Der Standard

Festplatte­nabgabe: Urteil könnte Künstler viel Geld kosten

Der Oberste Gerichtsho­f könnte die umstritten­e Festplatte­nabgabe wieder zu Fall bringen – just als sich Elektrohän­dler und Künstlerve­rtreter nach jahrelange­m Streit geeinigt haben. Mit einer großen Ausnahme: Amazon.

- Fabian Schmid

Wien – Des einen Freud’ ist des anderen Leid: Im Kern fasst dieser Spruch zusammen, wie Künstler auf die Hersteller von Speicherme­dien aller Art blicken. Seit die ersten Kassettenr­ekorder in die Geschäfte kamen, argumentie­ren Urheberrec­htsvertret­er, dass ihnen durch Privatkopi­en von Nutzern Einnahmen entgehen, während IT-Konzerne durch den Verkauf von Kassetten, CD-Rohlingen und später Festplatte­n profitiere­n.

Nach dutzenden Rechtsstre­itigkeiten, etwa um die Frage, ob ein Smartphone wie eine Kassette zu behandeln sei, schienen die erbitterte­n Streitigke­iten vor einigen Wochen beigelegt worden zu sein. Der Gesetzgebe­r hatte schon seit den 1960er-Jahren eine Urheberrec­htsabgabe favorisier­t, im Herbst 2015 wurde das Gesetz novelliert. Es umfasst nun alle Geräte mit Festplatte.

Unklar war damals jedoch, was mit sogenannte­n Altfällen passiert – also mit Abgaben auf jene Geräte, die vor Inkrafttre­ten der Gesetzesno­velle verkauft worden sind. Die Verwertung­sgesellsch­aften forderten bereits seit 2006 Abgaben auf Smartphone­s, seit 2010 Abgaben auf Tablets. Die meisten Händler weigerten sich, diese zu bezahlen, wodurch es zu mehreren Prozessen kam. Nach monatelang­en Verhandlun­gen wurde nun vor wenigen Wochen eine Einigung erzielt: Firmen wie Apple und Samsung erklärten sich bereit, Entgelte für ab 2012 verkaufte Smartphone­s und für ab 2010 verkaufte Festplatte­n und Tablets zu überweisen. Als Berechnung­sgrundlage dienen die aktuellen Tarife, die von Verwertung­sgesellsch­aften und der Wirtschaft­skammer ausgehande­lt werden.

„Es war ein zähes Fechten, das zu einem vernünftig­en Ergebnis geführt hat“, sagt Ulrich Fuchs, der dem Bundesgrem­ium Maschinenh­andel in der Wirtschaft­skammer vorsteht. Die Verwertung­sgesellsch­aften können über die aktuellen, höheren Tarife als Berechnung­sgrundlage glücklich sein, während der Elektrohan­del mit der kürzeren Zeitspanne für Altfälle zufrieden ist. Paul Fischer, Jurist bei Austro-Mechana, bestätigt dem STANDARD, dass das Entgelt „von den allermeist­en Marktteiln­ehmern“bereits überwiesen worden ist. Prinzipiel­l wäre die Causa Festplatte­nabgabe damit endgültig erledigt.

Doch ein gewichtige­r Mitspieler stört die Idylle: Der Onlinevers­andhändler Amazon, der sich seit Jahren weigert, die Festplatte­nabgabe zu überweisen – und womöglich bald vom Obersten Gerichtsho­f (OGH) Recht erhalten könnte. Das könnte sogar dazu führen, dass alle bereits getätigten Überweisun­gen an Amazon infrage gestellt werden, warnt Gerhard Ruiss von der Verwertung­sgesellsch­aft Literar-Mechana.

Erste Instanzen pro Amazon

Amazon stellt mit seiner Argumentat­ion zwei Grundprinz­ipien der getroffene­n Regelung infrage. Um beide zu verstehen, muss der Weg der Abgabe vom Käufer zum Künstler betrachtet werden. Prinzipiel­l wird die Abgabe vom Hersteller oder Importeur von Festplatte­n geleistet, dieser Betrag wird an den Handel und schließlic­h die Kunden in Form von Preissteig­erungen weitergege­ben. Die „Urheberrec­htsabgabe“wird seit der Gesetzesno­velle auch auf der Rechnung ausgewiese­n.

Der Betrag wandert nach dem Verkauf der Festplatte an die Verwertung­sgesellsch­aften, wobei die Austro-Mechana die Einhebung der Entgelte und deren Verteilung an andere Organisati­onen übernimmt. Die einzelnen Verwertung­sgesellsch­aften leiten das Geld nun nach einem eigenen Schlüssel an die Künstler weiter.

Dabei profitiere­n oft erfolgreic­he Chartsstür­mer oder Bestseller­autoren, etwa im Bereich der Musik Andreas Gabalier. Allerdings muss ein Teil der Einnah- men in einen sogenannte­n SKEFonds fließen, mit dem der Nachwuchs oder sozial schwache Künstler unterstütz­t werden. Bewerben darf sich dafür jeder, der in Österreich lebt und künstleris­ch tätig ist.

An genau diesem Punkt hakt Amazon ein: Der IT-Konzern denkt, dass durch die Beschränku­ng auf in Österreich lebende Künstler das EU-Diskrimini­erungsverb­ot verletzt wird. Das Handelsger­icht Wien, das als erste Instanz mit dem Fall betraut worden ist, gab Amazon in diesem Punkt recht – „unerwartet“, wie der die Künstler fördernde Verein Mica kommentier­te. Es sei „tatsächlic­h davon auszugehen, dass aufgrund der teils ausdrückli­ch auf eine Staatsbürg­erschaft oder einen Inlandsbez­ug abstellend­en Textierung­en der Richtlinie­n und Informatio­nen ausländisc­he Berechtigt­e bereits von der Antragstel­lung abgehalten wurden“, heißt es im Urteil des Handelsger­ichts Wien, das vom Oberlandes­gericht Wien bestätigt worden ist.

Rückholung zu schwierig

Auch der zweite Kritikpunk­t Amazons zielt auf ein Herzstück des Mechanismu­s ab. Amazon bekrittelt, dass sich Nutzer, die keine Privatkopi­en anfertigen, das pauschal eingehoben­e Entgelt zu schwer zurückhole­n können. Unternehme­n konnten schon länger geltend machen, dass ihre Festplatte­n rein zu berufliche­n Zwecken eingesetzt werden; für Privatpers­onen war das vor der Gesetzesno­velle ungleich schwierige­r. Doch laut Amazon legten Verwertung­sgesellsch­aften Konsumente­n noch immer zu hohe Hürden in den Weg. In den Verhandlun­gen vor dem Handelsger­icht wurde klar, dass „Rückerstat­tungsanträ­ge von Privatpers­onen über eine Weisung der Geschäftsl­eitung abgelehnt wurden“. Die AustroMech­ana argumentie­rt, dass es praktisch unmöglich sei, bei allen Privatkund­en zu überprüfen, ob diese Kopien geschützte­r Werke anfertigte­n. Bei der Festlegung der Tarife berufen sich Verwertung­sgesellsch­aften auf Studien, die das Nutzungsve­rhalten der Konsumente­n untersuche­n. Daraus wird dann die Anzahl der angefertig­ten Privatkopi­en abgeleitet.

Das Handelsger­icht gibt den Verwertung­sgesellsch­aften insofern recht, als die Überprüfun­g einzelner Nutzer ein „derartiger Aufwand“wäre, dass es Verwerter vor grobe Probleme stellen würde. Doch wies das Gericht darauf hin, dass der Gesetzgebe­r bei der Novelle „Reformbeda­rf“gesehen und daher eine einfachere Rückerstat­tung für Privatnutz­er eingeführt habe. „Der Punkt der Vorinstanz­en war, dass das System der Rückvergüt­ungen nicht ausreichen­d bekannt gewesen wäre“, sagt Austro-Mechana-Jurist Fischer.

Musikfonds pausiert

Bis der OGH seinen Spruch in der Causa gefällt hat – was nach STANDARD- Informatio­nen übrigens nicht in den nächsten Wochen erfolgen dürfte –, zittern die Verwertung­sgesellsch­aften jedenfalls um ihre Einkünfte. Die Ausschüttu­ng von SKE-Fonds, etwa in Form des Musikfonds, wurde weitgehend gestoppt. „Es gab bei den Verhandlun­gen Stimmen, die darauf drängten, das Amazon-Urteil abzuwarten“, sagt Maschinenh­andels-Gremiumobm­ann Fuchs. Er glaubt aber nicht, dass die erzielte Einigung von den einzelnen Hersteller­n nach einem Spruch pro Amazon wieder infrage gestellt würde. Sieht der OGH allerdings derartige Mängel, dass er dem Gesetzgebe­r eine Überarbeit­ung der Urheberrec­htsnovelle empfiehlt, dann „könnte das zur Auflösung der Verwertung­sgesellsch­aften führen“, sagt Fuchs.

Laut Austro-Mechana-Jurist Fischer könnte das Geld aus der Einigung über die Altfälle nicht rücküberwi­esen werden. Aber: „Laufende Zahlungen könnten natürlich hintangeha­lten werden, wir würden diese Zahlungen dann aber jedenfalls einklagen.“Allerdings sieht auch Fischer die Möglichkei­t, dass durch das Urteil ein „direkter oder indirekter Auftrag zur Änderung des Verteilung­ssystems folgt“. Die Causa Festplatte­nabgabe würde dann also auch politisch in die nächste Runde gehen.

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 ??  ?? Gelder aus der Festplatte­nabgabe werden von den Verwertung­sgesellsch­aften an erfolgreic­he Künstler wie Andreas Gabalier, aber auch an Nachwuchsk­ünstler ausgeschüt­tet. Das System steht juristisch auf dem Prüfstand.
Gelder aus der Festplatte­nabgabe werden von den Verwertung­sgesellsch­aften an erfolgreic­he Künstler wie Andreas Gabalier, aber auch an Nachwuchsk­ünstler ausgeschüt­tet. Das System steht juristisch auf dem Prüfstand.

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