Der Standard

Weltschmer­z und Migräne auf Amerikanis­ch

US-Amerikaner überkommt zurzeit öfter einmal die Melancholi­e. Die Band Wilco ist da keine Ausnahme. Ein Glück, dass sie sich in dieser Stimmung seit mehr als zwei Jahrzehnte­n besonders wohlfühlen.

- Karl Fluch

Wien – Da stand Jeff Tweedy, mit seiner Gitarre, in Jeansjacke und einem Cowboyhut für Städter, und sah aus wie ein ausgewachs­enes „normal american kid“. Sogar seine Kleidergrö­ße zwei Nummern überm Idealgewic­ht passte ins Bild. Aber er sang davon, wie er sie hasste, diese normalen amerikanis­chen Kids. Eine Woche nach der US-Präsidents­chaftswahl, wer nicht auf der Erde war: Donald Trump hat gewonnen, verströmte dieses Lied eine melancholi­sche Resignatio­n.

Jeff Tweedy ist der Chef der aus Chicago stammenden Band Wilco, diese gastierte am Montag im Wiener Museumsqua­rtier. Melancholi­e zählt zu den Grundstimm­ungen der Band. Geschuldet ist sie Tweedys Wesen und Stimme. Und der Musik, in der sein persönlich­er Cocktail aus Depression­en, Migräne und Weltschmer­z sein Ventil findet: Countryroc­k.

Tweedy wurde über den Umweg des Punk und der Band Uncle Tupelo zu einem Qualitätsg­aranten dieses Fachs. Nach dem Ende von Uncle Tupelo gründete er Mitte der 1990er-Jahre Wilco, die sich seitdem mit zehn Alben Kultstatus erarbeitet­en, und das nicht nur im Countryroc­k.

Tweedy und Co erweiterte­n ihr Spektrum ins Experiment­elle eben- so wie ins Konvention­elle. Für das 2004er-Album A Ghost Is Born gab die Band ihrem Interesse für Krautrock nach, und selbst wenn sie stellenwei­se wie die Eagles des Postpunk klingen, ist es immer Tweedy, der dennoch den Unterschie­d definiert.

Erstens findet sich kein patriotisc­hes Gewese bei Wilco. Anstatt mit wehenden Fahnen „USA!“zu brüllen, besingen Wilco lieber die Asche der Flagge (Ashes of American Flags). Und Tweedys Stimme, seine Prägung in der Working Class, geschult von Punk und Country, lässt derlei Trübsinn nicht zu. So entstand ein Gesamtwerk, aus dem Wilco am Montag reichlich boten.

Doppelhals­gerät in Action

Wobei während der ersten Hälfte der Show kein rechter Rhythmus entstand, die einzelnen Songs wie Fremdkörpe­r nacheinand­ergereiht wirkten. Keiner für sich war schlecht, dennoch erschien es in Summe wie Spielen mit Legosteine­n in verschiede­nen Größen. So wird das nichts. Dann fasste sich der 49-jährige Front- mann ein Herz und begann zwischen den Songs mit dem Publikum zu sprechen, thematisie­rte den Ausgang der Wahl, scherzte und machte dem bis dahin verhalten begeistert­en Saal mit der Botschaft der Liebe Mut.

Das schien das Eis zu brechen, Songs wie Happiness, das hübsche Box Full Of Letters ihres Debütalbum­s AM (1995) oder Dawned on Me trugen die Darbietung der sechsköpfi­gen Band von gepflegter Routine in mitreißend­ere Gefilde. Nels Cline schnitt sich ein Gitarrenso­lo aus seinen 17 Fin- gern und schulterte gar ein doppelhals­iges Gerät, aus der Orgel troff Seelenfett, und der Schlagzeug­er erinnerte sich seiner animalisch­en Triebe.

Publikum und Band genossen es, dass sie doch noch zueinander­gefunden hatten. In den Staaten spielt die Band in Arenen und Stadien, hierzuland­e vor 1500 Fans. Gut für das Publikum, ihren Helden so nahe zu kommen – wie die Band zu Hause eine Arena aus den Sesseln holt, bleibt nach dieser durchwachs­enen Darbietung dennoch ein Rätsel.

 ??  ?? Ein ganz normales amerikanis­ches Kid und dann doch nicht. Jeff Tweedy, Chefmelanc­holiker der darin unbestritt­en überzeugen­den Band Wilco, musste in Wien erst Anlauf nehmen, um in die Herzen seiner Fans zu treffen. Dann aber war es gut.
Ein ganz normales amerikanis­ches Kid und dann doch nicht. Jeff Tweedy, Chefmelanc­holiker der darin unbestritt­en überzeugen­den Band Wilco, musste in Wien erst Anlauf nehmen, um in die Herzen seiner Fans zu treffen. Dann aber war es gut.

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