„Charlie Hebdo“springt in deutsche Leere
Das legendäre Satiremagazin „Charlie Hebdo“erscheint ab Donnerstag auch auf Deutsch. Politiker und Würdenträger können sich auf einiges gefasst machen. Chefredakteur Gérard Biard ist im Gespräch mit dem Standard gespannt, „ob wir verstanden werden“.
Kann man, ja muss man sich Angela Merkel bald in zweideutiger Stellung mit Recep Tayyip Erdogan vorstellen? „Warum nicht?“, schmunzelt Gérard Biard, der Chefredaktor von Charlie Hebdo. Dem Blattcredo treu will er „nichts ausschließen“, wenn er am Donnerstag eine deutschsprachige Ausgabe lanciert.
Die Startauflage beträgt 200.000 und wird in Deutschland, Österreich und der Deutschschweiz vertrieben. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Übersetzung der französischen Stammausgabe, die durch die Mohammed-Karikaturen und den Terroranschlag von 2015 in die Weltschlagzeilen geraten war. Die zentrale Karikatur auf der Titelseite werde für die deutsche Ausgabe allerdings speziell hergestellt, sagt Biard. Zudem zwei weitere Seiten, weil zu stark auf die französische Innenpolitik bezogen. „Einige Zeichnungen“im Blattinneren werden aus dem gleichen Grund ersetzt.
Obszönität ist politisch
Der ganze Rest der Ausgabe ist in beiden Sprachen identisch – was unterstreicht, wie groß das Gewicht der bekannten CharlieKarikaturen in jeder Ausgabe ist. Aus diesem Grund war die Übersetzung auch relativ einfach zu bewerkstelligen. Der deutsche Charlie ist auf keine Redaktion in Deutschland angewiesen.
Vorerst sind auch keine deutschen Zeichner vorgesehen, doch das kann sich gemäß Biard schon bald ändern. Vorerst gehe es darum, Erfahrungen zu sammeln: „Die Lancierung ist ein Sprung ins Leere, ein Abenteuer. Wir wissen nicht, wie sich das Ganze entwickeln wird und ob wir verstanden werden.“Biard erklärt deshalb gerne das Markenzeichen seiner Redaktion: politische Satire, gewürzt mit einem bewusst provokativen bis obszönen Ansatz – weil Obszönität im provokativen oder subversiven Sinn auch politisch sei. Bloß ist diese sehr gallische Auffassung von Humor exportierbar? „Das ist schon eine Herausforderung“, meint Biard freimütig. „Aber das Lachen ist schließlich universell.“
Es sei nicht anzunehmen, dass sich alle Deutschen sofort auf Charlie stürzen würden, räumt Biard ein. „Aber man darf auch nicht glauben, dass alle Franzosen unseren Humor schätzen.“Auf seinen eigenen Reisen in Deutschland – etwa zu einer Preisverleihung in Berlin – stellte Biard nach eigenen Worten mehrfach fest, dass sich die Presse und das Publikum sehr für Charlie Hebdo interessiert hätten, viel stärker jedenfalls als in Großbritannien oder den USA.
Der Charlie- Chef glaubt auch nicht, dass die antiklerikale Tradition des 1970 gegründeten Blattes eine französische Exklusivität sei: Einzelne deutsche Comiczeichner wie Ralf König widmeten sich dem Thema mit ähnlicher Verve, meint Biard.
Über die Mohammed-Karikaturen spricht er weniger gern. Nach dem Terroranschlag des 7. Jänner 2015 mit zwölf Todesopfern veröffentlichte die Redaktion noch eine Titelseite, auf welcher der mutmaßliche Prophet ein Schild mit der Aufschrift „Je suis Char- lie“hält. Seither hat das Blatt aber auf Mohammed-Zeichnungen verzichtet. Biard erklärt seit langem, Charlie habe in zehn Jahren nur drei solcher Karikaturen gebracht – um ein Vielfaches weniger als etwa von Jesus. Die Redaktion wolle sich nicht auf dieses Thema fokussieren, das nur den – absolut falschen – Eindruck von Islamophobie erwecke.
Geistige Müdigkeit oder gar Kuschen vor den Islamisten ist jedenfalls nicht der Grund dafür, dass Charlie heute andere Themen in den Vordergrund rückt. Das – an geheimer Adresse in Paris gemachte – Blatt verkauft sich heute mit einer Auflage von 110.000 viermal besser als vor dem Anschlag. Nach dem Erdbeben in Italien wurde es zwar für eine unflätige Zeichnung über Erdbebenopfer in Spaghettisauce gerüffelt; dafür erhielt es Applaus für die Karikatur von Steuerflüchtlingen mit der Solidaritätstafel „Je suis Panama“.
Was eine allfällige Merkel-Satire anbelangt, will Biard die gleichen Charlie- Kriterien anlegen wie in Frankreich: „Wir gehen davon aus, dass eine Person, die im öffentlichen Leben eine Rolle sucht, sich selbst für die Möglichkeit öffentlicher Satire exponiert. Wer das nicht will, sollte kein öffentliches Amt annehmen.“Oder nicht Charlie Hebdo lesen.