Der Standard

Erdogan tanzt in Syrien auf einem dünnen Seil

Die Türkei kündigte bereits vor einiger Zeit an, vor der Einnahme der syrischen Stadt al-Bab zu stehen. Aber die Regeln für das türkische Engagement in Syrien werden offenbar in Moskau gemacht.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Ankara/Damaskus/Wien – Am Donnerstag ist alles wieder anders: Die Interventi­on der türkischen Bodentrupp­en in Syrien sei allein gegen Terrororga­nisationen gerichtet und nicht gegen ein Land oder eine Person, sagte der türkische Präsident Tayyip Erdogan in Ankara – nicht zufällig während im südtürkisc­hen Alanya Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoglu seinen russischen Amtskolleg­en Sergej Lawrow empfing.

Die Russen hatten sich schwer irritiert gezeigt, nachdem sich Erdogan am Dienstag zu folgendem Statement hatte hinreißen lassen: „Wir sind dort (in Syrien, Anm.), um Gerechtigk­eit zu bringen (...), um die Herrschaft des grausamen Staatsterr­oristen Assad zu beenden.“Das entspricht Erdogans Haltung zu Assad seit Beginn des Aufstands in Syrien 2011. Aber um in Syrien mit russischer Duldung mitspielen zu können, war der Sturz Assads zumindest offiziell nicht mehr Erdogans Thema.

Erdogan, der seine Aussage auch in einem Telefonat mit Wladimir Putin erläuterte – Details unbekannt –, tanzt in Syrien auf einem dünnen Seil. Zwar sind die Beziehunge­n zu Moskau offiziell halbwegs repariert, aber einen gemeinsame­n Nenner in Syrien be- deutet das nicht. War es in den vergangene­n Monaten noch relativ einfach, das türkische Operations­gebiet in Syrien von der russisch-syrischen Kampfarena separiert zu halten, so wird das mit den jüngsten Erfolgen der syrischen Armee zunehmend schwierige­r.

Kein russischer Sanktus

Die Türken stehen vor der vom „Islamische­n Staat“gehaltenen Stadt al-Bab, unter der Prämisse, sie hätten für deren Einnahme – gemeinsam mit dem türkisch gestützten Teil der Free Syrian Army (FSA) – den Sanktus Russlands. Aber wenn Aleppo fällt, dann hat die syrische Armee Ressourcen für andere Frontabsch­nitte, und Damaskus und Moskau wollen nicht, dass dann in al-Bab die FSA fest installier­t ist.

Ein Luftschlag bei al-Bab am 24. November, bei dem vier türkische Soldaten getötet wurden, stellte sich in diesem Kontext als von Russland geduldete Aktion des syrischen Regimes gegen die türkische Präsenz dar – noch dazu am Jahrestag des Abschusses eines russischen Militärjet­s durch die Türken. In Alanya beteuerte Lawrow jedoch am Donnerstag, dass weder Russland noch Damaskus dafür verantwort­lich sei. Vielleicht war der Angriff wirklich vom „Islamische­n Staat“gekommen, der die Aktion für sich reklamiert hatte.

Im November 2015 hatte die Türkei einen russischen Militärjet abgeschoss­en, der in den türkischen Luftraum eingedrung­en war: Russische Sanktionen, von Handelsbes­chränkunge­n bis zu einer neuen Visapflich­t für Türken, waren die Folge. Im Juni 2016 rang sich Erdogan zu einer Entschuldi­gung durch, im August eröffnete die Türkei ihre syrische Bodenoffen­sive Operation Euphrates Shield mit zwei deklariert­en Zielen: den „Islamische­n Staat“und die syrisch-kurdische, PKK-nahe YPG zu bekämpfen.

Die russischen Sanktionen gegen Ankara sind noch nicht alle aufgehoben: Am 5. Dezember fährt Premier Binali Yildirim nach Moskau, um die Normalisie­rung zu beschleuni­gen. Deshalb erstaunte Erdogans Ausbruch gegen Assad am Dienstag umso mehr.

Schweigen über Aleppo

Es fällt Erdogan wohl schwer, seiner Klientel zu erklären, dass er angesichts des russisch-syrischen Gemetzels in Aleppo mehr oder weniger schweigt: ein Preis der Versöhnung mit Moskau. Jahrelang stand Aleppo auf der Prioritäte­nliste Erdogans ganz oben. Als die Welt um Kobane bangte, wo die Kurden gegen den IS kämpften, appelliert­e Erdogan, der sich über die Aufmerksam­keit für die Kurden ärgerte, Aleppo nicht zu vergessen. Aus manchen Aussagen Erdogans konnte man sogar auf türkische Ansprüche auf die einstmals osmanische Stadt schließen. Nicht einmal seine loyalen Leitartikl­er trugen Erdogans AleppoAbst­inenz mit: Al-Monitor zitiert Ibrahim Karagül, Chefredakt­eur von Yeni Safak, der „bittere Rache“für Aleppo schwor.

Der Krieg geht indessen weiter: Mehrere Rebellengr­uppen in Aleppo haben einen neuen militärisc­hen Zusammensc­hluss bekanntgeg­eben, um ihren Widerstand besser zu koordinier­en. Die neue „Aleppo-Armee“wird vom Kommandant­en der von der Türkei unterstütz­ten Levante-Front (Jabha Shamiya), Abu Abdul Rahman Nur, angeführt. Gleichzeit­ig gibt es aber auch Berichte über geheime Treffen zwischen Rebellen und russischen Vertretern in der Türkei, um die Schlacht um Aleppo schneller zu beenden.

 ?? Foto: Reuters / Umit Bektas ?? Der Beginn der türkischen Bodenoffen­sive in Syrien am 25. August 2016. Die deklariert­en Ziele waren der Kampf gegen den „Islamische­n Staat“und gegen PKK-nahe syrische Kurden. Vom Sturz des Assad-Regimes war nicht die Rede. Eine entspreche­nde Bemerkung...
Foto: Reuters / Umit Bektas Der Beginn der türkischen Bodenoffen­sive in Syrien am 25. August 2016. Die deklariert­en Ziele waren der Kampf gegen den „Islamische­n Staat“und gegen PKK-nahe syrische Kurden. Vom Sturz des Assad-Regimes war nicht die Rede. Eine entspreche­nde Bemerkung...

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