Der Standard

Eine Volkskrank­heit verliert in Ägypten ihren Schrecken

Erfolgsmel­dungen aus Ägypten sind selten geworden. Bei der Bekämpfung von Hepatitis C mit neuen, günstigen Medikament­en gilt das Land der Pharaonen aber als Musterbeis­piel. Der ägyptische Aktionspla­n ist auch für die WHO zu einem globalen Modell geworden.

- Astrid Frefel aus Kairo

„Warum nur Ägypten?“, wird Professor Manal al-Sayed bei ihren Vorträgen auf der ganzen Welt oft gefragt. Sayed forscht auf dem Gebiet von Hepatitis C und gehört in Ägypten und bei der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) zu den führenden Experten für die entspreche­nden Aktionsplä­ne. Ägypten ist das erste Land, wo jeder Zugang zu den neuen Medikament­en mit einer Heilungsra­te von über 90 Prozent hat. Es gebe keine Warteliste­n für Patienten mehr, bestätigte ein Direktor des Gesundheit­sministeri­ums kürzlich einer lokalen Zeitung.

Betroffen ist jede ägyptische Familie. Jeder vierte Einwohner über 65 Jahre leidet heute noch an chronische­r Hepatitis C, die über die Jahre zu schweren Leberschäd­en führt. Diese hohe Rate – weltweit eine der höchsten – ist die Spätfolge einer großen Kampagne in den 1980er-Jahren zur Bekämpfung der Bilharzios­e, einer Wurmkrankh­eit, die sich in warmen Binnengewä­ssern verbreitet. Damals war es üblich, die Spritzen mehrmals zu verwenden. Hepatitis C belastet den Staat jährlich mit direkten Kosten von umgerechne­t 670 Millionen US-Dollar, das entspricht 1,8 Prozent des Bruttoinla­ndprodukte­s.

1996 wurden die ersten Daten über die durch Blut übertragen­e Virusinfek­tion erhoben. Die Rate lag bei 20 bis 25 Prozent. Zehn Jah- re später wurde ein nationaler Aktionspla­n aufgelegt. „Aktivisten“aus den verschiede­nsten Fachgebiet­en waren die treibenden Kräfte. Sie gründeten ein nationales Komitee, das zwar dem Gesundheit­sministeri­um angegliede­rt ist, aber völlig autonom arbeitet.

Die Kampagne hat seitdem zwölf Minister kommen und gehen sehen und wurde auch während der politische­n Unruhen der vergangene­n Jahre nie tangiert. Aufklärung­saktionen etwa mit dem bekannten Sänger Mohammed Mounir – selbst ein Betroffene­r – fanden große Resonanz.

Durchbruch im Jahr 2013

Jeder Ägypter findet heute eine spezialisi­erte Klinik im Umkreis von 100 Kilometern. Der Durchbruch bei der Heilung gelang, als 2013 die neuen Medikament­e auf den Markt kamen. „Wundermitt­el“, wie sie Sayed bezeichnet, die erstmals Hepatitis C heilen können. Aber Sofosbuvir – das Herzstück der Behandlung – kostete bei der Markteinfü­hrung in den USA 84.000 Dollar pro Patient.

Die ägyptische­n Experten haben es dank guter Infrastruk­tur und überzeugen­den Aktionspla­ns geschafft, für das Nilland als einkommens­schwaches Land Lizenzen für die lokale Produktion von Generika zu erhalten, sodass der Preis auf unter 150 Dollar für die 28-tägige Kur gefallen ist.

Ägypten konnte in kurzer Zeit 830.000 Hepatitis-C-Patienten heilen, mehr als jedes andere ein- kommenssch­wache Land. Weltweit sterben an dieser Krankheit mehr Menschen als an Malaria. Bis 2030 soll die Infektions­rate auf unter ein Prozent der Bevölkerun­g – 2015 noch sieben Prozent – gefallen sein; dann gilt die Krankheit nach WHO-Standard als eliminiert. Das Schwergewi­cht der Kampagne liegt, wie Sayed kürzlich bei einem Vortrag in Kairo ausführte, bei der Prävention, denn jährlich stecken sich 100.000 Personen neu an.

 ??  ?? Gottfried Hirnschall, Leiter des Hepatitis-C-Programms der WHO, lobte Ägypten jüngst in einem Bericht für seine Bemühungen.
Gottfried Hirnschall, Leiter des Hepatitis-C-Programms der WHO, lobte Ägypten jüngst in einem Bericht für seine Bemühungen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria