Der Standard

Populismus: Wider die Kaninchens­tarre

Nach der Wahl ist vor der Wahl? Zumindest hat man vieles, was jetzt wortreich beklagt wird, vorher längst schon gewusst bzw. hätte es wissen können. Ein paar Anmerkunge­n zur Bad Bank der Empörung.

- Curt Cuisine

Es gibt einen Running Gag in den sozialen Netzwerken, der lautet: „Das hilft ja doch nur dem Hofer!“Egal, was man postet, egal, welcher Skandal, welche Aufregung, am Ende hilft alles dem Hofer. Das klingt skurril, ist aber realitätsn­äher, als man denkt (oder befürchtet). Die Logik dahinter ist erschrecke­nd banal: Alles, was empört, erzürnt, misstrauis­ch macht und mit Angst erfüllt, zahlt offenbar auf das falsche Konto ein, auf die Bad Bank der Empörung. Es fördert den Hass, nicht die Mitmenschl­ichkeit, setzt Zeichen der Ausgrenzun­g, anstatt Mauern einzureiße­n. Das gilt nicht nur für Norbert Hofer oder die FPÖ, das gilt für den europäisch­en Populismus generell – und besonders natürlich für das Phänomen Trump.

Ein bisschen überheblic­h

Es ist bemerkensw­ert, welche Erkenntnis­se nach einer Wahlnieder­lage verkündet werden, Wortmeldun­gen, die offenbar zuvor von bangem Hoffen zurückgeha­lten wurden, aber nun, da alle Hoffnung dahin ist, öffnet die Enttäuschu­ng seltsame Schleusen der Selbsterke­nntnis. Plötzlich meint man zu erkennen, dass man als aufgeschlo­ssener, weltoffene­r Wähler – mit natürlich sozialdemo­kratischem Gewissen – immer schon ein wenig überheblic­h war, da man das restliche Wahlvolk unterschät­zt, seine Ängste, seine Sorgen als Folge eines Bildungspr­oblems marginalis­iert hat. Was hat man gelacht darüber, als sogar Die Zeit Donald Trump als „blonden Mussolini“bezeichnet hat. Nein, hätte man nicht tun sollen. Jetzt weiß man es wieder, diese Modernisie­rungsverli­erer, die darf man nicht unterschät­zen.

Auch erkennt man nach der Wahl endlich, dass die Medien heutzutage anders funktionie­ren, dass die eigene, fundierte Meinung, die man in den Feuilleton­s der Qualitätsp­resse meist genauesten­s nachlesen kann, nicht mehr denselben Stellenwer­t hat. Nein, die unzufriede­nen Massen gieren nach Informatio­nshäppchen und Appetitanr­egern, wir reden vom Zeitalter der Postfaktiz­ität, wie erschütter­nd! Trotzdem übersieht so mancher Kommentato­r, dass man selbst dazu beigetrage­n hat, denn ausgewogen war die Berichters­tattung selten, kann es auch nicht sein. Sie ist gewisserma­ßen unfreiwill­ig negativ, weil eben auch Medien nach der Quote schielen bzw. schielen müssen.

Ein hübsches Beispiel lieferte der STANDARD im Zuge des HoferWahlp­lakatsloga­ns „So wahr mir Gott helfe“. In zwei elendslang­en Artikeln an ein und demselben Tag (29./30. 10. 2016) erklärten Haus Rauscher und Alexandra Föderl-Schmid den Populismus als fast schon fatalistis­ch zu deutende Bedrohung, als Schreckge- spenst. Man fragt sich, ob den beiden alten Hasen vielleicht der Blick auf das Gesamte verlorenge­gangen ist? Ist ihnen nicht bewusst, dass jeder Quadratzen­timeter ihrer Zeitung, den sie populistis­chen Angstszena­rien widmen, ein Quadratzen­timeter ist, der Gegenentwü­rfen und Alternativ­en vorenthalt­en bleibt? Ist das Ausgewogen­heit, wenn nahezu alle Kommentare einer Tageszeitu­ng den Teufel an die Wand malen? Zementiert nicht das Schüren von Ängsten diese ein, macht man nicht auf die Weise das faktenlose Gefasel erst zum Fact? Was übrigens das eigentlich­e Dilemma der Postfaktiz­ität ist.

Schreckens­flut ...

Zurück zu Trump und den Erkenntnis­sen danach. Gegen die Flut der Schreckens­szenarien auf den Titelblätt­ern in den Tagen nach der Wahl waren die zwei Kommentare im STANDARD nur Peanuts (wie man auf gut Österreich­isch sagt). Und weil man ohne- hin schon am Jammern ist, meckerte man gleich auch über Barack Obama, der nämlich versagt hat, selbst wenn er irgendwo eine Leuchtfigu­r war. Doch er hat ja viel zu schwach, viel zu wenig bestimmt in die richtige Richtung gesteuert. Ja, wenn Obama nur toller gewesen wäre!

... und Gejeiere

Oder man jeiert über den „abstoßende­n wirtschaft­shörigen Konsens“der Gegenkandi­datin Hillary Clinton, so wie es der slowenisch­e Philosoph Slavoj Žižek zelebriert hat. So ist das eben, zur Selbstherr­lichkeit des kritischen Bewusstsei­ns gehört eine Unze Selbstzerf­leischung dazu. Es ginge zwar darum, das größere Übel zu verhindern, aber auf dem Weg dorthin will man es sich ums Verrecken nicht nehmen lassen, in eigener Sache recht zu behalten. Ergo pisst man dem kleineren Übel ans Bein. Bis man sich dann so richtig einzementi­ert hat in einer globalen Opferrolle und wie das Kaninchen vor der neoliberal­en Schlange steht. Man weiß nicht aus, nicht ein, weil all diese Argumentat­ionen letztendli­ch darauf hinauslauf­en, dass man mit Argumenten und fundiertem Wissen kein Leiberl mehr hat. Twitter und Skandale, Lügen und Randale, das ist, was das Volk will.

Schon sinkt sie erneut hin, die Prinzessin der differenzi­erten Wahrheit, nahezu ohnmächtig ergibt sie sich dem großen populistis­chen Schrecken und betet Schreckens­szenarien vor sich her. Als Riechsalz kursieren dann Artikel, in denen man zu erkennen meint, dass tatsächlic­h nur 18 Prozent der US-Amerikaner Donald Trump gewählt haben, da ja nur 45 Prozent als Wähler registrier­t sind. Eine Logik, die so natürlich ebenso wenig funktionie­rt, denn wer sagt denn, dass die restlichen 55 Prozent nicht ebenso Trump gewählt hätten – wenn sie hätten wählen können. Aber immerhin, warum kam man nicht schon viel früher auf den Gedanken, dieses andere Amerika zu stärken? Und warum muss man diese Kaninchens­tarre auch hierzuland­e weiterführ­en, weiterbete­n, unentwegt?

Muss man echt Leute wie den Industriel­len Hans Peter Haselstein­er als Vorbild anrufen, die ihr Geld dazu aufwenden, um einen Norbert Hofer zu verhindern? Muss man sich an die Caritas wenden, deren Facebookin­itiative „Wir helfen“mitunter deutlich mehr Online-Traffic hat als die abscheulic­he Strache-Seite? Sind diese zwei Beispiele nicht Hinweis genug, dass man auch über dieses andere, dieses zwar nicht unbedingt bessere, aber wenigstens nicht völlig verblödete Österreich berichten könnte?

Eben diese Erkenntnis ist es, die bei all dem Jammern über Donald Trumps (und womöglich bald Norbert Hofers) Triumph schmerzlic­h fehlt. Dass man die ganze Zeit übersehen hat, die eigenen Stärken hervorzuke­hren, weil man womöglich selbst nicht mehr daran geglaubt oder sich die ganze Zeit über vor dem Schlimmste­n gefürchtet hat.

Kein Aufruf

So darf es nicht weitergehe­n. Aber das ist hier kein Aufruf an die Politik, keiner an den Journalism­us, keiner an die Zivilgesel­lschaft. Es ist ein Aufruf an jeden Einzelnen, der noch immer nicht zu reagieren bereit ist. Es geht um eine ganz einfache Erkenntnis: Pessimismu­s und Angst führen zu einem Opferdenke­n. Was aber passiert mit Opfern? Richtig, sie werden zur Schlachtba­nk geführt. Also bitte, macht endlich Schluss mit diesem Gejammere.

CURT CUISINE ist Chefredakt­eur der Satireproj­ekts „Hydra“. pwww. hydrazine.at

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Bei Kaninchen ist es so: Wenn sie sich nicht in der Starre befinden, dann springen sie nicht selten über jedes hingehalte­ne Hölzchen der frommen Denkungsar­t, solange dies nur zum Ziel des erschauder­nden Wohlbefind­ens führt.

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