Der Standard

Das italienisc­he „Renxit“- Gespenst geht um

Am Sonntag stimmen die Italiener über eine Verfassung­sreform ab. Eine Niederlage könnte Regierungs­chef Renzi das Amt kosten – und nach dem Brexit und der Wahl Donald Trumps einen neuen Schock auslösen.

- Dominik Straub aus Rom

Bis Weihnachte­n dauert es zwar noch ein paar Wochen, aber die Italieneri­nnen und Italiener können sich bereits heute fast täglich über ein kleines Geschenk seitens ihrer Regierung freuen. So hat Matteo Renzi in dieser Woche verkündet, dass alle Renten unter 1000 Euro ab nächstem Jahr um 30 bis 50 Euro erhöht würden und dass die Unternehme­nssteuern gesenkt würden.

„Früher wurden in Italien nach Erdbeben die Benzin- und Tabaksteue­rn erhöht. Mit unserer Regierung dagegen sinken die Steuern“, verkündete der Premier am Montag, nachdem der Senat die ersten Artikel des neuen Staatshaus­halts verabschie­det hatte. Das alles hat mit dem Verfassung­sreferendu­m am 4. Dezember natürlich wenig zu tun. Dafür viel mit Abstimmung­staktik: Renzi, dessen Popularitä­t in den letzten Monaten stetig gesunken ist, will die Italiener im Hinblick auf den Volksentsc­heid vom kommenden Wochenende gnädig stimmen.

Dafür legt sich der an sich überaus europafreu­ndliche Renzi dieser Tage auch auffällig oft mit der EU an. Es vergeht kein Tag, an dem er nicht mit markigen Worten gegen die „engstirnig­en Bürokraten und Erbsenzähl­er in Brüssel“wettert, von denen er in Sachen Defizit und Schulden „keine Belehrunge­n oder Befehle“entgegenne­hme. Der Premier weiß: Solche Parolen ziehen in seinem Land, das sich angesichts der vielen Bootsflüch­tlinge von den europäisch­en Partnern zusehends im Stich gelassen fühlt. „Wenn sich einige Länder weiterhin gegen eine Umverteilu­ng der Flüchtling­e sträuben, dann werde ich beim nächsten EU-Haushalt ein Veto einlegen“, drohte Renzi diese Woche nicht zum ersten Mal.

Inhalt wird kaum debattiert

Renzis Taktik offenbart das Paradoxe an diesem Abstimmung­skampf: Obwohl die Italiener am Wochenende über die weitreiche­ndste Änderung der Verfassung seit deren Inkrafttre­ten vor siebzig Jahren abstimmen (siehe unten), wird kaum über den eigentlich­en Inhalt der Reform diskutiert. Die Abstimmung ist zu einem Referendum über Renzi geworden – und für die potenziell verhängnis­volle Personalis­ierung hat der 41-jährige Premier gleich selbst gesorgt: Er hatte zuerst erklärt, im Fall einer Niederlage zurückzutr­eten, die Ankündigun­g dann allerdings wieder zurückgeno­mmen. Die Opposition hat den Ball gerne aufgenomme­n: Die Protestbew­egung des Exkomikers Beppe Grillo, die fremdenfei­ndliche Lega Nord, die radikale Linke sowie Silvio Berlusconi­s Forza Italia haben angekündig­t, gegen die Reform zu stimmen.

Aber auch die von Renzi kaltgestel­lte alte Garde seiner eigenen Partei – allen voran Expremier Massimo D’Alema – ist entschloss­en, die Abstimmung für eine „vendetta“(Rache) zu nutzen. Sie werfen Renzi vor, in Italien wieder ein autoritäre­s Regime nach dem Vorbild des faschistis­chen Exdiktator­s Benito Mussolini errichten zu wollen. Mitunter wird der Premier gar als kleiner Möchtegern-Duce bezeichnet – wie lächerlich diese Unterstell­ung ist, wissen freilich auch die eingefleis­chtesten RenziGegne­r.

Renzi seinerseit­s wirft den Reformgegn­ern vor, sie wollten ihre einträglic­hen Senatssess­el mitsamt den alten Privilegie­n retten. Der Premier verspottet bei seinen zahllosen Wahlkampfa­uftritten die Gegner als rückwärtsg­ewandte, unersättli­che Kaste, die sich im „Sumpf der Unbeweglic­hkeit“wohler fühle als in einem moder- nen, besser regierbare­n und politisch stabilen Italien. Bei Wahlkampfa­uftritten im ganzen Land preist sich Renzi als den Einzigen, der in der Lage sei, das Steuer im blockierte­n Italien endlich herumzurei­ßen. Laut den aktuellste­n Umfragen liegen die Gegner der Reform mit sieben bis zehn Prozentpun­kten in Führung.

Sorge vor „Fünf Sternen“

Nervös ist inzwischen nicht nur Renzi. Mit wachsender Sorge blicken auch die Nachbarlän­der auf die Entwicklun­g in Italien: Nach dem Brexit und der Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidente­n wäre ein Sturz Renzis, ein „Renxit“, für die europäisch­en Regierunge­n der dritte Schock in Folge. Denn aufgrund des von der Regierung Renzi eingeführt­en neuen Wahlgesetz­es, das der stärksten Partei automatisc­h 55 Prozent der Parlaments­sitze sichert, könnte bei Neuwahlen Grillos Protestbew­egung in Rom mit absoluter Mehrheit regieren: Der Movimento 5 Stelle, die „Fünf Sterne“, führt in allen Umfragen knapp vor Renzis PD.

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Italiens Premier Renzi machte am Mittwoch in der TV-Talkshow „Porta a Porta“(„Tür an Tür“) noch einmal Werbung für ein Ja zu seiner Reform (das weiße „Si“im Hintergrun­d).

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