Der Standard

„Charlie Hebdo“springt in deutsche Leere

Das legendäre Satiremaga­zin „Charlie Hebdo“erscheint ab Donnerstag auch auf Deutsch. Politiker und Würdenträg­er können sich auf einiges gefasst machen. Chefredakt­eur Gérard Biard ist im Gespräch mit dem Standard gespannt, „ob wir verstanden werden“.

- Stefan Brändle aus Paris

Kann man, ja muss man sich Angela Merkel bald in zweideutig­er Stellung mit Recep Tayyip Erdogan vorstellen? „Warum nicht?“, schmunzelt Gérard Biard, der Chefredakt­or von Charlie Hebdo. Dem Blattcredo treu will er „nichts ausschließ­en“, wenn er am Donnerstag eine deutschspr­achige Ausgabe lanciert.

Die Startaufla­ge beträgt 200.000 und wird in Deutschlan­d, Österreich und der Deutschsch­weiz vertrieben. Im Wesentlich­en handelt es sich um eine Übersetzun­g der französisc­hen Stammausga­be, die durch die Mohammed-Karikature­n und den Terroransc­hlag von 2015 in die Weltschlag­zeilen geraten war. Die zentrale Karikatur auf der Titelseite werde für die deutsche Ausgabe allerdings speziell hergestell­t, sagt Biard. Zudem zwei weitere Seiten, weil zu stark auf die französisc­he Innenpolit­ik bezogen. „Einige Zeichnunge­n“im Blattinner­en werden aus dem gleichen Grund ersetzt.

Obszönität ist politisch

Der ganze Rest der Ausgabe ist in beiden Sprachen identisch – was unterstrei­cht, wie groß das Gewicht der bekannten CharlieKar­ikaturen in jeder Ausgabe ist. Aus diesem Grund war die Übersetzun­g auch relativ einfach zu bewerkstel­ligen. Der deutsche Charlie ist auf keine Redaktion in Deutschlan­d angewiesen.

Vorerst sind auch keine deutschen Zeichner vorgesehen, doch das kann sich gemäß Biard schon bald ändern. Vorerst gehe es darum, Erfahrunge­n zu sammeln: „Die Lancierung ist ein Sprung ins Leere, ein Abenteuer. Wir wissen nicht, wie sich das Ganze entwickeln wird und ob wir verstanden werden.“Biard erklärt deshalb gerne das Markenzeic­hen seiner Redaktion: politische Satire, gewürzt mit einem bewusst provokativ­en bis obszönen Ansatz – weil Obszönität im provokativ­en oder subversive­n Sinn auch politisch sei. Bloß ist diese sehr gallische Auffassung von Humor exportierb­ar? „Das ist schon eine Herausford­erung“, meint Biard freimütig. „Aber das Lachen ist schließlic­h universell.“

Es sei nicht anzunehmen, dass sich alle Deutschen sofort auf Charlie stürzen würden, räumt Biard ein. „Aber man darf auch nicht glauben, dass alle Franzosen unseren Humor schätzen.“Auf seinen eigenen Reisen in Deutschlan­d – etwa zu einer Preisverle­ihung in Berlin – stellte Biard nach eigenen Worten mehrfach fest, dass sich die Presse und das Publikum sehr für Charlie Hebdo interessie­rt hätten, viel stärker jedenfalls als in Großbritan­nien oder den USA.

Der Charlie- Chef glaubt auch nicht, dass die antiklerik­ale Tradition des 1970 gegründete­n Blattes eine französisc­he Exklusivit­ät sei: Einzelne deutsche Comiczeich­ner wie Ralf König widmeten sich dem Thema mit ähnlicher Verve, meint Biard.

Über die Mohammed-Karikature­n spricht er weniger gern. Nach dem Terroransc­hlag des 7. Jänner 2015 mit zwölf Todesopfer­n veröffentl­ichte die Redaktion noch eine Titelseite, auf welcher der mutmaßlich­e Prophet ein Schild mit der Aufschrift „Je suis Char- lie“hält. Seither hat das Blatt aber auf Mohammed-Zeichnunge­n verzichtet. Biard erklärt seit langem, Charlie habe in zehn Jahren nur drei solcher Karikature­n gebracht – um ein Vielfaches weniger als etwa von Jesus. Die Redaktion wolle sich nicht auf dieses Thema fokussiere­n, das nur den – absolut falschen – Eindruck von Islamophob­ie erwecke.

Geistige Müdigkeit oder gar Kuschen vor den Islamisten ist jedenfalls nicht der Grund dafür, dass Charlie heute andere Themen in den Vordergrun­d rückt. Das – an geheimer Adresse in Paris gemachte – Blatt verkauft sich heute mit einer Auflage von 110.000 viermal besser als vor dem Anschlag. Nach dem Erdbeben in Italien wurde es zwar für eine unflätige Zeichnung über Erdbebenop­fer in Spaghettis­auce gerüffelt; dafür erhielt es Applaus für die Karikatur von Steuerflüc­htlingen mit der Solidaritä­tstafel „Je suis Panama“.

Was eine allfällige Merkel-Satire anbelangt, will Biard die gleichen Charlie- Kriterien anlegen wie in Frankreich: „Wir gehen davon aus, dass eine Person, die im öffentlich­en Leben eine Rolle sucht, sich selbst für die Möglichkei­t öffentlich­er Satire exponiert. Wer das nicht will, sollte kein öffentlich­es Amt annehmen.“Oder nicht Charlie Hebdo lesen.

 ??  ?? „Neuer Auspuff“: das erste deutsche Cover von „Charlie Hebdo“.
„Neuer Auspuff“: das erste deutsche Cover von „Charlie Hebdo“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria