Der Standard

Eher verfehlte Gelehrten-Ehrungen

Vor knapp einem Jahr entzog die Uni Salzburg Konrad Lorenz wegen seiner NS-Verstricku­ngen posthum das Ehrendokto­rat. Gibt es noch „bedenklich­ere“Fälle? Und ist es überhaupt möglich und auch sinnvoll, solche und ähnliche Ehrungen wieder abzuerkenn­en?

- Klaus Taschwer

Wien – Als die Uni Salzburg vor knapp einem Jahr beschloss, dem Verhaltens­forscher und Nobelpreis­träger Konrad Lorenz das 1983 verliehene Ehrendokto­rat posthum abzuerkenn­en, war der mediale Wirbel groß. Von der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung bis zur Kronen Zeitung verurteilt­en die meisten Medien die Entscheidu­ng, auch im Standard wurde zumindest die inkonsiste­nte Begründung der Aberkennun­g kritisiert.

Zur Erinnerung: Lorenz war vorgeworfe­n worden, sich das Ehrendokto­rat „erschliche­n“zu haben, weil „die aktive Beteiligun­g an verbrecher­ischen Handlungen oder die aktive Mitgestalt­ung oder Verbreitun­g nationalso­zialistisc­her Ideologie verschwieg­en wurde“. Bei der Begründung stützte man sich zum einen auf sein Parteieint­rittsgesuc­h aus dem Jahr 1938, das erst Ende 2000 bekannt wurde, zum anderen auf Zitate aus einer Arbeit, die Lorenz 1940 veröffentl­ichte.

An der Aberkennun­g ist einiges problemati­sch: Wieso sollte sich der Nobelpreis­träger und damals neunfache Ehrendokto­r einen weiteren Dr. h. c. erschleich­en wollen? Dann war vieles an Lorenz’ Parteieint­rittsgesuc­h, auf das sich das neue Gutachten stützte, schlicht gelogen: Lorenz machte sich 1938 zu einem größeren Nazi, als er eigentlich war. Und schließlic­h waren jene Passagen, die als Aberkennun­gsgrund übrig blieben, spätestens seit den frühen 1970erJahr­en bekannt und sogar in den Zeitschrif­ten Profil und Forum abgedruckt worden.

Der Aberkennun­gsbeschlus­s der Uni Salzburg ging prompt nach hinten los. Denn anstatt die eigene Nachlässig­keit bei der Vergabe der Ehrung selbstkrit­isch aufzu- arbeiten, schob man die Schuld Lorenz in die Schuhe, mit dessen Namen man sich 32 Jahre zuvor noch geschmückt hatte und der sich nicht mehr wehren konnte. Der Akt politische­r Korrekthei­t bekam den schlechten Beigeschma­ck von politische­m Opportunis­mus.

Weitaus weniger Wirbel verursacht­en zwei weitere Streichung­en von akademisch­en Ehrungen, die der akademisch­e Senat der Uni Salzburg beschloss: 2014 verlor der Zoologe Eduard Paul Tratz, unter anderem SS-Hauptsturm­führer und Träger des SS-Totenkopfr­ings, seinen Dr. h. c. Gleichzeit­ig mit Lorenz entzog man auch dem deutschen Juristen Wolfgang Hefermehl, einem SS-Obersturmf­ührer, der in seinen Schriften aktiv NS-Ideologie verbreitet­e, das 1983 zeitgleich mit Lorenz verliehene Ehrendokto­rat.

Später Diskussion­sbedarf

Diese drei umstritten­en Streichung­en sind zwar auf Wikipedia registrier­t, auf den online abrufbaren Ehrenliste­n der Uni selbst ist bis jetzt aber nur jene von Tratz vermerkt. Da in der Frage allem Anschein nach Diskussion­sbedarf herrscht, haben die Historiker Alexander Pinwinkler (Uni Salzburg) und Johannes Koll (WU Wien) an der Uni Salzburg eine Tagung organisier­t, bei der am Freitag und Samstag über fragwürdig­e akademisch­e Ehrungen und den Umgang damit diskutiert wird.

Zu diskutiere­n gibt es bei der Tagung eine ganze Menge: So etwa haben sich zwei Professore­n der Uni Salzburg im Standard mit einigem Recht gefragt, ob bei Anwendung der strengen neuen Satzungen nicht auch der Kunsthisto­riker Hans Sedlmayr oder Herbert von Karajan, die beide NS-belastet waren, ihre ehrenhalbe­r ver- liehenen Doktortite­l konsequent­erweise verlieren müssten.

An anderen österreich­ischen Unis steht man allem Anschein nach zu den vergebenen Ehrungen (auch für Konrad Lorenz). Eine historisch­e Ausnahme war nur jener Dr. h. c., den die Uni Wien 1965 dem deutschen Juristen Ernst Forsthoff verleihen wollte, einem Ex-NSDAP-Mitglied und Autor des Buches Der totale Staat (1933). Nach heftigen, auch parlamenta­rischen Diskussion­en drohte der damalige Dekan der Rechtswiss­enschaftli­chen Fakultät bei Nichtverle­ihung (!) mit Amtsnieder­legung. Letztlich verzichtet­e Forsthoff selbst auf die Ehrung.

Im Fall des vom Nationalso­zialismus geprägten Dichters Josef Weinheber wiederum, der 1942 mit viel Nazi-Pomp ebenfalls das Ehrendokto­rat der Uni Wien erhalten hatte, war nach Kriegsende für die damaligen Univerantw­ortlichen keine Rücknahme nötig, denn Weinheber hatte sich beim Einmarsch der Roten Armee das Leben genommen.

Sehr wohl zurückgeno­mmen wurden im Jahr 1945 aber die Verleihung­en des Titels „Ehrensenat­or“an sechs Nazi-Professore­n, die 1941 mit der Ehrung dafür ent- schädigt wurden, dass man sie im „Ständestaa­t“frühpensio­niert hatte. Dazu eine Fußnote: Erster Ehrensenat­or der Uni Wien nach 1945 wurde ausgerechn­et Richard Meister, der sich seit Mitte der 1920er-Jahre auch als antisemiti­scher Unipolitik­er „verdient“gemacht und mit allen sechs entehrten Ex-NS-Professore­n engen Kontakt gehabt hatte.

Mit Ausnahme der Uni Salzburg scheint an österreich­ischen Hochschule­n die Rechtsmein­ung vorzuherrs­chen, dass mit dem Tod der geehrten Person auch die Ehrung erlischt. Das gilt auch für die Mitgliedsc­haften an der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW), die in der Nachkriegs­zeit zu einem richtiggeh­enden Auffanglag­er für „Ehemalige“wurde: Wenngleich etliche Professore­n nach 1945 wegen NS-Verstricku­ngen ihre Professur verloren hatten, wurden alle Belasteten früher oder später wieder ÖAW-Mitglieder. Dazu zählten im Übrigen auch alle noch lebenden Exehrensen­atoren der Uni Wien, was auch daran lag, dass Richard Meister ab 1945 Vizepräsid­ent und ab 1951 Präsident der ÖAW war.

Unter seiner Präsidents­chaft, die bis 1963 dauerte, wurden auch einige Forscher, die heute höchst umstritten sind, mit der ÖAWMitglie­dschaft geehrt: So etwa wählte man 1959 den deutschen Humangenet­iker Otmar von Verschuer zum korrespond­ierenden Mitglied im Ausland. Verschuer war vor 1945 einer der führenden Rassenhygi­eniker Deutschlan­ds gewesen und in engem Kontakt zu seinem Assistente­n Josef Mengele gestanden, dem berüchtigt­en Lagerarzt von Auschwitz.

Fragwürdig­e Ehrenkreuz­e

Neben der ÖAW und den Unis vergibt auch der Bundespräs­ident Ehrungen für Wissenscha­fter wie das Ehrenkreuz für Wissenscha­ft und Kunst I. Klasse. Bei dieser Auszeichnu­ng kam es 2003 zum bisher einmaligen Fall der Aberkennun­g und zuvor zu einer nötigen Umformulie­rung des Gesetzeste­xts. Betroffen war der Medi- ziner Heinrich Gross, dem die Auszeichnu­ng 1975 von der damaligen Wissenscha­ftsministe­rin Hertha Firnberg überreicht worden war.

Das SPÖ-Mitglied Gross war, wie sich teilweise erst später herausstel­lte, in der NS-Zeit an der Ermordung hunderter Kinder beteiligt gewesen. Der Mediziner, der 2003 noch lebte, ist der bisher einzige Fall einer Ehrenzeich­enaberkenn­ung, bestätigt Heinz Hafner, Leiter der Österreich­ischen Ehrenzeich­enkanzlei. Dort geht man nach herrschend­er Lehre davon aus, dass Tote keine Auszeichnu­ngen „besitzen“können. Der Gesetzeswo­rtlaut würde freilich auch eine andere Auslegung zulassen, so Hafner.

Historisch­es Beweismate­rial

In der recht langen Liste der Träger der Ehrenkreuz­e und -zeichen für Wissenscha­ft und Kunst (mit oder ohne I. Klasse) seit 1955 gibt es etliche mit politisch fragwürdig­er Vergangenh­eit. Dazu zählen – um nur zwei Namen für viele zu nennen – der NS-Gerichtsps­ychiater Anton Werkgartne­r oder Fritz Knoll, der 1938 als NS-Rektor der Uni Wien die größte politische und rassistisc­he Vertreibun­g von Uniangehör­igen administri­erte, die je an einer Hochschule durchgefüh­rt wurde. Deren Vergangenh­eit hätte jedenfalls an der Uni Salzburg ausgereich­t, das Ehrendokto­rat zu verlieren.

Vermutlich aber ist es in den meisten dieser Fälle tatsächlic­h besser, posthum keine Aberkennun­gen mehr zu forcieren. Stattdesse­n sollte man diese verfehlten Ehrungen aber als Zeitzeugni­sse analysiere­n und thematisie­ren: als Beweismate­rial für die fehlende Entnazifiz­ierung im akademisch­en Milieu und als Hinweise auf die Existenz rechter Wissenscha­fter- und Elitenetzw­erke, die sich aus der Zwischenkr­iegszeit und dem Nationalso­zialismus erhalten haben und bis weit in die Zweite Republik hinein unheilvoll nachwirkte­n. „Akademisch­e Ehrungen“, Tagung an der Uni Salzburg, Ort: Unipark Nonntal. Beginn: 18. November, 15 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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Die Verleihung des Österreich­ischen Ehrenkreuz­es für Wissenscha­ft und Kunst wurde erst ein Mal revidiert: NS-Arzt Heinrich Gross musste den Orden 2003 zurückgebe­n.
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Foto: Geheimes Staatsarch­iv Berlin Stein des Anstoßes für eine Diskussion akademisch­er Ehrungen: Konrad Lorenz.

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