„Dann ist was faul im Staate Österreich“
Werner Pleischl, Ex-Generalprokurator und Weisungsratschef, zieht Bilanz. Er verteidigt die „Gaskammer“-Entscheidung des Gremiums und plädiert für eine Änderung des Weisungsrechts.
Standard: Sie gehen nach 41 Jahren in der Justiz in Pension; zuletzt waren Sie Chef der Generalprokuratur und des Weisungsrats. Was hat sich in der Justiz verändert? Pleischl: Am meisten der Umgang in der Justiz. Früher konnten Sie nicht einfach zu einem Senatspräsidenten ins Büro, da sind die Leute manchmal in der Doppeltüre im Finsteren stehen geblieben, weil sie sich so gefürchtet haben. Das ist vorbei. Bei der Rechtsentwicklung ist die Justiz allerdings langsam und konservativ.
Standard: Als Sie begannen, kam gerade die große Strafrechtsreform von Justizminister Christian Broda – eine größere Reform folgte nie. Pleischl: Groß war auch die Reform der Strafprozessordnung (StPO) 2008, an der ich federführend mitgearbeitet habe. So gut wie nichts geändert hat sich aber am Problem der Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte.
Standard: Sie sind gegen die bestehende politische Kontrolle in Form des Weisungsrechts des Justizministers ... Pleischl: Ich bin aber nicht gegen Weisungen. Es muss jemanden geben, der sagt, wo es langgeht, und die Verantwortung trägt. Eine Staatsanwaltschaft ist kein Karnevalsumzug, wo sich jeder anzieht, was er will, und macht, was er will. Wesentlich ist die Weisungsspitze – das hat sich jetzt gerade am „Gaskammer-Fall“gezeigt. Die Kritik an der rein fachlichen Äußerung des Weisungsrats in dieser Sache ist rein politisch. Die Staatsanwaltschaft sollte zentralistisch geführt sein, mit einem Gremium an der Spitze, das die Weisungen erteilt. Zudem braucht es eine Art Aufsichtsrat aus Professoren, Anwälten, Richtern für die rein fachliche Kontrolle. Denn die Politik ist strukturell nicht in der Lage, die Justiz zu kontrollieren. Für uns Juristen sind Rechtssicherheit, Nachvollziehbarkeit und Gesetzmäßigkeit das Wichtigste, für Politiker geht es um Applaus.
Standard: Im „Gaskammer-Fall“stellte ein Anwalt im Plädoyer für einen der Wiederbetätigung Angeklagten die Existenz von Gaskammern im KZ Mauthausen infrage. Der Mandant wurde freigesprochen, der Anwalt aber angeklagt. Der Weisungsrat empfahl Minister Wolfgang Brandstetter, Weisung zu erteilen, die Anklage zurückzuzie- hen. Das ist geschehen. Warum haben Sie so entschieden? Pleischl: Dem Anwalt wurde vorgeworfen, er habe Verbrechen des NS-Regimes gröblich verharmlost. Er verteidigte als Verfahrenshelfer, im Plädoyer sagte er, sein Mandant habe emotional gehandelt. Mauthausen sei schlimm gewesen, aber es sei im Gegensatz zu Schloss Hartheim strittig, ob es dort Vergasungen gegeben habe. Das ist historisch falsch, in Mauthausen wurden bis zu 5000 Menschen durch Gas ermordet, in Hartheim doppelt bis dreimal so viele.
Standard: Und das ist keine gröbliche Verharmlosung? Pleischl: Der Anwalt sagte innerhalb seiner beruflichen Aufgabe zwei historisch falsche Sätze, von denen er sich in seiner Vernehmung distanzierte: Er kenne die Fakten, die Sätze seien ihm in der Hitze des Geschehens passiert, er habe sich in einen Wirbel geredet. Er tätigte aber keine politische Aussage, sondern nahm seine Aufgabe falsch und übertrieben wahr. Der Weisungsrat meinte, dass er damit die NS-Verbrechen nicht gröblich verharmlost hat.
Standard: Jetzt glauben Neonazis, sie dürften das, was der Anwalt sagte, auch sagen. Pleischl: Das bedeutet es eben nicht, man darf so etwas nicht sagen. Die Entscheidung betrifft nur diesen Fall, diesen Verteidiger, dieses Plädoyer. Das, was er gesagt hat, ist falsch, abzulehnen und völlig inakzeptabel – aber davon unabhängig ist die Frage, ob er zu bestrafen ist. Das bestimmt das Gesetz, das wir auslegen müssen. Wir kamen zur rechtlichen Ansicht, dass das Gesagte nicht zu bestrafen ist. Der Weisungsrat macht keine politischen Kompromisse oder Kompromisse mit der öffentlichen Meinung.
Standard: Hätte Politiker und Minister Brandstetter die Anklage einfach trotzdem zulassen sollen? Pleischl: Nein. Wenn man von der Weisungsspitze, dem Justizminister, erwartet, dass er aus politischen Gründen gegen ihre rechtliche Meinung entscheidet, dann ist was faul im Staate Österreich. Das ist der Punkt: Will man nicht nach dem Gesetz handeln, weil andere Gesichtspunkte wichtiger sind, darf man das nicht von Staatsanwaltschaft oder Weisungsrat verlangen, sondern dann ist der Bundespräsident am Zug. Er ist als Einziger durch eine Volkswahl legitimiert, er kann sich als Einziger über das Gesetz hinwegsetzen.
Standard: Sie haben für heuer 100 Weisungsratscausen erwartet. Wie viele Fälle sind es bislang wirklich gewesen? Pleischl: Bis Ende Oktober 200 Fälle. Rund ein Fünftel davon betraf Weisungen und Causen, in denen der Minister befangen war. Er hat nie gegen unsere Empfehlung entschieden, wir haben aber auch nur in sechs Fällen andere Wege empfohlen, als im Vorhabensbericht vorgeschlagen war.
Standard: Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf in der Justiz? Pleischl: Die Justiz ist sehr professionell aufgestellt, technisch sind wir führend in Europa. Auch bei der Verfahrensdauer stehen wir im internationalen Schnitt gut da.
Standard: Die Verfahrensdauer sei unerträglich, sagte Brandstetter 2014. Pleischl: Es gibt Verfahren, die sehr, sehr lang dauern, besonders die, die in der Öffentlichkeit stehen. Das liegt aber auch an den Beschuldigten und der internationalen Verflechtung und Komplexität von Wirtschaftscausen. Das Verfahren Buwog/Grasser ist ein Ausreißer in jeder Hinsicht. Der Vorwurf, ein Minister habe sich im Kern seiner Tätigkeit bereichert, ist ganz extravagant. So etwas habe ich nie erlebt. Aber man muss sagen: Das lange Verfahren ist leider noch gerecht. Jetzt wird man sehen, was das Gericht sagt.
Standard: Sie plädieren für drei statt zwei Instanzen auch in Strafsachen. Werden Strafurteile in der österreichischen Rechtsprechung zu wenig kontrolliert? Pleischl: Wir haben bei den Prozessen zu schwersten Verbrechen nur sehr wenig inhaltliche Kontrolle, der Oberste Gerichtshof prüft ja hauptsächlich Verfahrensrechtliches. Diesen Mangel sollte man durch eine weitere Instanz beseitigen.
Standard: Sie sagen, Sie seien „auf der richtigen Seite“gestanden. Was macht Sie so sicher? Sie haben viele Kritiker. Stichwort: Causa Kampusch, in der gegen Sie ermittelt wurde; Nichtinhaftierung des Russen Michail Golowatow trotz Haftbefehls; Tierschützer, die Sie als kriminelle Organisation sahen und die freigesprochen wurden; „Causa Gaskammer“. Pleischl: Kritik ist für einen Staatsanwalt unausweichlich, das bringt die Funktion mit sich. Und ich habe versucht, der Gerechtigkeit zu dienen, mich nicht zu verbiegen, habe meine Meinung immer klar gesagt, mich nie geduckt.
Standard: Was wird Ihnen in der Pension abgehen? Pleischl: Das Gefühl dazuzugehören.
WERNER PLEISCHL (66) war Strafrichter, machte Gesetze, leitete die Oberstaatsanwaltschaft Wien. Seit Juni 2014 war er Chef der Generalprokuratur, seit heuer daher auch Vorsitzender des Weisungsrats. Ab 1. Dezember ist der Sozialdemokrat und Laienschauspieler in Pension. pLangfassung auf
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