Der Standard

Lager weg, Problem bleibt

- Stefan Brändle

Die Räumung des Flüchtling­slagers in Calais ist eine gute Nachricht – zuerst für die tausenden Sudanesen, Afghanen, Äthiopier und Kurden, die bereit sind, ihre Englandplä­ne zumindest fürs Erste zu vergessen und in Frankreich zu bleiben. Ihr Umdenken allein offenbart die unwürdigen Verhältnis­se, unter denen sie in den Sanddünen des Ärmelkanal­s monatelang vegetierte­n.

Erleichter­t sind auch Präsident François Hollande und Innenminis­ter Bernard Cazeneuve, dem es gelungen ist, 280 Auffangsta­tionen in ganz Frankreich aufzubauen und die richtige Mischung aus Rücksicht und Entschloss­enheit zu finden. Bloß: Das Asylproble­m bleibt trotzdem ungelöst. Viele der Migranten und Flüchtling­e werden aufgrund des Dublin-Abkommens in ihr EU-Ersteintri­ttsland zurückgesc­hafft werden – und von dort aus bald wieder an den Ärmelkanal reisen, um es erneut nach England zu versuchen.

London wird seine Grenzen in Zeiten des Brexit hermetisch­er denn je abdichten. Doch mit dem Austritt aus der EU verliert Großbritan­nien auch den Anspruch auf den Goodwill Frankreich­s, das englandori­entierte Migranten seit 2003 auf der kontinenta­len Seite abfängt. Nach der Lagerräumu­ng pocht Paris nun darauf, dass die Briten „ihr“Migrations­problem selbst regeln – das heißt in England. Die herumirren­den Flüchtling­e bleiben, so ist zu befürchten, ein Spielball der Politik zwischen Brexit und französisc­hen Präsidents­chaftswahl­en.

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