Der Standard

Experten warnen vor laxem Umgang mit Verbotsges­etz

Ein Welser Anwalt zweifelt an der Existenz von Gaskammern in Mauthausen, und die Anklage gegen ihn wird eingestell­t. Experten halten die Entscheidu­ng des Weisenrate­s im Justizmini­sterium für gefährlich.

- Colette M. Schmidt

Graz/Wien – Es klingt wie ein Auszug aus einem Text auf einer Neonazi-Homepage: „Es ist strittig, ob in Mauthausen Vergasunge­n und Verbrennun­gen stattgefun­den haben“, meinte ein erfahrener Anwalt am 18. März vor Gericht in Wels, sprach des Weiteren von „sogenannte­n Gaskammern“, die „nachträgli­ch eingebaut wurden“, und behauptete, es sei „unbekannt, ob dort jemals eine Gaskammer vorhanden war“.

Klarer Gesetzesve­rstoß

Für Martin Polaschek, Rechtshist­oriker, Experte für das NSVerbotsg­esetz und Vizerektor der Grazer Karl-Franzens-Universitä­t gibt es keinen Zweifel: „Das ist ein ganz klarer Verstoß gegen das Verbotsges­etz“, sagt Polaschek im Standard- Gespräch. Doch wie es derzeit aussieht, muss der besagte Anwalt nichts weiter fürchten als ein Disziplina­rverfahren vor der Rechtsanwa­ltskammer. Denn die Anklage wegen NS-Wiederbetä­tigung, mit der sich der Anwalt nach dem Plädoyer für seinen Mandanten selbst konfrontie­rt sah, wurde von höchster Stelle in der Justiz niedergesc­hlagen – der Standard berichtete.

Seither gehen die Wogen hoch. Denn für die Entscheidu­ng, das Verfahren nach Zustellung der Anklage, also nicht schon während des Ermittlung­sverfahren­s, einzustell­en, brauchte man nicht einmal mehr den Rechtsschu­tzbeauftra­gten Gottfried Strasser mit der Causa zu befassen. Stattdesse­n wies der Weisungsra­t im Justizmini­sterium, dem der Generalpro­kurator Werner Pleischl vorsitzt, die Staatsanwa­ltschaft Wels an, die Anklage einzustell­en. Nachdem Strasser im Vorjahr die umstritten­e Einstellun­g der Ermittlung­en bezüglich des AulaArtike­ls, in dem befreite Mauthausen-Häftlinge u. a. als „Landplage“diffamiert wurden, guthieß, ist es durchaus wahrschein­lich, dass er ohnehin zur gleichen Entscheidu­ng wie der Weisungsra­t gekommen wäre.

Wie auch immer. Abseits der inhaltlich­en Brisanz der Einstellun­g der Anklage werfen Kritiker dem Justizmini­sterium vor, sich hier auch noch mit einem Trick um die Institutio­n des Rechtsschu­tzbeauftra­gten herumgesch­windelt zu haben. Unter den Kritikern dieser Entscheidu­ng sind der SPÖ-Justizspre­cher Hannes Jarolim, der Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er (ÖVP) vorwirft, dass mit der Causa ein Präzedenzf­all geschaffen werden könnte. Der Grünen-Nationalra­tsabgeordn­ete Karl Öllinger brachte letzte Woche eine parlamenta­rische Anfrage beim Justizmini­ster ein, die in 22 Fragen unter anderem den genauen Verlauf der Entscheidu­ngsfindung innerhalb der Justiz hinterfrag­t.

Öllingers Frage

„In welchen Verfahren nach dem Verbotsges­etz bzw. dessen Paragraf 3h wurde seit 2006 die Existenz einer Gaskammer in Mauthausen bestritten, und welche Urteile wurden dabei getroffen?“, wollen Öllinger und Parteifreu­nde darin unter anderem wissen. Das auszuzähle­n werde länger dauern, man werde sich für die Anfrage Zeit nehmen, sie gründlich, aber selbstvers­tändlich fristgerec­ht beantworte­n“, heißt es dazu seitens des Ministeriu­ms.

Teilweise dürfte Öllinger die Antwort auf diese erste Frage wohl schon kennen, den der FPÖ-Politiker John Gudenus, der kürzlich verstorben­e Vater des Wiener FPÖ- Vizebürger­meisters Johann Gudenus, wurde 2006 wegen einer ähnlichen Aussage verurteilt.

Andere Zahlen konnte das Justizmini­sterium dem STANDARD sofort liefern: Heuer wurde der Weisungsra­t bislang 204-mal befasst, das Verbotsges­etz betrafen „davon, soweit ersichtlic­h, sieben Fälle“.

„Wo ist die Grenze?“

Die bisherige Argumentat­ion, mit der das Vorgehen des Weisungsra­tes verteidigt wird, nämlich dass ein Anwalt eben manchmal im Sinne seiner Mandantsch­aft etwas über das Ziel hinausschi­eße und dass der Mann ja nicht die Existenz aller Gaskammern leugnete, wischt Rechtsexpe­rte Polaschek vom Tisch: „Ein Anwalt hat selbstvers­tändlich die Pflicht, seinen Mandanten zu verteidige­n, aber dass er so weit geht, würde bedeuten, dass jeder Anwalt eines nach dem Verbotsges­etz Angeklagte­n alles sagen darf“, warnt Polaschek.

Und er warnt auch davor, das Gesetz auch nur beim Leugnen einiger einzelner NS-Verbrechen aufweichen zu lassen: „Wo ist dann die Grenze? Darf man dann das nächste Mal auch sagen, das in der NS-Zeit gar keine Widerstand­skämpfer in Haft von der Gestapo ermordet wurden?“, fragt der Rechtshist­oriker.

Das Gesetz habe darauf ohnehin eine klare Antwort: Bestraft werde, wer nationalso­zialistisc­he Verbrechen gegen die Menschlich­keit leugne, gröblich verharmlos­e, gutheiße oder zu rechtferti­gen versuche, steht da. „Das bezieht sich nicht nur auf die NS-Verbrechen in ihrer Gesamtheit, sondern auf jedes einzelne Verbrechen“, so Polaschek, der das auch noch anschaulic­her erklären kann: „Wenn auch nur ein einzelner bedauerlic­her Mensch aus nationalso­zialistisc­hen Motiven auf der Straße zu Tode geprügelt wurde und jemand sagt, das seit eh nicht so gewesen, dann ist auch das ein Verstoß gegen das Verbotsges­etz!“

Ein Anwalt sollte das wissen. „Oder gelten beim Herrn Anwalt andere Maßstäbe?“, fragt sich auch Willi Mernyi, der Vorsitzend­e des Mauthausen-Komitees Österreich (MKÖ), im Standard- Gespräch: „Was passiert einem Maurerlehr­ling, wenn er das sagt, was dieser Anwalt vor Gericht gesagt hat?“

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