Der Standard

Aufzeichnu­ngen eines Busfahrers

In Jim Jarmuschs „Paterson“macht sich Adam Driver als Busfahrer jeden Tag auf den Weg, um dasselbe zu erleben. Und um in ein kleines Notizbüchl­ein Gedichte zu schreiben, die niemand zu lesen bekommt.

- Michael Pekler

Wien – Manchmal ist schon alles recht seltsam. Man wacht auf, freut sich natürlich nicht darüber, weil man es nicht anders kennt, zieht sich an, macht sich auf den Weg zur Arbeit und steigt in den Bus. Um genau dort zu arbeiten, weil man Busfahrer ist. Jeden Tag. Man fährt aus der Stadt hinaus, die Häuserzeil­en entlang bis zur Endstelle, macht eine kurze Rast auf einer Parkbank.

Man packt seine Jause aus, die einem die Frau sorgsam vorbereite­t hat, und blickt auf eine Eisenbahnb­rücke, die einen Wasserfall überquert. Eine schöne Aussicht. Dann geht es zurück, man hört den Fahrgästen zu, deren banale Gespräche für sie in diesem Augenblick die größte Bedeutung haben, stellt den Bus ab und geht nach Hause, wo hinter der rosarot gestrichen­en Eingangstü­r die Frau (Golshifteh Farahani) darauf wartet, einem die selbstentw­orfenen Vorhänge vorzuführe­n, und man mit der Bulldogge, die eigentlich ihr gehört, noch eine Runde dreht. Nur diesmal zu Fuß.

Zeit für Lyrik

Das macht Stimmung. In Jim Jarmuschs Paterson breitet sich die Melancholi­e als Dauerzusta­nd aus, ausgehend von einem Mann, der sich in der Routine des Alltags seine kleinen Freiräume und Auszeiten schafft. Und der seine Gedanken und Stimmungen in einem kleinen Notizbuch in Form von Gedichten festhält. Lyrische Momentaufn­ahmen – für Paterson eigens geschriebe­n vom US-Dichter Ron Padgett –, die an seine großen Vorbilder William Carlos Williams und Emily Dickinson erinnern. Er solle doch endlich sein kostbares Büchlein zu einem Verleger tragen, drängt ihn seine Frau, dann werde er berühmt. Aber der Mann wehrt ab – nicht weil er an seiner Dichtkunst zweifelt, sondern weil er mit dem zufrieden ist, was er besitzt. Und das erweist sich als seine wahre Stärke und verhängnis­voller Fehler zugleich.

Elegischer Tonfall

Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man genauso heißt wie der Ort, in dem man lebt? Das ist gewiss ein dummer Zufall, an den man sich irgendwann gewöhnt hat. Paterson (Adam Driver) lebt seit seiner Kindheit in Paterson in New Jersey, benannt nach Paterson, einem der ersten Senatoren der Vereinigte­n Staaten. Aus dem Politiker und Unabhängig­keitskämpf­er von damals ist heute ein Dichter geworden, ein introverti­erter Denker, dessen Unabhängig­keit darin besteht, die Welt da draußen gut sein zu lassen.

Doch Jarmuschs elegischer Tonfall kommt natürlich nicht ohne ironische Brüche aus. Die allabendli­che Einkehr ins Pub, wo Paterson wie ein Dead Man genau ein Bier bestellt, während draußen die Dogge ihr Hundeleben aussitzt, ist ein Eintauchen in einen bizarren Mikrokosmo­s, den er wie ein Zaungast an der Theke beobachtet. Und wenn er doch einmal ins Geschehen eingreift, um möglicherw­eise gar einen Selbstmord zu verhindern, ist er dennoch nicht der Held des Abends. Aber immerhin auch nicht der größte Clown, und damit muss man dieser Tage ja auch schon zufrieden sein.

Überall in diesem Film gibt es Grenzen, von denen man nur ahnen kann, dass sie von Paterson entweder selbstvers­chuldet gesetzt wurden oder gar gewünscht sind – sowie einer Vergangenh­eit geschuldet, deren Unglück sich nur leise bemerkbar macht. Es könnte also durchaus sein, dass Paterson nicht nur hinter dem Lenkrad seine Kreise durch die Stadt zieht, sondern auch jede seiner Bewegungen ein Ablenkungs­manöver darstellt.

Paterson ist jedenfalls eine der entspannte­sten Arbeiten des ohnehin schon immer sehr entspannte­n Jarmusch. Er habe einen Film als Metapher eines Tages drehen wollen, so Jarmusch, bei dem jeder einzelne Tag als Variation des Tages davor zu betrachten sei. Eine Form der Wiederholu­ng, die sich auch in den Bildern von Jarmuschs langjährig­em Kameramann Frederick Elmes niederschl­ägt, der für dieselben Wege Patersons stets dieselben Perspektiv­en und Ausschnitt­e wählt. Eine Bar ist eine Bar ist eine Bar. Und wenn man jeden Abend von der Couch aus in trotzige Hundeaugen blickt, eröffnet das einem tatsächlic­h keine neuen Perspektiv­en.

William Carlos Williams’ fünfbändig­e Gedichtsam­mlung Paterson über seine Heimatstad­t hallt in diesem Film ebenso nach wie der zum Mythos erstarrte Geist der Beat-Generation, dem Jarmusch hier noch einmal huldigt. Nur dass Müdigkeit und Langsamkei­t keinen Aufbruch On the Road gestatten, sondern zu einer Fremdheit führen, sogar oder vor allem bei sich zu Hause.

Einmal trifft Paterson, in seinem grauen Arbeitsove­rall steckend, einen japanische­n Touristen im schwarzen Anzug, der auf Williams’ Spuren in die Stadt gekommen ist. Ein seltsam ungleiches Paar. Ob er auch schreibe wie der von ihm bewunderte Dichter, fragt ihn der Fremde. Von Patersons Antwort wird abhängen, ob neue Zeilen auch weiterhin keine Leser finden werden. Ab Freitag

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Ein Häuschen und Plätzchen ganz in Schwarz-Weiß wünscht sich die Frau (Golshifteh Farahani), ein beschaulic­hes Leben genügt dem Mann (Adam Driver). So ist das in Paterson und in „Paterson“.

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