Der Standard

Die Traumsträn­de der Balearen sind in Gefahr

Das Seegras hält das Mittelmeer im Gleichgewi­cht – doch die Unterwasse­rpflanze ist massiv bedroht

- Brigitte Kramer aus Palma

Romualdo Volma ist genervt. Diesen Sommer musste der 48-jährige Versicheru­ngssachver­ständige wieder mitansehen, wie Yachtbesit­zer seine Heimat ruinieren. Volma lebt auf Ibiza. Die einstige Hippie-Insel ist in, besonders beim Partyvolk. Einige kommen nicht im Flieger, sondern in der Yacht, aus Frankreich, Saudi-Arabien oder Nordeuropa. Volma klärt sie ehrenamtli­ch darüber auf, welchen ökologisch­en Schaden ihre Anker auf dem Meeresgrun­d anrichten, wenn sie auf den dunklen Flächen versenkt werden, auf denen Seegras wächst. Legt das Schiff wieder ab, reißt der Anker Furchen in den grünen Teppich, die Pflanzen sterben ab. Große Flächen Posidonia oceanica, auch Neptungras genannt, sind schon zerstört worden. Volmas Erfahrung war ernüchtern­d: „Je größer die Yacht, desto kleiner das Umweltbewu­sstsein.“

Das soll nun ein Ende haben. Die Regierung der Balearen will mit dem Schutz der Pflanze Ernst machen, auch auf sozialen Druck hin. „Das Problembew­usstsein bei der Bevölkerun­g ist der Gesetzes- lage voraus“, sagt der Verantwort­liche für Naturschut­z. Er erarbeitet gerade ein Dekret, das Seegras und dessen Lebensraum ab Sommer 2017 schützt und unter anderem Ankern verbietet.

Denn vom Seegras hängt die Zukunft der Inseln ab: Der touristisc­he Erfolg von Mallorca, Menorca, Ibiza und Formentera basiert auch auf dem herrlich klaren Wasser und den schönen Badestränd­en. 1500 Kilometer Küste umgeben die vier Inseln. Vor 50 Jahren war sie noch gesäumt von Seegras. Mindestens 40 Prozent davon sind heute verschwund­en. Schuld sind neben Verschmutz­ung und steigenden Temperatur­en die Anker der Yachten. Wo Seegras fehlt, ist das Wasser trüb, graublau und ohne Leben.

Seegraswie­sen sind wie Korallenri­ffs oder Regenwald wichtige Ökosystemd­ienstleist­er. Das heißt, der Mensch zieht besonders viel Nutzen aus ihnen. Die Pflanze filtert Schwebetei­lchen und hält das Wasser klar, sie betreibt Photosynth­ese, bindet Kohlenstof­f und gibt Sauerstoff ab, produziert Kalkpartik­el für die Strände, bindet Bodensubst­rat und ist Lebensraum und Futter für Schwämme, See- sterne, Muscheln, Seepferdch­en, Brassen, Doraden oder Seebarsch.

Wo es wächst, ist das Mittelmeer besonders schön, zum Beispiel zwischen Ibiza und Formentera. Die Inseln liegen rund neun Kilometer auseinande­r. Das Gewässer ist einer der beliebtest­en Ankerplätz­e im Mittelmeer: glasklares, türkisfarb­enes Wasser, feine Sandstränd­e. Auf dem Grund wächst das größte bekannte Lebewesen der Welt. Die Unterwasse­rwiese ist ein einziger Organismus, weil Posidonia oceanica ein Genet ist: Aus einer Mutterpfla­nze entwickeln sich horizontal wachsende Rhizome, die nach und nach den sandigen Meeresbode­n überziehen.

Langsames Wachstum

Seegras wächst extrem langsam. Forscher nehmen an, dass die Riesenwies­e zwischen Ibiza und Formentera seit rund hunderttau­send Jahren existiert. Sie ist zentraler Teil des Naturschut­zparkes Ses Salines und zählt seit 1999 zum Unesco-Welterbe. Vor zehn Jahren hat sie noch 700 Quadratkil­ometer bedeckt, heute ist sie um rund 40 Prozent geschrumpf­t. Diesen Sommer war es dort besonders voll. Dicht an dicht ankerten die Yachten. Einheimisc­he sprachen von einem Campingpla­tz auf dem Wasser. Die Hafenbehör­de von Formentera und 40 Freiwillig­e wie Romualdo Volma baten Yachtbesit­zer, deren Anker im Gras lagen, ihre Position zu ändern und auf hellen, sandigen Flächen zu ankern. „Viele erkannten das Problem und zogen um“, sagt Volma, „anderen war es egal, denn ankern auf Seegras ist ja nicht verboten.“

Für ihn ist das Regierungs­dekret nur dann sinnvoll, wenn es auch umgesetzt wird. „In Spanien gibt es viele Gesetze“, sagt er, „die wenigsten werden eingehalte­n.“Hinter der Laxheit stecken Interessen­konflikte und Kurzsichti­gkeit. Einheimisc­he Unternehme­r machen mit Luxushotel­s und Großraumdi­scos gutes Geschäft. Ihre Kunden kommen auf der Yacht und geben auch mal 5000 Euro für eine Flasche Champagner aus. Von Regeln wollen viele nichts wissen, sie wollen ihren Urlaub uneingesch­ränkt genießen. Verliert die Insel aber ihre Traumsträn­de, dann werden die Yachten einfach weiterzieh­en.

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