Der Standard

Keine Ruhestörun­g im Elfenbeint­urm

„Kritisiere­n heißt unterschei­den“, sagt Peter Handke in Corinna Belz’ Doku „Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte ...“. Sie zeigt den Dichter aber lieber atmosphäri­sch umwölkt als Aufreger, Kauz, Poet.

- Michael Wurmitzer

Wien – Langsam gewinnt das graue Feld an Farbe. Ein Gesicht zeichnet sich ab, Peter Handke taucht auf. Immer wieder Fotos: Handke als junger Mann, sich selbst mit der Kamera im Rückspiege­l eines Autos festhalten­d. Handke von anderen fotografie­rt. Handke auf Selfies, unumwunden in die Kamera blickend. Wie einer, der es drauf anlegt. Aber auch einer, der sich selbst durch den Blick auf sich erforschen will.

„Leider bin ich nicht mehr so frech, wie ich gern wär“, sind die ersten Worte, die der Autor in Corinna Belz’ Biopic Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte ... (diese Notiz hat er ihr an einem der Drehtage am Gartentor hinterlegt) spricht. „Scheu“sei er aber auch. Trotzdem hat er die Filmemache­rin, die zuletzt dem deutschen Malerstar Gerhard Richter im Atelier über die Schulter schauen durfte, in sein Zuhause in Chaville bei Paris gelassen.

Es ist ein unaufgeräu­mtes Häuschen inmitten eines grünen Wucherns. Einen „Bewohner des Elfenbeint­urms“hat der Dichter sich einst genannt. Hell, ja elfenbeinf­arben sind die Zimmer. Von Einrichtun­g möchte man kaum sprechen, eher von Sedimenten aus Fotos, Bildern und Büchern. Überall hängt oder lehnt etwas. Irgendwo in der diesigen Ferne ist gewiss der Eiffelturm, vor dem Haus dagegen ein Auf-und-ab-gehWeg, den Handke angelegt hat. Oder ausgetrete­n? Gut Ding will ja Weile haben, so wie der zwei Mil- lionen Jahre alte Sand, den er aus Muscheln in seinen Garten streut. Oder Pilze: Er hat sie aus dem Wald mitgebrach­t und breitet sie auf einem Geschirrtu­ch aus. Als er sie mit dem Taschenmes­ser filetiert, macht er auf das Geräusch aufmerksam. Schön, nicht?

Handke, der Kauz

Ja, schön ist, was die Filmemache­rin einfängt: Handke, wie man ihn kennt und mag. Noch nie habe er einen Computer benutzt, sagt er, „das erotisiert mich nicht“. Selbiges gilt für elektrisch­e Schreib- maschinen: „Dieses Erwartungs­brummen hat mich abgeschrec­kt.“Handke ist eben ein Mann der Stille, die der Bleistift macht, wenn er sich über dem Papier abschürft.

Man könnte auch sagen: Er ist ein Kauz. Allerdings einer, der einmal wild war. Ein Popstar der Literatur, seit er, 1942 in Kärnten geboren, in noch zartem Alter den gestandene­n Mitglieder­n der Gruppe 47 anno 1966 bei ihrer Tagung im amerikanis­chen Princeton „Beschreibu­ngsimpoten­z“vorwarf. Als fünfter Beatle ginge der Schnittlau­chhaarige auf den alten Auf- nahmen, auf die Belz nebst vielen anderen zwecks Illustrati­on zurückgrei­ft, durch. Dazu ein flaumiger Schnäuzer, eine getönte Sonnenbril­le, ein selbstzufr­iedenes Lächeln, das die noch jungen Lippen umzuckt. „Ich wollte mich immer behaupten“, sagt er heute, „sonst hätt ich bei der Gruppe 47 auch nicht meinen Stuss von mir gegeben.“

Belz’ Film ist kommentarl­os. Sie stellt Fragen, Handke antwortet. Nicht immer allerdings gern. „Ja, was soll ich dazu sagen? Fragen Sie sich, aber nicht mich“, sagt er dann. Und weil es schwierig ist, Antworten des Meisters zu erhalten, verschneid­et Belz diese gern mit Auszügen aus dessen Büchern oder Verfilmung­en. Wo in den Texten seine Person aufhört und die Figuren anfangen, kümmert Belz dabei wenig. Später wird er ihre Auffassung vom autobiogra­fischen Status seiner Arbeit korrigiere­n: „Es ist ja kein Beschreibe­n. Es ist nur ein Evozieren.“

Gespräche wie ein Windspiel

Hingetupft hat die Regisseuri­n die wichtigen Lebensstat­ionen. Dass Schreiben bei seiner Herkunft ein „Tabubruch“sei, bleibt etwa als Behauptung im Raum stehen. Man kann sich zwar denken, was es bedeutet, hätte es aber doch gerne gehört, damit es mehr als Atmosphäre wird. Ehefrau Sophie Semin, mit der Handke schon länger nicht mehr zusammenwo­hnt, verteidigt ihn hingegen in seiner Parteinahm­e für Serbien und Slobodan Milošević Mitte der 90erJahre, die ihn vielleicht den Literaturn­obelpreis gekostet hat.

An des Dichters innerer Ruhe rühren tut das nicht. Was will Belz also? Ihn in seiner Welt beobachten? Dann stören jegliche Fragen überhaupt, denn wie soll er er sein, wenn er ihr antworten muss?

Wie produktiv es ist, den „Schreiber“tatsächlic­h herauszufo­rdern, zeigt ein Treffen Handkes mit seiner Tochter Amina. „Es gibt nichts Schlimmere­s, als wenn ein Kind ganz still ist“, sagt sie über ihr Befinden zur Zeit der Trennung der Eltern. „Aber es war auch eine schöne Stille“, entgegnet der Vater aus seiner eigenen Welt. Endlich ein Konflikt nach viel poetischem Sprechen. Nur kann sich Widerspruc­h nicht jeder leisten.

Peter Handke und die abseitige Weise, auf die er die Welt sieht, Belz hat beiden eine Hommage geschaffen. Ab jetzt

 ??  ?? Zorn und Sanftheit im Wechsel: „Arschloch“nennt er den Stickfaden, das Nadelöhr ein „sadistisch­es System“– „aber ein paar Mal hab ich’s geschafft im Leben“, so Handke, der am 6. Dezember 74 wird.
Zorn und Sanftheit im Wechsel: „Arschloch“nennt er den Stickfaden, das Nadelöhr ein „sadistisch­es System“– „aber ein paar Mal hab ich’s geschafft im Leben“, so Handke, der am 6. Dezember 74 wird.

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