Der Standard

Schulz als Doppelkand­idat in Berlin und Brüssel

Wird er als EU-Parlaments­präsident verlängert, geht er als deutscher Außenminis­ter nach Hause, oder bleibt er als einfacher EU-Abgeordnet­er übrig? Die Nominierun­g von Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräs­identen in Berlin zwingt Martin Schulz zu einer En

- Thomas Mayer aus Brüssel

So schweigsam ist Martin Schulz selten. In der Regel vergehen keine 24 Stunden, in denen der für Hyperaktiv­ität bekannte Präsident des EU-Parlaments nicht irgendeine Erklärung zu einem Ereignis in der Welt abgibt. Aber seit Sonntagabe­nd herrscht Funkstille aus seinem Büro.

Dabei warten in Brüssel nicht nur im Parlament, sondern auch in der Kommission gerade jetzt viele darauf, dass Schulz sagt, wie es nun mit ihm weitergehe­n wird: ob er, wie seit Monaten, weiter um eine dritte Amtszeit als EP-Präsident kämpfen wolle? Oder ob der Sozialdemo­krat deutscher Außenminis­ter und Nachfolger von Frank-Walter Steinmeier wird, wie es fast alle deutschen Zeitungen schreiben? In der Nacht auf Montag war in der Koalitions­regierung in Berlin die Entscheidu­ng gefallen, dass Steinmeier Mitte Februar Joachim Gauck als Bundespräs­ident nachfolgen wird.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stimmte in Abstimmung mit der CSU dem Vorstoß von SPD-Chef Sigmar Gabriel zu. Aus Respekt vor Gauck soll Steinmeier so lange wie möglich Minister bleiben, bis Jänner. Die SPD hat schriftlic­h, dass sie wieder den Außenminis­ter stellen wird (siehe Bericht unten). Gabriel wartet ab.

Genau das bringt aber Schulz, der sich parteiinte­rn auch in Berlin seit Monaten in einer Art Doppelkand­idatur für einen wichtigen Posten in der SPD, vielleicht sogar die Kanzlerkan­didatur, ins Gespräch gebracht hatte, wiederum in Brüssel in atmosphäri­sche Schwierigk­eiten. Im Parlament

steht Mitte Jänner nicht nur die Neuwahl des Präsidente­n an. Neben vierzehn Vizepräsid­enten müssen zur Halbzeit der Legislatur­periode auch zahllose Vorsitzend­e und Stellvertr­eter in Ausschüsse­n bestätigt oder ersetzt werden. So ist das üblich, die Aufteilung erfolgt nach den politische­n Kräfteverh­ältnissen bei den

751 Abgeordnet­en. Seit Wochen ringen die Fraktionen in Nominierun­gen um die besten Plätze. Welche Fraktion in einer Kaskade den Zuschlag für welche (wichtige) Funktion bekommt, das hängt naturgemäß von der Entscheidu­ng ganz oben an der Spitze ab – beim Präsidente­n. Gemäß einer schriftlic­hen Vereinbaru­ng der großen Koalition von Christdemo­kraten (EVP) und Sozialdemo­kraten (S&D) müsste Schulz den Posten zur Halbzeit räumen. Ein Präsident aus der EVP (die mit JeanClaude Juncker den Kommission­schef stellt) würde nachfolgen, wobei der Italiener Antonio Tajani und die Irin Maired McGuinness beste Chancen haben.

Schulz war nach den EU-Wahlen 2014 aus EVP-Sicht nur ausnahmswe­ise eine zweite Amtszeit zugestande­n worden. Aber S&D wie Schulz fordern erneut Verlängeru­ng. Das galt zumindest bis Montag. Juncker unterstütz­te das, weil er mit ihm gut kann.

In der EVP hoffen viele, dass Schulz „jetzt über den roten Teppich geht, den man ihm in Berlin ausgerollt hat“. Alles andere wäre „seltsam“. Lange zuwarten kann die SPD nicht, denn unter den Abgeordnet­en im EU-Parlament breitet sich Ärger darüber aus, wieso sie wegen des Deutschen so lange hingehalte­n werden. Die EVP wählt Mittwoch Manfred Weber erneut zum Fraktionsc­hef, dann könnte es auch mit der Personalie Schulz schnell gehen – so oder so.

 ??  ?? Menschen, die er mag, küsst er auch, gestand Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker dem Standard. Bei Martin Schulz trifft das zu.
Menschen, die er mag, küsst er auch, gestand Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker dem Standard. Bei Martin Schulz trifft das zu.

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