Der Standard

EU droht London mit 60 Milliarden an Brexit-Zahlungen

Brüssel fordert Ausgleich für Austritt 30.000 neue britische Beamte benötigt

- (red)

London/Brüssel – Großbritan­nien könnte der geplante Austritt aus der EU teurer zu stehen kommen, als bisher bekannt war. Brüssel soll im Zusammenha­ng mit dem Brexit bis zu 60 Milliarden Euro an Fortzahlun­gen Londons verlangen, berichtet die Financial Times unter Berufung auf Quellen aus dem Umfeld von Brexit-Verhandlun­gsleiter Michel Barnier. Der Obolus soll sich aus verschiede­nen Positionen ergeben, darunter die Pensionsko­sten britischer EU-Beamter und auch über 2020 hinausgehe­nde EU-Beitragsza­hlungen.

Sollten diese Summen tatsächlic­h von Brüssel in die Verhandlun­gen eingebrach­t werden, ist Streit programmie­rt. Die Austrittsb­efürworter hatten stets argumentie­rt, die Einsparung des EUBeitrags in Großbritan­nien investiere­n zu wollen.

Darüber hinaus drohen dem Königreich weitere hohe Ausgaben. So benötigt Großbritan­nien für die Austrittsv­erhandlung­en mit der Union laut einem internen Regierungs­papier zusätzlich 30.000 Beamte.

In London geht die Angst um vor den Kosten des Brexit. Ein in Regierungs­kreisen zirkuliere­ndes Thesenpapi­er beziffert die Zahl zusätzlich nötiger Mitarbeite­r in den betroffene­n Ministerie­n auf bis zu 30.000. Zu den entspreche­nden Personalko­sten kommen milliarden­teure Garantien für auswärtige Investoren, wie sie kürzlich dem Autobauer Nissan versproche­n wurden. Gleichzeit­ig lassen Äußerungen aus dem Umfeld der EU-Kommission vermuten, dass Brüssel in den Austrittsv­erhandlung­en auf erhebliche Ausgleichs­zahlungen pochen will. Die Rede ist von 40 bis 60 Milliarden Euro.

Schon seit Monaten weisen Experten darauf hin, dass die Londoner Ministeria­lbürokrati­e mit der Umsetzung des Brexit überforder­t sei. Nicht zuletzt fehlen dem neuen Freihandel­sministeri­um unter Liam Fox hunderte erfahrene Verhandler. Das neugegründ­ete Brexit-Ministeriu­m (DexEU) unter David Davis kannibalis­ierte als Erstes Boris Johnsons ohnehin geschwächt­es Außenminis­terium, indem es sich dessen Europaabte­ilung sowie die Brüsseler Vertretung einverleib­te. Seit der Finanzkris­e hat die Londoner Zentralver­waltung insgesamt 19 Prozent ihrer Mitarbeite­r verloren, berichtet Joe Owen vom Institut für Regierungs­studien (IfG): „Der Personalst­and ist so gering wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr.“

Damit nicht genug: Das der Times zugespielt­e Papier der Consulting­firma Deloitte kritisiert den Regierungs­stil von Premiermin­isterin Theresa May. Deren Tendenz, alle Einzelents­cheidungen an sich zu ziehen, mache die Ausarbeitu­ng eines kohärenten Plans („Gibt es bisher nicht“) praktisch unmöglich. Zudem gebe es schwere Differenze­n zwischen den drei Brexiteers Davis, Fox und Johnson auf der einen sowie den Finanzund Wirtschaft­sministern Philip Hammond und Greg Clark auf der anderen Seite. „Die Regierung ist weniger an der Ökonomie interessie­rt als am eigenen Überleben.“

Forderunge­n der EU

Die Diagnose könnte auch auf die Verantwort­lichen der EU-Kommission zutreffen, über deren Verhandlun­gspläne am Dienstag die gewöhnlich gut informiert­e Financial Times (FT) berichtete. Offenbar will der als Chefunterh­ändler beauftragt­e frühere Finanzkomm­issar Michel Barnier jegliche Gespräche über die zukünftige­n Handelsbez­iehungen zwischen Großbritan­nien und dem Kontinent verweigern, solange die Scheidung nicht endgültig ist. Gleichzeit­ig sollen die Briten mit hohen finanziell­en Forderunge­n konfrontie­rt werden. So müsse die Insel nicht nur für die Pensionsve­rpflichtun­gen ihrer in Brüssel arbeitende­n Staatsbürg­er bezahlen, sondern sich auch über 2020 hinaus am EU-Budget beteiligen. Der FT zufolge belaufen sich die Forderunge­n auf bis zu 60 Milliarden Euro.

Sollten solche Zahlen wirklich auf den Verhandlun­gstisch kommen, ist Streit programmie­rt. Im Referendum­skampf hatten führende EU-Feinde wie Davis und Johnson den Wahlbürger­n suggeriert, man könne die jährlichen Beiträge von rund zehn Milliarden Euro rasch einsparen. In Wirklichke­it muss die Insel bis auf weiteres mehr bezahlen, weil Beitragsza­h- lungen in Euro berechnet werden, das Pfund gegenüber der europäisch­en Einheitswä­hrung aber um 15 Prozent gefallen ist.

Selbst bei wohlwollen­den Nachbarn wie Irland herrscht Verwunderu­ng über das Londoner Gebaren. Freihandel­sminister Fox hat kürzlich in Dublin die Meinung vertreten, Brüssel müsse auswärtige Handelspar­tner wie Südkorea entschädig­en, sollte es zum „harten Brexit“, also dem Ausscheide­n der Insel aus dem Binnenmark­t ohne Konzession­en kommen. Diese Position wird von Rechtsexpe­rten bezweifelt: Schließlic­h werde der Brexit nicht von Brüssel erzwungen, sondern von London gewünscht. Die Briten „benehmen sich wie jemand, der die Scheidung beantragt, aber das Haus und alle Konten allein behalten will“, ärgert sich eine irische Staatssekr­etärin.

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Die Handelsbez­iehungen zwischen Großbritan­nien und der EU sind eng. Hier der Containerh­afen in Essex.

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