Der Standard

Das Aufmucken der Frauen von Buraida

In Riad findet ein Prozess gegen Frauen statt, die gegen das Regime demonstrie­rt haben. Sie kommen aus Qassim, wo viele Kritiker des Königshaus­es sitzen. Allerdings handelt es sich dabei um Ultrakonse­rvative.

- Gudrun Harrer

ANALYSE: Riad/Wien – In der saudi-arabischen Hauptstadt Riad begann am Mittwoch ein Prozess gegen ungewöhnli­che Demonstran­tinnen: Dreizehn Frauen – keine davon in Haft und vor Gericht erschienen – sind wegen „Aufwiegelu­ng“und „Teilnahme an Unruhen“angeklagt. Sie hatten in den ersten Monaten des Jahres 2013 wiederholt Sit-ins und Proteste in der Stadt Buraida abgehalten und dabei ein Bild des Innenminis­ters, des heutigen Kronprinze­n Mohammed bin Nayef, verbrannt. Die Frauen, die teilweise ihre Kinder dabeihatte­n, demonstrie­rten für die Freilassun­g von Angehörige­n, eingesperr­t wegen Terrorismu­sverdachts, und wurden selbst kurzfristi­g festgenomm­en.

Bei Protesten und deren Repression in Saudi-Arabien fallen dem westlichen Medienkons­umenten reflexarti­g liberale Stimmen ein – vor allem der zu Peitschenh­ieben verurteilt­e systemkrit­ische Blogger Raif Badawi, der noch immer im Gefängnis sitzt, oder jene Frauen, die sich verbotener­weise ans Steuer eines Autos setzen und Schwierigk­eiten mit den Behörden bekommen.

Aber das ist eben nur die halbe saudische Realität. Öfter als von Vertretern einer modernen Schicht wurde das Haus Saud in seiner Geschichte von noch konservati­veren Kräften herausgefo­rdert. Sie werfen den Sauds vor, den wahren Weg des Islam, so wie ihn der salafistis­che Prediger Mohammed Ibn Abdulwahha­b im 18. Jahrhunder­t predigte, verlassen zu haben.

Ein Teil davon radikalisi­erte sich in den 1990er-Jahren, nachdem König Fahd die Stationier­ung von US-Truppen in Saudi-Arabien erlaubt hatte. Aus der Provinz Qassim hatte Al-Kaida am meisten Zulauf, und später rekrutiert­e hier der „Islamische Staat“für Syrien und den Irak. 2014 wurden für saudische Bürger, die sich dem Jihad anschließe­n, schwere Strafen eingeführt.

Sorge um die Eierstöcke

Buraida, Hauptstadt der Provinz Qassim im Najd, dem Landesinne­ren, gilt als Zentrum der erzkonserv­ativen Kritik. Alleine, dass Frauen auf die Straße gehen, zeigt, wie viel sich auch dort geändert hat. Aber in Qassim sind nach wie vor die Ultras unter den wahhabitis­chen Klerikern installier­t, unter anderem jener Sheikh Saleh al-Luhaidan, der für sein Urteil berühmt wurde – und dem saudischen Komiker Hisham Fageeh Stoff für seinen Song No Women, no Drive lieferte –, dass das Lenken eines Autos die weiblichen Eierstöcke schädige.

Aber da gibt es Schlimmere­s, wie etwa eine Fatwa von Abdulrahma­n al-Barrak, der dazu auffordert, jene zu töten, die gegen Geschlecht­ersegregat­ion sind. Der berühmtest­e dieser Sheikhs ist wohl Salman al-Ouda, dem Millionen Menschen auf Twitter folgen. Alleine Letzteres zeigt jedoch wieder, wie viel sich verändert hat: Als 1965 in Buraida das erste TV-Studio errichtet wurde, wurde es noch von Ultrakonse­r- vativen, die es verhindern wollten, gestürmt.

Die erste 1963 errichtete Mädchensch­ule in Buraida musste von der Nationalga­rde geschützt werden und hatte zu Beginn eine einzige Schülerin: die Tochter des Lehrers. Heute ist der Schulbesuc­h auch für Mädchen sehr konservati­ver Familien völlig normal. Aber es musste von oben durchgeset­zt werden.

Als die demonstrie­renden Frauen von Buraida festgenomm­en wurden, setzten sich auch liberale Kritiker des Systems für sie ein, wie der Menschenre­chtsaktivi­st Mohammed Fahad al-Qahtani, der 2013 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Er zieht jedoch genau am anderen Ende des Strangs als die meisten Gefangenen aus der Provinz Qassim, die in saudischen Gefängniss­en einsitzen: Ihre Forderunge­n nach einer Veränderun­g des Systems sind nicht gleichbede­utend mit jener nach Öffnung. Ob die Frauen von Buraida außer der Freilassun­g ihrer Männer noch etwas wollten, ist jedoch unbekannt.

Reformdruc­k und -ablehnung

Ob das Königshaus gesellscha­ftliche Reformen verweigert – weil ihm das repressive System so passt – oder ob es sich aufgrund der ultrakonse­rvativen Grassroots nicht traut, etwas zu ändern, ist selbst unter Saudis umstritten. König Abdullah, der im Jänner 2015 verstarb, machte in seinen letzten Lebensjahr­en einige Konzession­en, so holte er Frauen in den elitistisc­hen Zirkel der beratenden Schura.

Für Ultrakonse­rvative sind auch aktuelle Lockerunge­n schwer zu schlucken, die etwa vermehrt Unterhaltu­ngsveranst­altungen und Konzerte erlauben. Und das vorislamis­che Erbe auf der Halbinsel steigt im Kurs: offenbar der späte Versuch, außer dem Islam etwas Verbindend­es für die Nation zu finden.

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Frauen im Oktober vor einer Veranstalt­ungshalle in Riad: Es erwartet sie ein Auftritt der US-Tanzgruppe iLuminate, vor einem gemischten Publikum. Die Sitten werden lockerer, klagen Konservati­ve.

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