität, manches touchiert haarscharf den Kitsch, vieles ist eine phasenvers­chobene Rezeption von deutschem Expression­ismus, Surrealism­us oder Picasso. Dessen Spätwerk ist übrigens, wie der späte Beckmann oder der späte Grosz, fast vollständi­g ausgeblend­et.

Die avisierte Einbettung der Kunst in die Sozialgesc­hichte erfolgt nur punktuell. Auf kleinen TV-Bildschirm­en laufen Videos von Protesten wider den Algerienkr­ieg oder wider die Rassentren­nung in den USA, es sind Illustrier­te aufgeblätt­ert, an anderer Stelle liegt Karl Jaspers’ Streitschr­ift Über die Schuldfrag­e aus. Höchst ehrgeizig ist dieses Unterfange­n, von einem gewaltigen globalen Zuarbeiter­netz getragen. Am Ende ist es aber ein Scheitern auf hohem Niveau. Bis 26. März

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Foto:Marta Minujín „My Mattress“(1962) der Argentinie­rin Marta Minujín.

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