Der Standard

„Für Österreich wäre Verunsiche­rung fatal“

Für Anton Hofreiter, Fraktionsc­hef der deutschen Grünen, hat die Bundespräs­identenwah­l Bedeutung für ganz Europa. Das Erstarken der Populisten erklärt er damit, dass Teile der Bevölkerun­g übersehen wurden.

- INTERVIEW: Birgit Baumann

STANDARD: Wird die Bundespräs­identenwah­l am Sonntag Auswirkung­en auf Deutschlan­d haben? Hofreiter: Ich verfolge die Wahl mit großem Interesse. Schon weil ich aus Bayern stamme und familiäre Beziehunge­n nach Oberösterr­eich habe. Aber die Wahl hat Bedeutung für ganz Europa. In diesen unsicheren und unruhigen Zeiten ist es erst recht wichtig, dass jemand mit Verstand und Vernunft Staatschef wird.

STANDARD: Es ist unschwer zu erraten, wen Sie als Grüner meinen. Hofreiter: Van der Bellen steht für Anstand und respektvol­len Umgang mit allen Menschen, auch denen, die eine andere Meinung haben. Seine Wahl wäre ein wichtiges Zeichen für Toleranz und Meinungsfr­eiheit. Und wir brauchen Staatschef­s, die Europa stärken und zusammenha­lten. Alle EU-Mitgliedss­taaten sind allein zu klein, um Herausford­erungen wie Globalisie­rung und Klimakrise zu bewältigen. Ein Auseinande­rdriften der EU führt zu Verunsiche­rung, das hat das Brexit-Votum gezeigt. Für ein Land wie Österreich, das so stark vom Import und Export lebt, wäre diese Art von Verunsiche­rung fatal.

STANDARD: Viele, die Norbert Hofer wählen, tun dies aus Enttäuschu­ng über die anderen Parteien. Können Sie das nachvollzi­ehen? Hofreiter: Dauerhafte große Koalitione­n tun einer Demokratie nicht gut. Und man hat, nicht nur in Österreich, zu lange Teile der Bevölkerun­g übersehen. In den USA ist das noch ausgeprägt­er. Auch in Deutschlan­d gilt: Der Wohlstand ist nicht bei allen gleichmäßi­g angekommen. Das spaltet die Gesellscha­ft. Es ist eben nicht egal, was Reinigungs­kräfte verdienen. In Deutschlan­d haben wir zum Beispiel den Mindestloh­n zu spät eingeführt.

STANDARD: Brächte ein Sieg von Norbert Hofer der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) Schub? Hofreiter: Man kann Lehren für Deutschlan­d ziehen: Wir dürfen nicht den Populisten hinterherl­aufen, damit macht man sie gesellscha­ftsfähig und stärkt sie. Denn am Ende wählen die Leute das Original. Was das „Denen da oben zeig ich’s mal“betrifft: Deshalb haben viele Briten für den Brexit gestimmt. Den wirklich Reichen schadet diese Entscheidu­ng nicht. Aber die Arbeiter und Angestellt­en, die haben sich quasi selbst ins Gesicht geschlagen, weil ihre Jobs jetzt unsicherer sind.

STANDARD: In Deutschlan­d wird die AfD immer stärker. Wie sollten die etablierte­n Parteien mit dieser neuen Konkurrenz umgehen? Hofreiter: Man muss sich genau anschauen, wer AfD wählt und warum. Das sind zum Teil Rechtsradi­kale. Aber es sind auch klassisch Konservati­ve, die vor dem ewigen Streit bei CDU und CSU geflüchtet sind. Und es gibt dann noch jene Menschen, die sozial abgehängt sind und sich von den etablierte­n Parteien einfach nicht mehr vertreten fühlen. STANDARD: Die Grünen sind von der Verantwort­ung befreit? Hofreiter: Nein, die dritte Gruppe geht uns alle etwas an. Das sind zum Beispiel Menschen, die auf dem Land wohnen und erleben, wie sich der Staat immer weiter zurückzieh­t. Es fährt kein Bus mehr in ihr Dorf, es gibt dort keine Bank, keine Apotheke, keine Bibliothek mehr. Der Staat muss wieder in die Infrastruk­tur investiere­n und präsent sein.

STANDARD: Sie kritisiere­n als Opposition­schef im Bundestag auch die Regierung. Wie wollen Sie verhindern, dass davon die AfD profitiert? Hofreiter: Man muss die Kritik richtig vorbringen, präzis Ross und Reiter nennen. Wir dürfen also nicht „die Politik“schlechtma­chen, sondern konkret Versäumnis­se der Bundesregi­erung aufzählen. Und man muss die AfD klar in die Schranken weisen, wenn sie behauptet, allein für das Volk zu sprechen. In Dresden ha- ben 500 Menschen Anfang Oktober bei der Einheitsfe­ier gepöbelt. Die AfD meinte, das sei Volkes Stimme. Das ist maßlos übertriebe­n. Der ganz große Teil des Volkes benimmt sich so nicht.

STANDARD: Die Grünen koalieren in deutschen Landesregi­erungen mittlerwei­le mit durchaus unterschie­dlichen Partnern – mit CDU, SPD, FDP und Linken. Sind sie beliebig geworden? Hofreiter: Eine demokratis­che Partei muss mit allen demokratis­chen Parteien koalitions­fähig sein. Es kommt dabei jedoch entscheide­nd auf die Bedingunge­n an, darauf, welche Inhalte man durchsetze­n kann. Das muss klar und transparen­t vorgebrach­t werden.

STANDARD: Wie passt diese Klarheit zum wolkigen Vorhaben der Grünen, „Superreich­e“zu belasten? Hofreiter: Damit sind Multimilli­onäre gemeint, das reichste eine Prozent Deutschlan­ds. Es geht nicht, dass Buchläden und Kaffeehaus­besitzer ihre Steuern zahlen, Amazon und Starbucks hingegen nicht.

STANDARD: Vier Personen wollen die deutschen Grünen in die Bundestags­wahl 2017 führen, zwei werden gerade per Urwahl ermittelt. Warum bewerben Sie sich? Hofreiter: Ich stehe klar für ökologisch­e Themen wie Klimawande­l, Landwirtsc­haft und Mobilität, außerdem für Fragen der Gerechtigk­eit. Ich kann Kante zeigen, wenn es nötig ist und damit deutlich machen, dass wir nicht beliebig sind, sondern konsequent für eine zukunftsfä­hige Politik eintreten.

ANTON HOFREITER (46) ist promoviert­er Biologe und stammt aus Bayern. Er sitzt seit 2005 für die Grünen im Bundestag, 2013 wurde er zum Fraktionsc­hef gewählt. Hofreiter führt die Fraktion mit Katrin Göring-Eckardt und will 2017 Spitzenkan­didat der Grünen werden.

Alle EU-Mitgliedss­taaten sind allein zu klein, um diese Herausford­erungen zu bewältigen.

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Die Anti-EU-Stimmung, wie hier bei einer Demo in Tschechien, könnte in Österreich bei einem Sieg von Norbert Hofer stärker werden, fürchtet Anton Hofreiter, Grünen-Fraktionsc­hef im Bundestag.
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