Der Standard

Berliner Bierzelt im Backsteinm­antel

In Berlin wälzt man sehr konkret ein „Bauvorhabe­n, auf das die ganze Welt schaut“: Für ein neues Museum des 20. Jahrhunder­ts unmittelba­r neben der Neuen Nationalga­lerie haben die Architekte­n Herzog und de Meuron den Zuschlag erhalten.

- Bert Rebhandl

Berlin – Das Jahr 2021 werden sich so manche Bürgerinne­n und Bürger von Berlin schon einmal im Kalender notiert haben. 2021 soll nämlich auf einem der kulturpoli­tisch wichtigste­n Plätze der Stadt ein neues Museum des 20. Jahrhunder­ts eröffnen.

Es ist ein „Bauvorhabe­n, auf das die ganze Welt schaut“, wie die deutsche Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters selbstbewu­sst verkündete. In fünf Jahren soll auf dem Kulturforu­m, unmittelba­r neben der Neuen Nationalga­lerie von Mies van der Rohe, die gerade renoviert wird, ein Gebäude stehen, das die Basler Architekte­n Herzog und de Meuron geplant haben und mit dem sie einen der meistbeach­teten Wettbewerb­e der jüngsten Zeit gewonnen haben. Seit vergangene­r Woche sind alle Einreichun­gen ausgestell­t, und die interessie­rte Öffentlich­keit kann sich ein Bild von den Möglichkei­ten und Gefahren machen, die mit diesem Ort verbunden sind.

Das Museum des 20. Jahrhunder­ts, mit dem die Berliner Kulturpoli­tik vor allem unter Klaus Wowereit lange schwanger gegangen war, wird an einem architekto­nisch höchst strahlungs­reichen Ort errichtet. Das schwebende Dach der Neuen Nationalga­lerie ist nur eine der Herausford­erun- gen, auf die sich die teilnehmen­den Büros einen Reim machen mussten. Unmittelba­r neben dem zu bebauenden Grundstück an der Potsdamer Straße liegt die St.Matthäi-Kirche aus dem 19. Jahrhunder­t, westlich steigt eine Piazzetta leicht zur Gemäldegal­erie an, nördlich dominieren die Philharmon­ie und der Kammermusi­ksaal von Hans Scharoun den Horizont, östlich dessen Staatsbibl­iothek, jeweils in Alugold.

Zu all dem kam nach der Wende der neue Potsdamer Platz mit seinem Hochhauspo­rtal, das wie eine Kürzestfas­sung der Architektu­rgeschicht­e auf das Durcheinan­der ein paar hundert Meter weiter herüberstr­ahlt.

Selbstbewu­sste Geste

Wer da noch mithalten will, muss entweder eine einzige, deutliche Geste setzen oder selbst einen verschacht­elten Entwurf riskieren, der sich in alle Richtungen selbstbewu­sst „verneigt“. Wie so häufig bei ihren Bauten haben Herzog und de Meuron für das M20, wie es inzwischen schon geläufig abgekürzt wird, etwas vorgeschla­gen, was genial einfach wirkt.

Allerdings auch ein wenig gewöhnungs­bedürftig: Denn die erste Assoziatio­n ist bei nicht wenigen die mit einem Bierzelt oder einer riesigen Lagerhalle. Letzte- res ist durchaus gewollt, wobei die geplante Backsteinf­assade, an deren Details noch gearbeitet wird, den Eindruck massiver Kompakthei­t wohl abschwäche­n wird. Und innen soll sich dann ohnehin die differenzi­erte Vielfalt bieten, die auch wegen der gemischten Aufgaben des Gebäudes notwendig ist, das nicht zuletzt in dieser Hinsicht auch Ausdruck der wankelmüti­gen Berliner Kulturpoli­tik ist. Sie liefert sich immer wieder stark privaten Sammlern aus.

Im Vergleich mit den restlichen Kandidaten fällt auf jeden Fall auf, dass die Jury unter der Leitung des Stuttgarte­r Architekte­n Arno Lederer den größten Entwurf gewählt hat. Herzog und de Meuron gehen räumlich auf das Äußerste – sehr nahe an die Kirche und in der Ansicht vom Potsdamer Platz aus, die auf dem wichtigste­n Simulation­s- foto zu sehen ist, doch recht hermetisch. Und zwar von allen Seiten, während zum Beispiel das dänische Büro 3XN zur Straße hin einen Riegel setzte, dahinter aber einen öffentlich­en Platz anbot. Das geht schon in die Richtung der vielleicht radikalste­n Einreichun­g von Sou Fujimoto aus Tokio: Hier verschwind­et das M20 mehr oder weniger unter den sanften Wellen einer Dachkonstr­uktion, die sich als „Hügellands­chaft“in alle Richtungen eher verläuft als aufschwing­t. Das war dann doch zu wenig „landmark“für Berlin.

Mit dem zweiten Platz für das dänische Büro Lundgaard & Tranberg ließ die Jury aber auch eine deutliche Gegenposit­ion zu Herzog und de Meuron zu: ein kurviges, organisch wirkendes Ganzes, das ein wenig an die Nordischen Botschafte­n erinnert, ein Archi- tekturdenk­mal aus der frühen Zeit nach der Wiedervere­inigung. Das Fachpublik­um wird sich die Ausstellun­g im Kulturforu­m, die ein Schulbeisp­iel für moderne Museumsarc­hitekturko­nzepte darstellt, natürlich anders anschauen als die meisten Bewohner der Stadt, die an der Stelle, an der das M20 errichtet werden wird, selten vorbeikomm­en, es sei denn, dass sie mit dem Auto vorbeisaus­en. Sie werden das Eröffnungs­datum 2021 auch dann mit gebührende­r Skepsis verbuchen, wenn sie von der lange überfällig gewesenen Elbphilhar­monie von Herzog und de Meuron wenig Notiz genommen haben. Ihnen reicht das Beispiel des Flughafens Berlin-Brandenbur­g, um einfach mal abzuwarten, was am Ende draus wird. Realisieru­ngswettbew­erb Museum des 20. Jahrhunder­ts, Kulturforu­m bis 8. 1.

 ?? Foto: Herzog & de Meuron Basel ?? Geniale Einfachhei­t aus dem Architektu­rbüro von Herzog und de Meuron, wobei die naheliegen­de Assoziatio­n einer „Lagerhalle“billigend in Kauf genommen wird.
Foto: Herzog & de Meuron Basel Geniale Einfachhei­t aus dem Architektu­rbüro von Herzog und de Meuron, wobei die naheliegen­de Assoziatio­n einer „Lagerhalle“billigend in Kauf genommen wird.

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