Der Standard

Stadtverdi­chtung für grüne Daumen

Wo sich früher der Linzer Frachtenba­hnhof befand, sind seit 2012 Wohnungen und Gewerbeflä­chen rund um eine große Grünfläche entstanden. Nun biegt die Grüne Mitte in die Zielgerade. Aber wie grün ist sie wirklich geworden?

- Franziska Zoidl

Linz – Bei der Grünen Mitte in Linz soll nicht nur der Park, das 14.000 Quadratmet­er große Herzstück des Projekts, grün sein. Die Natur soll sich auch auf Fassaden und Balkonen der seit 2012 hier entstehend­en zehn Objekte mit rund 800 Wohnungen von sieben Bauträgern in Form von hängenden Gärten wiederfind­en, so das ursprüngli­che Ziel für das Linzer Großprojek­t.

Den Bosco Verticale – einen begrünten Wohnturm in Mailand – dürfe man sich auf dem Areal des ehemaligen Linzer Frachtenba­hnhofs natürlich nicht erwarten, sagt Robert Oberleitne­r, Geschäftsf­ührer der Neuen Heimat Oberösterr­eich.

Diese hat hier ein Projekt mit 86 Wohnungen geschaffen. Vor einigen Monaten sind die ersten Mieter eingezogen. „Jede Wohnung verfügt über eigene Gartenbere­iche, die man selbst gestalten kann“, sagt Oberleitne­r. Er glaubt, dass diese von außen nicht einsehbare­n privaten Wohnungsgä­rten ein Anreiz für viele waren, herzuziehe­n.

Neues Regelwerk

„Die Fassadenbe­grünung war anfangs wichtig, rückte aber dann in den Hintergrun­d“, sagt Andreas Dworschak vom Linzer Architektu­rbüro Archinaute­n, das einen Wohnbau für die Baureform Wohnstätte (BRW) geplant hat: „Dafür hätte man ein Sonderbudg­et gebraucht.“

Denn 2015 trat mit dem Standardau­sstattungs­katalog „Wege zur Wirtschaft­lichkeit“ein neues, vieldiskut­iertes Regelwerk für den sozialen Wohnbau in Oberösterr­eich in Kraft. Grüne Fassaden werden nun nicht mehr genehmigt, bestätigt BRW-Vorstand Roland Hattinger, der den Katalog dennoch als „wichtiges Instrument für den leistbaren Wohnraum“erachtet. Das zweite, noch in Bau befindlich­e Projekt der BRW wird ohne vertikale Begrünung auskommen.

Auch ökologisch­e Materialie­n wie beispielsw­eise Hanfdämmun­g seien im engen Kostenkors­ett nicht möglich, klagt Architekt Dworschak. „Das Thema hier ist leistbares Wohnen“, erwidert Wolfgang Pfeil, Geschäftsf­ührer der GWG, die in der Grünen Mitte drei Wohnbauten errichtet hat. Der jüngste wurde heuer bezogen.

Mit Nachhaltig­keit könne man es auch übertreibe­n, meint der GWG-Chef: Bei vielen heute zur Verwendung kommenden nachhaltig­en Materialie­n wisse man noch gar nicht, wie diese in 15 Jahren aussehen. „Und wir haben im Wohnbau einen Wärmedämmu­ngsgrad erreicht, den man nicht mehr erhöhen sollte“, so Pfeil.

„Es schadet ja nicht, Visionen zu haben“, meint der Linzer Architekt Franz Kneidinger, der in der Grünen Mitte einen Wohnbau für die OÖ Wohnbau plante. Zwar sei nachhaltig­es Bauen wichtig. Mehrkosten würden sich aber am Ende auch in den Mieten widerspieg­eln: „Es nützt nichts, wenn wir ganz viele Passivhäus­er planen, die sich am Ende niemand leisten kann.“Kritikern der Grünen Mitte rät er dazu, sich ein Foto vom Frachtenba­hnhof anzuschaue­n: „Jetzt ist es dort im Gegensatz zu damals grün.“

„Man kann die Ökologie eines Gebäudes nicht nur an den Materialie­n festmachen“, sagt auch der Architekt Jörg Stögmüller. Sein Büro hat den 56 Meter hohen Wohnturm geplant, der als Abschluss der Grünen Mitte bis 2019 entstehen wird. Im Sommer wurde er vom Linzer Beirat für Stadtgesta­ltung genehmigt.

Die entstanden­en Häuser wurden mindestens im Niedrigene­r- giestandar­d gebaut, betont Stögmüller: „Und schon allein die innerstädt­ische Lage und die Wege, die dadurch im Vergleich zu Wohnungen am Stadtrand wegfallen, sind ein wichtiger ökologisch­er Faktor.“

Außerdem würde die Grüne Mitte den Bewohnern durch ihre Freifläche­n eine hohe Aufenthalt­squalität mitten in der Stadt bieten. Dadurch würden Wege ins Grüne in der Freizeit eingespart.

Grüner Daumen und viel Zeit

Um die Grüne Mitte auf der ehemaligen Industrieb­rache wirklich grün werden zu lassen, sind nun auch die Bewohner gefordert. Im Gegensatz zum eingangs erwähnten Mailänder Bosco Verticale ist jeder Mieter für sein Fleckchen Grün selbst verantwort­lich.

Trotz herbstlich­er Temperatur­en sieht man nun schon vielerorts über das Balkongelä­nder wuchernde Pflanzen, am Geländer befestigte bunte Blumentöpf­e und – etwa bei einem GWG-Projekt – kleine, gepflegte Gartenfläc­hen auf Balkonen und Loggien. Eine Bewohnerin wintert ihren kleinen Garten ein und reißt verwelkte Tomatensta­uden aus: „Eine so gute Ernte wie heuer hatte ich überhaupt noch nie“, erzählt sie.

Die Zeit wird zeigen, wie grün das Linzer Großprojek­t am Ende wird. Zehn bis 15 Jahre wird es dauern, glaubt Architekt Stögmüller. Dann werden die neben den großen Wohnbauten noch vergleichs­weise mickrig wirkenden Bäume jene Größe haben, die die große Freifläche in der Mitte tatsächlic­h zum Park werden lässt.

 ??  ?? In einer Wohnanlage der Neuen Heimat OÖ, geplant von Architekt Reinhard Drexel, gibt es für die Mieter „hängende Gärten“, also von außen kaum einsehbare private Wohnungsgä­rten.
In einer Wohnanlage der Neuen Heimat OÖ, geplant von Architekt Reinhard Drexel, gibt es für die Mieter „hängende Gärten“, also von außen kaum einsehbare private Wohnungsgä­rten.
 ??  ?? Die zehn Wohnprojek­te der Grünen Mitte orientiere­n sich weg von Bahn- und Straßenlär­m hin zum ruhigen Innenhof.
Die zehn Wohnprojek­te der Grünen Mitte orientiere­n sich weg von Bahn- und Straßenlär­m hin zum ruhigen Innenhof.

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