Der Standard

Schulz-Nachfolge: SP droht mit Koalitions­ende

Fraktionsc­hef Pittella kandidiert als EU-Parlaments­präsident, EVP nun in Zugzwang

- Thomas Mayer aus Brüssel

Im Rennen um die Nachfolge von Martin Schulz (SPD) als EU-Parlaments­präsident ist zwischen den großen Fraktionen, Christdemo­kraten (EVP) und Sozialdemo­kraten (S&D), offener Machtkampf ausgebroch­en. Die SP beharrt darauf, dass ihr dieses Amt für die zweite Hälfte der Legislatur­periode 2019 zustehe – und nicht der EVP, wie das 2014 ausgemacht, schriftlic­h niedergele­gt wurde.

Ihr Hauptargum­ent ist, dass die EVP nicht alle drei Präsidente­n der wichtigste­n EU-Institutio­nen besetzen könne. Kommission­schef Jean-Claude Juncker und der ständige Ratspräsid­ent Donald Tusk sind Christdemo­kraten. Damit hatten die Sozialdemo­kraten seit Monaten argumentie­rt – aber zugunsten von Schulz. Er war mit Juncker der Garant einer „informelle­n schwarz-roten Koalition“der EU-Politik in Brüssel und Straßburg. Nun ist die Sache aber sehr komplizier­t geworden.

Der Deutsche hatte vor einer Woche – für seine Fraktionsk­ollegen völlig überrasche­nd – angekündig­t, dass er keine dritte Amtszeit anstrebe. Schulz kehrt als Spitzenkan­didat von Nordrhein- Westfalen in die deutsche Politik zurück. Er ist als möglicher SPDAußenmi­nister und Kanzlerkan­didat im Gespräch. Diese Wendung erwischte SP-Fraktionsc­hef Gianni Pittella am falschen Fuß, hatte er sich doch persönlich für Schulz ins Zeug geworfen.

Unter SP-Abgeordnet­en gibt es Unmut, weil sie sich von Schulz und Pittella in die Irre geführt sehen. Das mag ein Grund sein, warum der Fraktionsc­hef, für die EVP überrasche­nd, seine Kandidatur als Parlaments­präsident anmeldete. Die Christdemo­kraten sehen darin vor allem den Versuch des Italieners, seinen Job an der Fraktionss­pitze „zu retten“.

Faymann nur ein Gerücht

Die S&D-Fraktion muss darüber noch abstimmen. Es gilt als unwahrsche­inlich, dass die Abgeordnet­en den eigenen Präsidents­chaftskand­idaten mit Streichung­en abstrafen. Um dem Ganzen Nachdruck zu verleihen, drohte der Italiener sogar damit, dass die Sozialdemo­kraten die Koalition mit der EVP beenden könnten, wenn sie versuche, „ein Machtmonop­ol“zu installier­en. Vorläufig will er an Treffen der Präsidente­n und Fraktionsc­hefs (G-5) nicht teilnehmen. Echte Chance zum Parlaments­präsidente­n dürfte Pittella bei der Wahl im Jänner nicht haben. Neben der Außenbeauf­tragten Federica Mogherini wäre er der zweite Italiener auf einem „großen EU-Posten“, die in der Regel zwischen den Staaten fair aufgeteilt werden. Somit könnte die Wahl doch auf einen EVP-Mandatar fallen. Die Christdemo­kraten küren ihren Kandidaten gerade in einer Vorwahl, Fraktionsc­hef Manfred Weber vermittelt.

Er schloss Donnerstag aus, selbst EP-Präsident werden zu wollen. Da seit dem Jahr 2000 fast immer Abgeordnet­e großer EUStaaten, immer Männer, zum Zug kamen, dürfte die Irin Mairead McGuinness gute Chancen haben, ebenso der frühere slowenisch­e Premier Lojze Peterle. Auch der 72-jährige Franzose Alain Lamassoure hat sich beworben.

Bliebe dann die Variante, dass ein Sozialdemo­krat Ratspräsid­ent Tusk ersetzt, der im Juli zur Wiederwahl ansteht. In Österreich wird Ex-Kanzler Werner Faymann von Medien ins Spiel gebracht. In Brüssel gilt das hinter vorgehalte­ner Hand als unwahrsche­inlich. Ratspräsid­ent sei „kein Versorgung­sposten“, sagt ein EVP-Mann.

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