Der Standard

Erbrecht: Große Reform mit kleinen Schwächen

Die Neufassung des oft veralteten Erbrechts ist zumeist gelungen, meint Rechtsprof­essor Martin Schauer. Bei Lebensgefä­hrten und bei der Pflege gebe es sinnvolle Signale, beim Pflichttei­lrecht praktische Verbesseru­ngen.

- Eric Frey

Wien – Es ist die größte Rechtsrefo­rm seit Jahren – die völlige Neukodifiz­ierung des Erbrechts, die am 1. Jänner 2017 in Kraft tritt. Anders als einige andere Rechtsexpe­rten sieht Martin Schauer, Professor für Zivilrecht an der Universitä­t Wien, keine Nachteile in der Reform, aber sehr wohl einige nicht genutzte Chancen.

So wurde bei der Besserstel­lung von Lebensgefä­hrten und Pflegenden vor allem „ein gesellscha­ftspolitis­ches Signal ausgesandt und den neuen Lebensreal­itäten viel besser als bisher Rechnung getragen“, sagt der Jurist, der in der ministerie­llen Arbeitsgru­ppe mitgearbei­tet hat, im StandardGe­spräch. „Aber die Reform trägt auch Züge des österreich­ischen Kompromiss­es.“

Lebensgefä­hrten, die nicht in einem Testament bedacht werden, erhalten erstmals ein Erbrecht – wenn auch nur für den Fall, dass es keine anderen gesetzlich­en Erben gibt. „Das wird selten zum Tragen kommen, weil meist irgendwo Verwandte auftauchen“, sagt Schauer. Will man seinen Lebenspart­ner versorgen, müsse man weiterhin ein Testament erstellen. „Es gibt Staaten, in denen Lebensgefä­hrten deutlich bessergest­ellt sind.“Für sehr positiv hält Schauer jedenfalls, dass der Pflichttei­l für Eltern und Großeltern gestrichen wird.

Besserer Schutz für Lebensgefä­hrten

Von mehr praktische­r Bedeutung ist die neue Regelung, wonach Lebensgefä­hrten ein Jahr in der gemeinsame­n Wohnung bleiben können, auch wenn andere sie erben. Derzeit können sie von einem Tag auf den anderen auf die Straße gesetzt werden.

Neu ist die Besserstel­lung von einzelnen Familienmi­tgliedern, die den Erblasser gepflegt haben. Unabhängig vom Testament haben sie ein Anrecht auf eine Abgeltung der Pflegeleis­tung in der Höhe des Pflegegeld­es. Schauer: „Das ist ein starkes Signal, dass die Pflege in der Familie wirklich wertgeschä­tzt wird.“

Bei kleinen Hinterlass­enschaften kann diese Regelung dazu führen, dass für die anderen Erben wenig übrigbleib­t. Aber auch das hält Schauer für gut: „Wer eine Leistung vollbracht hat, soll auch mehr bekommen.“Die Abgeltung von Pflegeleis­tungen gilt nur innerhalb eines erweiterte­n Familienkr­eises und muss im Streitfall vom Pflegenden nachgewies­en werden. Der Anspruch stehe nicht zu, wenn die Pflege gegen den Willen des Betroffene­n erfolgt ist, betont Schauer.

Anders als bisher verlieren geschieden­e Ehepartner ihr Erbrecht, selbst wenn sie in einem alten Testament, das nicht verändert wurde, bedacht sind. Das gilt auch für eine aufgelöste Lebenspart­nerschaft, wobei die Beweislast, dass diese in die Brüche ging, bei den nutznießen­den Erben liegt. „Hier könnte es Konflikte geben“, warnt Schauer.

Eine weitere große Änderung betrifft das Pflichttei­lrecht. Die Auszahlung von Pflichttei­len – das ist ein Sechstel der Erbmasse für Ehepartner, wenn es Kinder gibt, und ein Drittel aufgeteilt auf diese – kann auf fünf Jahre gestundet werden, in extremen Fällen auf zehn Jahre. Das ist nicht nur für Familienbe­triebe wichtig, denen die Liquidität für eine sofortige Auszahlung von bis zu 50 Prozent des Unternehme­nswerts fehlt, sondern auch bei geerbten Wohnungen, die sonst rasch verkauft werden müssten. „Ebenso wichtig ist es, dass wir nun Klarheit haben, dass der Pflichttei­l in jeder beliebigen Form abgedeckt werden kann – etwa durch einen Fruchtgenu­ss“, sagt Schauer. Es müsse nur der kapitalisi­erte Wert der Höhe des Pflichttei­ls entspreche­n. Das gilt auch für vinkuliert­e, also nicht verkäuflic­he Gesellscha­ftsanteile.

Gewünscht hätte sich Schauer noch eine Reform der Testaments­vollstreck­ung, die in Österreich veraltet sei. In Deutschlan­d etwa könne der Vollstreck­er über Jahre hinaus Dinge gestalten, die in Österreich nur Privatstif­tungen eingeräumt werden. Auch ein Erbvertrag, durch den sich Ehepartner über den Tod hinaus gegenseiti­g binden können, wäre vorteilhaf­t gewesen. „Da hätte es in anderen Ländern Modelle gegeben“, sagt Schauer. „Aber insgesamt lässt sich das neue Erbrecht auch internatio­nal sehen. Wir haben große Flexibilit­ät und gute Gestaltung­smöglichke­iten gewonnen.“

 ??  ?? Wer erbt und wer nicht, vor allem wenn kein Testament vorliegt? Die Regeln wurden nunmehr neu geschriebe­n.
Wer erbt und wer nicht, vor allem wenn kein Testament vorliegt? Die Regeln wurden nunmehr neu geschriebe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria