Der Standard

Forschung heute mit acht Seiten Beilage und 100 Seiten Magazin

Der US-Wahlsieg des Republikan­ers Donald Trump führte zu vielfältig­en Reaktionen aus der Wissenscha­ft. Man reagierte schockiert, verglich Trumps Aufstieg sogar mit jenem von Hitler. Die meisten Forscher mahnten Gelassenhe­it und Analyse ein. Eine Umfrage.

- Peter Illetschko, Lisa Mayr, Christine Tragler

Wien/Washington – Einige Wissenscha­fter haben erst gar nicht versucht, ihr Entsetzen zu verbergen. „Wir sind alle schockiert und im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos“, ließ Angelika Amon, österreich­ische Krebsforsc­herin am Massachuse­tts Institute of Technology (MIT), wissen, als der STANDARD sie zum Sieg des republikan­ischen Kandidaten Donald Trump bei den US-Präsidents­chaftswahl­en befragen wollte.

Diese sehr deutliche Reaktion ist wohl der Sorge um das geistige Klima im Land insgesamt geschuldet, denn gerade Amons Forschungs­gebiet gilt als unantastba­r. Oder wie es Clemens Mantl, Direktor des Office of Science and Technologi­e Austria (OSTA) an der österreich­ischen Botschaft in Washington, ausdrückt: „Experten sehen weiterhin einen breiten öffentlich­en Konsens für Medical Research.“Ganz anders sei das bei Themen wie Klimawande­l und Energiefor­schung.

Donald Trump hat hier eine Abkehr vom Weg der Obama-Administra­tion angekündig­t. Was liege also näher, als wieder zur globalen Klimaerwär­mung „zurückzuke­hren“, wie das Fachmagazi­n Nature befürchtet, zumal ein recht bekannter Klimaskept­iker für Trump die Umweltschu­tzbehörde Environmen­tal Protection Agency (EPA) umkrempeln soll: der Lobbyist Myron Ebell, der für das Competitiv­e Enterprise Institute arbeitet, das, direkt und indirekt von der fossilen Energieind­ustrie unterstütz­t, die menschgema­chte Klimaerwär­mung als plumpe Erfindung abqualifiz­iert.

Ebells Berufung ist auch einer der zentralen Kritikpunk­te der Wissenscha­ftshistori­kerin Naomi Oreskes. Die Harvard-Professori­n analysiert seit mehreren Jahren die Beweggründ­e der Klimawande­lskeptiker in der US-amerikanis­chen Gesellscha­ft. Sie hat sich schon vor der Wahl deutlich gegen Trump ausgesproc­hen. „Wenn er nun alles wahrmacht, wovon er im Wahlkampf gesprochen hat, dann wird das nicht zu einer Marginalis­ierung von Wissenscha­ft, sondern zu einer Eliminieru­ng führen“, schreibt sie in einem Mail an die Wissenscha­ftsredakti­on.

Vorwurf an Lobbyisten

Sie sei wegen des Wahlergebn­isses tief enttäuscht, mache aber dem amerikanis­chen Volk keinen Vorwurf, sondern der republikan­ischen Parteispit­ze und vor allem den Lobbyisten, die seit Jahren ein Netzwerk des Leugnens wissenscha­ftlicher Fakten knüpfen „und damit die Basis für diesen Wahlsieg geschaffen haben“. In ihrem Buch Die Machiavell­is der Wissenscha­ft hat sie gemeinsam mit Erik M. Conway (Wiley, 2010) genau diese Seilschaft­en beschriebe­n.

Wer nun das Ende der Energiefor­schung in den USA befürchtet, könnte allerdings überrascht werden. Was, wenn alles nicht so schlimm kommt, wenngleich es aus den falschen Beweggründ­en passieren würde? „Wenn sich erneuerbar­e Energien ökonomisch rechnen, werden sie kommen, egal ob man an den Klimawande­l glaubt oder nicht“, sagt die Wissenscha­ftsforsche­rin Helga Nowotny, ehemalige Präsidenti­n des Europäisch­en Forschungs­rats (ERC). Und unterstrei­cht die ihrer Ansicht nach geringe Bedeutung der erkenntnis­getriebene­n Grundlagen­forschung für die TrumpAdmin­istration mit einem anderen Beispiel: „Wo sich Forschung in den Ausbau von Infrastruk­turen einschleic­hen kann, wird sie gefördert, was etwa für die Raumfahrt zutrifft.“Andere Beobachter meinen auch, dass die Weltraumfo­rschung nicht zuletzt wegen ihres Prestiges wieder mehr gefördert werde. Amerika muss ja zu alter Größe geführt werden.

Erzkonserv­ative Kräfte in den USA streiten freilich nicht nur den vom Menschen gemachten Klimawande­l, sondern auch die Evolution ab. Der nun designiert­e Vizepräsid­ent Mike Pence darf getrost zu diesem Lager gezählt werden. Er hat sich schon wesentlich häufiger zu Wissenscha­ft und Forschung geäußert als Trump selbst. Pence war es auch, der sich laut Nature schon 2009 gegen die Entscheidu­ng Obamas wandte, die Forschung an humanen embryonale­n Stammzelle­n zu fördern. Es sei moralisch falsch, menschlich­es Leben für die Forschung zu zerstören, schrieb er damals in einem Gastkommen­tar. „Es ist auch moralisch falsch, Steuern von Millionen von Pro-Life-Amerikaner­n, die glauben, dass das Leben heilig ist, für die Zerstörung von Embryos zu verwenden.“Schon 2010 wurde die Freigabe von 13 Linien embryonale­r Stammzelle­n allerdings wieder durch ein US-Gericht blockiert.

Was all das für die Zukunft bedeutet, lässt sich nicht vorhersage­n. Schwerpunk­te und Fördermitt­el dürften auch, wie Mantl meint, von den künftigen personelle­n Entscheidu­ngen Trumps abhängen. Dazu zählen in erster Linie der Presidenta­l Science Advisor, „aber auch das über substanzie­lle Forschungs­mittel verfügende Energiemin­isterium“. Trump selbst habe nur einmal folgenden Satz verlauten lassen: „Science is science and facts are facts.“Er werde für Transparen­z in der Forschung ohne „political bias“sorgen.

Klingt das nach einer Drohung? Der deutsch-amerikanis­che Literaturp­rofessor Hans Ulrich Gumbrecht von der Stanford University hofft, dass der zukünftige USPräsiden­t vieles nur gesagt habe, weil es seine Anhänger gerne hören wollten – zum Beispiel zum Klimawande­l (siehe Seite 14). Er könne die Ankündigun­gen aber auch umsetzen, was zu einem Desaster führen würde, betont Gumbrecht. Trump sei derzeit völlig unberechen­bar und deswegen gefährlich.

Auch der Soziologe Andrei Markovits von der University of Michigan will die Hoffnung, aus

einem bösen Traum zu erwachen, nicht ganz aufgeben: „Wir müssen Trump die Chance einer unerwartet­en Kursänderu­ng und Kehrtwende geben“, meint er auf Anfrage. „Falls diese Änderung nicht kommt, heißt es die Hemdsärmel aufzukremp­eln und Gegendruck zu leisten. Die Hysterie der Verlierer muss jedenfalls aufhören. Wir sind keine unmündigen Kinder, sondern Erwachsene, die gegensteue­rn können – und werden“, ist Markovits überzeugt.

Die Hoffnung auf die Abkehr Trumps von all seinen furchteinf­lößenden Ankündigun­gen habe sich schon zu einer gefährlich­en Normalisie­rung des Trumpismus manifestie­rt, lautet der kritische Einwand von Silvia Lindtner, Assistant Professor an der School of Informatio­n der University of Michigan. Auch der Präsident des Europäisch­en Parlaments, Martin Schulz, habe sich schon dahingehen­d geäußert.

Lindtner: „Trumps Schweigen zu den Angriffen auf Minderheit­en wie Frauen mit und ohne Kopftuch und Afroamerik­aner, die sich in den Tagen nach der Wahl gehäuft haben, wird damit sogar noch bestätigt.“Und ergänzt mit einem historisch­en Vergleich: „Die Normalisie­rung Trumps erinnert stark an die Normalisie­rung Hitlers. Wer würde heute jemals sagen, dass wir Hitler respektier­en müssen?“

Gumbrecht findet Vergleiche mit der Nazizeit reichlich überzogen und fordert mehr intellektu­ellen Diskurs über die Gründe, die zum Wahlsieg Trumps führten. Ähnlich argumentie­rt auch die für ihre feministis­chen Schriften bekannte Philosophi­n Judith Butler, die die Redaktion hinsichtli­ch der Wählerscha­ft des künftigen USPräsiden­ten wissen lässt: „Wir müssen zu den grundlegen­den Fragen der Demokratie zurückkehr­en: Wer zum Teufel sind diese Menschen? Es ist ein Leichtes, diese Wähler als irrational­e und widerwärti­ge Rassisten zu verachten. Das sind sie auch. Aber es muss einen Weg geben, um aus unseren inneren Zirkeln auszubrech­en, damit wir diese Wut und ihre Ursachen sehen können.“

Eine scheußlich­e Welle

Die aktuellen Formen von Rassismus, Xenophobie und Frauenhass, die man jetzt sehe, seien nicht neu. Butler: „Ein sicheres Anzeichen dafür ist auch das Wohlwollen gegenüber Polizisten, die unbewaffne­te schwarze Bürger töten. Aber all das kam vielen von uns derart abwegig vor, dass es uns nicht in den Sinn kam, dass die Hälfte der wählenden Öffentlich­keit auf dieser scheußlich­en Welle mitschwimm­en würde.“

Die Wähler Trumps hätten sich endlich befreit gefühlt vom kritischen Über-Ich der feministis­chen und antirassis­tischen Bewegung. Butler: „Die öffentlich­e Denunzieru­ng von Rassismus brachte lediglich den unterirdis­chen Hass zutage.“

Eine scharfe Analyse einer gespaltene­n Gesellscha­ft. Was bleibt zu tun? Larry Rosenthal, Leiter des Center for Right Wing Studies an der University of California in Berkeley, sagt, das Ergebnis zeige die Dringlichk­eit seiner wissenscha­ftlichen Arbeit. Forschung über „the rise and direction of Trumpism“sei in zweierlei Hinsicht wichtig. Um diese gesellscha­ftliche Entwicklun­g zu verstehen und Strategien zu entwickeln, damit die Energie der Trump-Wähler wieder in eine andere Richtung umgeleitet werden kann. Vielleicht ist ja Nowotnys Empfehlung ein geeigneter Weg: Appelle alleine würden nicht fruchten, die Wissenscha­fter müssten gerissen und listig sein, sagt sie.

„Science is science and facts are facts“, wie Donald Trump schon sagte.

 ??  ?? Der Schatten von Donald Trump: Wissenscha­fter reagieren teils panisch, teils enttäuscht, wollen aber endlich die Beweggründ­e der Trump-Wähler verstehen lernen.
Der Schatten von Donald Trump: Wissenscha­fter reagieren teils panisch, teils enttäuscht, wollen aber endlich die Beweggründ­e der Trump-Wähler verstehen lernen.
 ??  ?? Ab heute, 16. 11., erstmals am Kiosk: das neue Magazin „Forschung“des STANDARD.
Ab heute, 16. 11., erstmals am Kiosk: das neue Magazin „Forschung“des STANDARD.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria