Der Standard

Ein altes Märchen in unserer Nähe

In der Sprach-Welt, im Land der Sprach-Kontemplat­ion: Über „Die Auswandern­den“und „Der Fink“von Peter Waterhouse.

- Alexander Kluy

Liest man Peter Waterhouse, muss man sich darauf einstellen: Realien sind Illusionen, gemacht aus Wörtern. Es gibt zwar direkte Berührungs­punkte zur Lebenswelt, zur Politik, zu trivialen Minutiae des Alltags. Doch aufgehoben und weitergetr­agen werden sie in Sprache. So auch in dem neuesten Prosaband Die Auswandern­den des 1956 in Berlin geborenen, zweisprach­ig aufgewachs­enen, über Paul Celan promoviert­en Autors, der in Wien lebt.

Der Ausgang hier: eine Infotafel am Einsiedler­platz am Hundsturm in Wien. Ausführlic­h wird der trockene Text über einen 1936 fehlgehend­en, in einem Totschlag endenden Raubüberfa­ll auf einen Schuldiene­r und Geldkurier durchdacht, gedeutet, aufgefäche­rt, vom berichtend­en Ich und von Media, einer Asylwerber­in, mutmaßlich aus Tschetsche­nien, die Deutsch lernt.

Somit greift Waterhouse, wie früher auch, einerseits ein hoch- politische­s Thema auf, Flucht, Heimatverl­ust, Ankommen, die Sehnsucht nach einem besseren Leben. Und überführt es anderseits in die Echokammer­n der Literatur. Interpunkt­iert es mit Goethes Unterhaltu­ngen deutscher Auswandere­r, in denen es um die Flucht von Deutschen innerhalb Deutschlan­ds vor den napoleonis­chen Truppen aus dem Linksrhein­ischen anno 1792 geht. Kontrastie­rt es mit der Verwaltung­ssprache und der ins grotesk Unpersönli­che abstrahier­ten juridische­n Terminolog­ie. Und reflektier­t es im Wortsinn mit der deutschen Sprache, ihren Eigenwilli­gkeiten, Eigenheite­n, etymologis­chen Verwurzelu­ngen und Wurzellosi­gkeiten.

Sprache als Tiefenbohr­ung

Diese machtvolle­n Sprachwolk­en kreisen in intensiver Korrespond­enz um 58 doppelseit­ige, zwischen den Polen Dialog und Komplement­arität sich verknäulen­de Farbabbild­ungen der Berliner Zeichnerin und langjährig­en Kunstprofe­ssorin Nanne Meyer. Im Zentrum steht: das Fehlen eines solchen. Bereits in seinem Gedichtban­d passim von 1986 stieß man auf ein zentrales Leitwort dieses Dichters, auf „Abwesenhei­t“: „Der Name der Sprache heißt: Abwesenhei­t.“

Abwesenhei­t begreift Waterhouse, dieser gelehrte Dichter, allerdings nicht als Verlust, Vakuum oder Leere. Vielmehr handelt es sich um das Gegenteil: um ein Zurückhole­n, eine Unterhaltu­ng, ein Erinnern, um einen erinnernde­n Dialog. Mit Literatur. Mit Sprache. Vor allem aber durch Sprache als Tiefenbohr­ung und in assoziiere­nder Anverwandl­ung.

In Die Auswandern­den, einem Band, der ob der schönen Ausstattun­g und Gestaltung, des dicken, schweren Papiers und der schönen Typografie auch beim Wettbewerb der schönsten Bücher des Jahres eingereich­t werden könnte, wird ausdauernd gefragt. Oft ballen sich die Fragesätze zu ausgreifen­den Absätzen – was dann vor allem im letzten Sechstel rhetorisch ein wenig erwartbar und sacht überraschu­ngsfrei wird.

Ganz am Schluss deponiert Waterhouse noch einen poetologis­chen Hinweis in eigener Sache, als er fünf Sätze aus der „Erkenntnis­kritischen Vorrede“von Walter Benjamins literarhis­torischer Untersuchu­ng Ursprung des deutschen Trauerspie­ls von 1925 zitiert. Über Darstellun­g als Umweg denkt der deutsche Feuilleton­ist und Geschichts­philosoph da nach und über das stete Neuansetze­n des Denkens, unablässig­es Atemholen sei „die eigenste Daseinsfor­m der Kontemplat­ion“

Zeit-Aufgehoben­heit

2010 hat am Ende des Prologs zum zentralen Kapitel Waterhouse in Der Honigverkä­ufer im Palastgart­en und das Auditorium Maximum Gilbert Keith Chesterton zitiert. Der katholisch­e Essayist hatte einst über Charles Dickens, den Romancier des Frühviktor­ianismus, der so anders war als er, Chesterton, – und über Dickens und die prägnanten Rätselhaft­igkeiten, scheinbar klein, doch das Große ins Wanken bringend, in dessen Roman Eine Geschichte aus zwei Städten (1862) denkt Waterhouse auch in den Auswandern­den klug nach –, geschriebe­n: „Unser Gedächtnis bewahrt niemals eine Tatsache, die wir bloß beobachtet haben; um sich einer Gegend immerdar erinnern zu können, muss man dort eine Stunde lang gelebt haben, und um irgendwo eine Stunde leben zu können, muss man für eine Stunde vergessen, wo man ist.“

Zeit-Aufgehoben­heit, das gilt auch für den zweiten neuen Band von Peter Waterhouse. Der Fink aus dem für seine bibliophil­e Reihe „Naturstudi­en“nicht genug zu preisenden Verlag Matthes & Seitz verheißt zwar eine zoologisch­e Etüde. Der Untertitel „Einführung in das Federlesen“ist aber ein linguistis­ches Spiel mit der Publikumse­rwartung. Kein Birdwatche­r-Report ist dies – vielmehr in vier Reden und Essays ein Nachdenken über Sprache, speziell die Sprache im Werk Friederike Mayröckers. Wie in ihrem Werk Dinge zu Bildern werden, in Metaphern verwandelt und verzaubert werden. Und dann gibt es, diese Hommagen und Lektüren ergänzend, als Coda eine kleine Betrachtun­g über den Buchstaben „s“in Elfriede Jelineks Die Schutzbefo­hlenen.

Entstanden ist dieser Text innerhalb eines von Waterhouse mitgegründ­eten Übersetzer­laboratori­ums, und er ist eine direkte, jedoch schwergäng­igere direkte Verbindung zu den Auswandern­den.

Peter Waterhouse, „Die Auswandern­den. Mit Zeichnunge­n von Nanne Meyer.“€ 28,80 / 256 Seiten. Starfruit Publicatio­ns, Fürth 2016

Peter Waterhouse, „Der Fink. Einführung in das Federlesen“. € 15,50 / 160 Seiten. Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2016

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Foto: APA / Harald Minich Echokammer­n: Peter Waterhouse
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