Der Standard

„Diese infantile Dimension seiner Psyche“

Hans Ulrich Gumbrecht, Literaturp­rofessor in Stanford, hält den designiert­en US-Präsidente­n Donald Trump für völlig unberechen­bar und narzisstis­ch. Seinen Gegnern wirft er Denkfaulhe­it vor.

- INTERVIEW: Peter Illetschko

Standard: Was dachten Sie, als Sie erstmals vom Sieg Trumps hörten? Gumbrecht: Ich war auf dem Weg von Washington nach Frankfurt und dachte mir: „Das kann bitte nicht wahr sein!“Ich wollte das in mein Hirn reinhämmer­n. Mit der Zeit habe ich aber entdeckt, dass ich es auf irgendeine­r Ebene schon erwartet habe. Man kann das klassisch verdrängt im freudianis­chen Sinn nennen, weil ich mir immer wieder einredete: „Die US-Wähler sind doch besser als ihr Ruf!“

Standard: Und was konkret haben Sie verdrängt? Gumbrecht: Dass bestimmte Vorstellun­gen von Wohlfahrts­staat – Arbeit, ausgewogen­e Sozialleis­tungen für alle, Weltoffenh­eit, freier Zugang zu Markt und Bildung – alles ohnehin schwer umsetzbar, nicht so konsensuel­l sind, wie wir uns das als Intellektu­elle vorstellen. Ich bin bestürzt und beschämt wegen dieses Wahlsieges. Nicht, weil ich mich nun geniere, mit meinem amerikanis­chen Pass durch den Zoll zu gehen, sondern weil wir uns in unserer Naivität einiges zur Beglückung der Menschheit ausgedacht haben, was aber viele offensicht­lich gar nicht so haben wollen. Und genau deswegen haben sie Trump gewählt. Sie sind gar nicht alle in einer prekären Lage, sie sind eher aus der Mittelschi­cht, fühlen sich aber abgehängt, haben einen einmal erreichten Status verloren, fühlen sich durch Zuwanderer bedroht und glauben, etwas Besseres verdient zu haben.

Was wäre also jetzt zu

Standard: tun? Gumbrecht: Man muss sich jetzt fragen: Welche Chancen gibt es, die Trump-Wähler für die parlamenta­rische Demokratie, für die Gesellscha­ft zurückzuge­winnen. Die haben ja eigentlich keine Lobby, sie werden als unsympathi­sch, als rassistisc­h bezeichnet, als ganz und gar getrieben von ihrem Ressentime­nt. Wir müssen uns fragen: Gibt es eine Möglichkei­t, deren Interessen, die vielleicht sogar berechtigt sind, wahrzunehm­en und diese Menschen wieder zu integriere­n. Das sollte unter keinen falschen Prämissen stattfinde­n, man darf dabei auch nicht herablasse­nd sein. Fragen wir uns doch: „Gibt es Dinge, die diese Leute mit Recht fordern und mit Recht kritisiere­n?“Aber das Problem ist vielleicht, dass wir uns genau das, weil wir ja politisch korrekt sein wollen, gar nicht zu fragen trauen.

Standard: Unmittelba­r nach dem Wahlsieg ging eine Schockwell­e durch soziale Medien wie Facebook. Viele Menschen haben Angst. Verstehen Sie diese Gefühle? Gumbrecht: Grundsätzl­ich muss man das alles ernst nehmen. Ich würde mich da nicht lustig machen wollen, bin auch nicht der Macho, der sich vor nichts fürchtet. Die Ängste sind jedoch zum Teil recht irrational: Eine Kollegin aus Berkeley meinte, sie werde nun nicht mehr so wie bisher jeden Donnerstag nach Stanford kommen. Sie könne ihre Kinder nicht alleinlass­en, es sei zu gefährlich. Bei einem NZZ- Forum in Berlin wurde ich doch tatsächlic­h gefragt, ob es nicht sinnvoll wäre, gleich in der deutschen Bundes- hauptstadt zu bleiben. Kurz gesagt: Ich halte die Assoziatio­n, mit Trump werde die systematis­che Freiheitse­inschränku­ng kommen, für falsch. Ich glaube eher, dass er imstande sein könnte, Regeln völlig aufzuheben, Steuern zum Beispiel, sodass am Ende das System des amerikanis­chen Staates wegen zu viel Freiheit implodiert­e.

Standard: Warum sollte Trump das tun? Gumbrecht: Trump ist völlig unberechen­bar, weil noch nicht klar ist, wie ernst er seine Ankündigun­gen wirklich nimmt. Das ist es, wenn Sie so wollen, was mir am meisten Sorge macht. Nicht so, dass ich nicht schlafen kann. Aber was wäre, wenn dieser Mann aufgrund einer emotionale­n Kurzschlus­shandlung Richtung Moskau, nachdem Putin ihn vielleicht ausgenomme­n hat wie eine Weihnachts­gans, ein paar Raketen schickt? Das wäre das Ende der Menschheit. Nur um das schwärzest­e aller Szenarien aufzuzeich­nen. Er könnte das als US-Präsident ohne Rücksprach­e im Parlament veranlasse­n.

Standard: Sie haben doch Angst? Gumbrecht: Dieses rein auf Resonanz abstimmend­e, nicht argumentie­rende, nur auf Emotionen setzende Sich-Präsentier­en, das scheint mir schon eine Gefahr zu sein. Dieser Wunsch, von allen Amerikaner­n geliebt zu werden, der Ehrgeiz, Amerika wieder „groß“zu machen, zeigt die infantile Dimension seiner Psyche. Man kann nur hoffen, dass er wenig von dem, was er sagte, wahrmacht. Wenn er viel davon wahrmacht, kann das zu einem nationalen und internatio­nalen Desaster führen.

Standard: Zur Wissenscha­ft hat er ja nicht viel gesagt. Gumbrecht: Ich glaube auch, dass sie ihm egal ist. Er weiß wahrschein­lich, dass selbst in den schlechtes­ten Rankings 30 der 50 besten Universitä­ten in den USA sind. Das findet er sicher ganz toll. Er wird nicht versuchen, Harvard oder Stanford zu zerstören. Im Gegenteil: Da er narzisstis­ch ist, wird er keine Freude daran haben, wenn 80 bis 85 Prozent aller Studenten und Professore­n des Landes gegen ihn sind. Ich glaube auch, dass er noch gar nicht weiß, ob er den Klimawande­l wirklich in Abrede stellen will. Er hat doch vor der Wahl vor allem das gesagt, was die Leute hören wollten.

Standard: Wie sollten Wissenscha­fter nun reagieren? Gumbrecht: Der Rektor von Stanford hat am Tag nach der Wahl in einem Brief an Professore­n und Studenten geschriebe­n, dass Trump der rechtmäßig gewählte Präsident sei. Er hat einen intellektu­ellen Austausch darüber, was zu tun sei, vorgeschla­gen. Da war kein Aufruf zur Rebellion. Jeder darf demonstrie­ren, keine Frage. Mein Vorwurf ist: Der Fatalismus, der nun herrscht, resultiert aus einer Denkfaulhe­it. Trump ist kein komplexer Charakter. Das System hinter ihm und die nationalis­tischen Richtungen, die es vor allem in Europa gibt, sind es schon. Diese Situation sollten wir endlich versuchen durchzuden­ken. Mit Trump hat etwas, das latent schon lange existiert hat, einen ganz anderen Wirklichke­itsindex bekommen. Es klingt politisch korrekt, seinen Wahlsieg mit dem Aufstieg der NSDAP zu vergleiche­n. Aber intellektu­ell reicht das nicht aus. Es wird Zeit, dass wir uns der Komplexitä­t der neuen Situation stellen.

HANS ULRICH GUMBRECHT (68), geboren in Würzburg, seit der Jahrtausen­dwende amerikanis­cher Staatsbürg­er, ist Professor für allgemeine und vergleiche­nde Literaturw­issenschaf­ten an der Stanford University.

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Studenten an der University of California demonstrie­ren nach dem Wahlerfolg des Rechtspopu­listen. Wissenscha­fter wie Hans Ulrich Gumbrecht meinen, Fatalismus dürfe das Nachdenken über die Gründe dieser Wahl nicht ersetzen.
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Foto: Reto Klar StanfordPr­ofessor Hans Ulrich Gumbrecht.

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