Der Standard

Brunnenmar­kt: Einweisung des „Leidtragen­den“

Ein 21-Jähriger hat im Mai in Wien-Ottakring eine Frau erschlagen. Er ist so schwer krank, dass er eingewiese­n wird. Der Witwer hofft wegen Behördenve­rsagens auf baldige Entschädig­ung durch den Staat.

- Michael Möseneder

Wien – „Was ist?“, waren laut Zeugin die letzten Worte, die das Opfer von sich gab, ehe Francis N. der Frau den Schädel mit einer kiloschwer­en Eisenstang­e zertrümmer­te. Auf eine solche Art und Weise, dass „ich es in 30 Jahren noch nicht gesehen habe“, wie der psychiatri­sche Sachverstä­ndige Karl Dantendorf­er dem Geschworen­engericht unter Vorsitz von Ulrich Nachtlberg­er erklärt.

Dantendorf­er ist es auch, der den Laienricht­ern die Erklärung liefert, warum der 21-Jährige in der Nacht des 4. Mai am Brunnenmar­kt in Wien-Ottakring zwar einen Mord an einer zufälligen Passantin begangen hat, dafür aber nicht verurteilt werden kann. Denn N. leide an paranoider Schizophre­nie und sei definitiv zurechnung­sunfähig.

Den Eindruck macht der Betroffene auch bei der Einvernahm­e durch Nachtlberg­er, die in dem gut gefüllten Großen Schwurgeri­chtssaal etwa fünf Minuten dauert. „Können Sie sich erinnern, was da war?“, fragt er via Dolmetsche­rin den gebürtigen Kenianer. „Ich kann mich nicht erinnern. Ich glaube, da war eine Frau, und ich habe sie mit Metall geschlagen.“

„Das wird nicht wahnsinnig viel Sinn haben, wenn wir da jetzt weitermach­en“, sagt der Vorsitzend­e zu seinen Beisitzeri­nnen. Weiß er doch auch aus den bisherigen Gesprächen bei Polizei und Sachverstä­ndigen, dass N. kaum zusammenhä­ngend aussagen kann.

Auch als dieser auf der Anklageban­k Platz nimmt, merkt man, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Immer wieder starrt er ausdrucksl­os ins Leere, schreckt kurz auf, wenn jemand spricht.

Gerichtsme­diziner Nikolaus Klupp schildert dem Gericht im Detail die Verletzung­en der Frau. Auch er sagt, dass der Fall in 23 Jahren Praxis an Brutalität schwer zu übertreffe­n sei. Mindestens achtmal habe der Betroffene der Frau wuchtig auf den Schädel geschlagen. Unfreiwill­ig komisch wirkt seine Conclusio: Die Verletzung­en „sprechen eindeutig für einen Tod durch fremde Hand“.

Ein Tod, der aus Sicht des Verteidige­rs Richard Soyer verhinderb­ar gewesen wäre. Er ortet in seinem Eröffnungs­plädoyer ein „multiples Behördenve­rsagen“. Sein Mandant müsse schon seit Jahren an den von Dantendorf­er diagnostiz­ierten optischen und akustische­n Wahnvorste­llungen gelitten haben, sei aber nie behandelt worden. „Insofern ist auch er ein Leidtragen­der“, sagt Soyer.

„Dieser Fall ist dramatisch, für einen Mediziner aber relativ einfach“, leitet der psychiatri­sche Sachverstä­ndige seine Stellungna­hme ein. Die Krankheit aus dem schizophre­nen Formenkrei­s „ist nicht spielbar“, ist er überzeugt. Eine Aussage, die insofern bemerkensw­ert ist, als im Grazer Amok- fahrerproz­ess einer von drei Kollegen Dantendorf­ers zu genau diesem Schluss gekommen ist.

Dantendorf­er verweist auch auf N.s Vorgeschic­hte. „Er hat schon 2015 zweimal Frauen mit einer Eisenstang­e angegriffe­n. Und ein paar Monate vor dieser Tat wurde er mit herunterge­lassener Hose und einer Axt in der Hand von der Polizei angetroffe­n.“

Warum damals weder Polizei noch Justiz ein Gutachten erstellen ließen, muss die von Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er eingesetzt­e „Soko Brunnenmar­kt“noch genau klären. Auf Nachtlberg­ers Nachfrage stellt Dantendorf­er jedenfalls klar: „Die Krankheit ist behandelba­r.“

Der Psychiater möchte daher auch eines klarstelle­n: Rund ein Prozent der Menschen seien weltweit von der Krankheit betroffen, nur ein verschwind­end kleiner Teil begehe Straftaten. N. dagegen sei so schwer krank, dass er trotz seiner derzeitige­n Behandlung „nach wie vor so gefährlich wie zum Tatzeitpun­kt ist“.

Die logische Konsequenz ist, dass das Gericht nach kurzer Beratung entscheide­t, den Betroffene­n in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrec­her einzuweise­n, eine Entscheidu­ng, die noch nicht rechtskräf­tig ist.

Alfred Boran, Opfervertr­eter des Witwers, kündigt in einer Verhandlun­gspause an, er sei zuversicht­lich, dass die Republik seinem Mandanten noch vor Weihnachte­n einen Schadeners­atz leisten werde. Wie viel der Mann, der den Prozess ruhig verfolgt hat, fordert, will Boran nicht verraten. Er weist aber darauf hin, dass die höchste bisher zugesproch­ene Summe bei 25.000 Euro liegt.

 ??  ?? Francis N. starrt immer wieder ins Leere, während es beim Prozess um seine Einweisung in eine Anstalt geht. Er soll einer Passantin in Wien mit einer Eisenstang­e den Schädel zertrümmer­t haben.
Francis N. starrt immer wieder ins Leere, während es beim Prozess um seine Einweisung in eine Anstalt geht. Er soll einer Passantin in Wien mit einer Eisenstang­e den Schädel zertrümmer­t haben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria