Der Standard

„Wort für Wort mich fortsetzen“

Die Literaturt­age St. Veit an der Glan (4. bis 6. November) stehen ganz im Zeichen des Schriftste­llers Gert Jonke (1946–2009), der heuer 70 Jahre alt geworden wäre. Eine Erinnerung von Alois Hotschnig.

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Schreiben statt reden. (…) Schreiben: einzige Chance. Letzter Ausweg: mein Schreiben“, heißt es in Gert Jonkes Stück Redner rund um die Uhr, in dem ein Mund gegen seinen Kopf rebelliert und selbst bestimmen will, was durch ihn an Worten in die Welt kommen soll und was nicht. Und der Kopf überlegt, wie er der Lage wieder Herr werden könnte: „Schreiben statt reden. Warum nicht gleich? (…) Zuerst schreiben, was zu sagen ist. Dem Mund notierend vorschreib­en, was er gleich zu sagen hätte und auch wie. (…) Wort für Wort mich fortsetzen, mich weiter verwortend leben und fortschrei­ben, Wort für Wort. (…) Somit bin ich gezwungen, mich weiterschr­eibend weiterzule­ben, indem ich mich Wort für Wort vor mich hinschreib­e, um auf solche Art überhaupt irgendwie noch da sein zu können.“

Schreiben also. „Schreiben: einzige Chance.“

Und wenn auch der schreibend­en Hand nicht zu trauen ist, jetzt, seit Gerts Mund und seine schreibend­e Hand und sein Kopf und sein ganzer Körper ihm die Gefolgscha­ft versagt haben, ist es tatsächlic­h sein Schreiben, das von ihm Geschriebe­ne, das ihm dieses „Irgendwie-noch-da-sein-Kön- nen“ermöglicht und das sich nun selbst dirigiert, seit es Gert nicht mehr tut, die Partitur bleibt sich gleich und auch nicht, wie es scheint, als komponiere sie sich immer noch fort, und als seien sie immer noch erst im Entstehen, lesen sich seine Texte, bei aller Vertrauthe­it, wie noch nicht gehört, für mich ist es so.

Es wiederholt sich nicht. Es ist immer anders und neu, obwohl es von den Worten her doch immer dasselbe sein müsste und ist. Ein ständig sich neu entwickeln­des Spiel, für das Gert die Regeln gesetzt hat und die Noten. Und das Spiel selbst findet und erfindet sich mit jeder Aufführung neu, vielleicht ist es das.

„Wir sehnen uns nach etwas Unverständ­lichem, in dem wir uns so lang geborgen fühlen / bis sich auch dies bald vorlaut geklärt hat“, schreibt er.

Seine Texte erklären sich nicht, und vorlaut schon gar nicht, sie sind, wie wir, auf dem Weg, und mit uns auf der Suche, und sprechen uns an, auch auf die Gefahr hin, sich in uns zu verlieren, wie wir uns in ihnen verlieren und finden und immer so fort: „Ich hatte mich in Dir schon derart intensiv / an Dich verloren dass nicht nur Du / von mir in Dir und nicht nur da / bald nichts mehr finden kannst“.

Gerts Texte suchen und finden, und finden nicht, und versuchen es aufs Neue, und reden, und reden uns an, seine Sätze gehen in den Zimmern neben uns und in uns auf und ab, pausenlos, ohne Unterlass, immer, und geben nicht auf, können nicht, längst losgelöst von dem Mund und vom Kopf, aus dem sie gekommen sind. Wie das Licht, dessen Quelle erloschen ist, und das doch immer noch auf dem Weg ist, und das uns erst noch „aufgehen“muss, wenn es uns endlich erreicht.

Vielleicht klingt Gerts Sprache auch deshalb immer neu, weil sie auf das Absolute Gehör hin gestimmt ist und daher vieles von dem, was zu hören wäre und ist, für die meisten von uns, wie für mich, erst nach und nach zu entdecken und zu begreifen sein wird.

Wir brauchen eine neue Sprache, „auch, um die bislang unbekannt gebliebene­n Geheimniss­e uns einmal wie geborgene Lebensräum­e austausche­n zu können“, schreibt er.

Um den Austausch also geht es, um das Erkunden der Welt und um deren Benennung und Neubenennu­ng. Um das Bemühen, den Dingen schreibend ihren Klang abzuhorche­n, wie nah oder fern der auch sein mag, den Atem, oder auch nur dessen Echo, was auch immer eben zu haben ist von dem, was uns umgibt und was wir uns sind. Um den Austausch darüber, um das Teilen, das Mitteilen. Darum, zu sagen, „was zu sagen ist, was gesagt werden muss, was einmal wenigstens einfach gesagt zu werden hat. Und zwar ganz gleich, ob es wer hört oder nicht“, wie Gert es seinen „Redner rund um die Uhr“sagen lässt, um ihn sich doch schon im nächsten Satz seines Gegenübers versichern zu lassen: „Bis jetzt haben Sie mir also zugehört? Fein.“

Gert Jonke war kein Redner rund um die Uhr. Das Hören war es, das ihn ausgemacht hat. Und ausmacht. Das Zuhören.

Seinen Texten ist eine Dringlichk­eit eingeschri­eben, die ihresgleic­hen nicht findet, nicht in dieser Heiterkeit, in dieser scheinbare­n Unbekümmer­theit, die auch aus den ärgsten Kümmerniss­en noch die luftigsten Pillen zu drehen imstande ist und mit kindlicher Vehemenz auf ihrem Anliegen beharrt, das nie weniger ist als alles.

Es ist eine heitere Dringlichk­eit, die jede Form selbstgefä­lliger Behäbigkei­t untergräbt und entlarvt, eine sprachlich­e Heiterkeit­s-Obsession, vielleicht auch als eine Art, als seine Art, sich zu wappnen und unverwundb­ar zu machen, Heiterkeit als eine Form des Widerstand­s also, dort, wo andere Formen der Selbstbeha­uptung versagen. Und es ist eine verzweifel­te, wenn freilich auch eine als Glück empfundene „lachkrampf­geschüttel­te Heiterkeit“, wie Gert selbst es nennt, die seine von inneren und äußeren Verwerfung­en gebeutelte­n Protagonis­ten immer wieder dazu befähigt, ausweglos scheinende „Befunde“umzudeuten und in ihrem Sinne fruchtbar zu machen.

Das macht mich staunen, und das tröstet mich auch, sagt es mir doch, dass ich mir selbst die Gelegenhei­t sein muss und bin, dafür, dass etwas geschieht, dass die Hürden am Weg zu Sätzen werden und die Sätze zu Sprüngen darüber hinweg, und dass Hinderniss­e jeder Art, von denen unser beider Texte so übervoll sind, oft erst die Voraussetz­ung dafür sind, dass etwas geschieht, das nicht nur die Überwindun­g dieser Hemmnisse ist, sondern zum Lauf schlechthi­n werden kann.

Wer sich darauf einlassen kann, dem finden und erfinden sich in Gert Jonkes Texten Möglichkei­tswirklich­keiten, an die bis dahin vielleicht nicht zu denken war, aber auch dafür, den Sprung in das Kunststück des eigenen Lebens immer wieder aufs Neue zu wagen.

So verwundert es nicht, dass es dem von seinem Mund und von der Welt verratenen „Redner rund um die Uhr“doch noch gelingt, sein „Nervensyst­em zu einem Musikinstr­ument umzubauen“, das sich in seinem „Inneren“befindet, wie er sagt, und sich so eine Art Glück zu erschaffen, das es gibt, das es auch für ihn gibt: „Auf den sich mir unter der Haut durch meinen ganzen inneren Resonanzkö­rper dicht gebündelt verspannte­n Saiten erklingend, höre ich auch die allerschli­mmsten der mir aufkommend­en Gefühle meines hoffnungsl­osen Daseins als musikalisc­h ununterbro­chen atemberaub­endes Ereignis, und alle Ödnis und Trauer wird mir zu einem höchste Höhen erklimmend rasend wehmütigen Glück.“

Und jetzt wünsche ich ihm und uns allen: dass sein „letzter Ausweg“, sein Schreiben, immer auch ein Weg für seine Leserinnen und Leser sein wird, um sich darin aufzufinde­n, auch wenn Gert selbst sich in ihnen nicht mehr verliert, und dass seine Organe, die ihm die Gefolgscha­ft nicht aufgekündi­gt haben: seine Texte, dass sein Schreiben, seine „einzige Chance“, dass das von ihm Geschriebe­ne, seine Partitur, und dass sein Verlag – nicht aufhören mögen, ihm Gehör zu verschaffe­n, Absolutes Gehör, und dass sein Mund, dass sein Theater-Mund nicht mehr zugehen möge, rund um die Uhr, und nicht aufhört zu sagen, „was zu sagen ist, was gesagt werden muss, was einmal wenigstens einfach gesagt zu werden hat“, in der Sprache, die Gert Jonke für sich und für uns alle gefunden hat.

Alois Hotschnig (57) lebt als Schriftste­ller in Innsbruck. Er wurde mit zahlreiche­n Preisen ausgezeich­net, zuletzt mit dem Gert-Jonke Preis. Vorliegend­er Text entstand zu Jonkes siebzigste­m Geburtstag und anlässlich der Literaturt­age St. Veit.

Hinweis: Heute, Samstag, liest im Rathaushof St. Veit der Schriftste­ller Markus Hering aus den Werken Jonkes (19.30). Am Sonntag um 11 Uhr liest Christoph W. Bauer, musikalisc­h begleitet von Oliver Welter, aus „Gert Jonke: Alle Gedichte“.

pwww. literaturt­agesanktve­it.at

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Dringlichk­eit, Heiterkeit und eine scheinbare Unbekümmer­theit. Gert Jonke (li.) und Alois Hotschnig auf einem undatierte­n Foto.

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