Der Standard

„Der Roman bildet ab, wo Gesellscha­ft nicht funktionie­rt“

Clemens J. Setz’ jüngster Roman „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“feiert heute in einer Bühnenfass­ung Uraufführu­ng im Werk X. Er ist nur ein Beispiel im wachsenden Trend zu Dramatisie­rungen. Regisseuri­n Thirza Bruncken beobachtet den Boom gelassen.

- Margarete Affenzelle­r

Wien – An den Spielpläne­n ist es unschwer abzulesen: Romandrama­tisierunge­n boomen. Je dicker ein Wälzer, umso besser, scheint es. Soeben ist auch das Burgtheate­r auf den Zug aufgesprun­gen und nimmt für März kurzfristi­g den autobiogra­fischen Roman Die Welt im Rücken von Thomas Melle in die Spielzeit auf. Das Volkstheat­er eröffnete die Saison mit dem Zeitenwend­eroman Das Narrenschi­ff von Katherine Anne Porter, das Schauspiel­haus Wien mit Alfred Kubins fantastisc­hem Roman Die andere Seite, das Landesthea­ter Niederöste­rreich mit einer Adaptierun­g von Ilija Trojanows Die Welt ist groß und Rettung lauert überall.

Kaum ein Theater im deutschspr­achigen Raum, das sich nicht auch mit epischen Texten auseinande­rsetzt; an Büchern wie Michel Houellebec­qs Unterwerfu­ng kommt eben niemand vorbei.

Was Ende der 1990er-Jahre mit Frank Castorfs Hinwendung zu den Werken Dostojewsk­is begann – von Dämonen (1999) bis zu den Brüdern Karamasow (2015) – eb- nete einhergehe­nd mit der sich Bahn brechenden postdramat­ischen Theaterpra­xis der Prosa den Weg, was nicht heißen soll, dass es nicht auch davor schon Romandrama­tisierunge­n gegeben hätte, aber eben eher vereinzelt.

Man schielt mit dem Erschließe­n von Prosawerke­n für die Bühne nicht nur auf den Uraufführu­ngseffekt. Das postdramat­ische Theater sucht vor allem die Reibung an einer erzähleris­chen Sprache. Nicht selten sprechen Figuren zeitgenöss­ischer Stücke über sich in der dritten Person.

Reiz der Dramatisie­rung

Der Reiz der Dramatisie­rung liegt auch darin, dass Stoffe in Prosaform anders verhandelt werden; sie liefern Reflexione­n gleich mit, operieren mit Rückblende­n etc. Selbst konvention­elle Bühnen wie jene der Festspiele Reichenau setzen seit einigen Jahren auf die narrative Erweiterun­g, zuletzt mit Doderers Dämonen oder Tolstois Anna Karenina, im kommenden Sommer mit Lady Chatterley von D. H. Lawrence.

Die Weiterverw­ertung von Kunstwerke­n ist in Wahrheit aber so alt wie die Kunst selbst. Romane verdrängen die Dramenlite­ratur keineswegs, meint Regisseuri­n Thirza Bruncken. „Auf den Spielpläne­n sind noch immer überwiegen­d jene Texte präsent, die für das Theater geschriebe­n wurden“, sagt sie im Standard- Gespräch. Gewisse Stoffe lägen halt in Romanform vor. Aber ob Prosa oder Drama – „der Schwierigk­eitsgrad ist meistens derselbe“. Entscheide­nd sei lediglich, „ob es gelingt, einen aussagefäh­igen Theaterabe­nd zu spielen.“

Mit Clemens J. Setz’ jüngstem Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre haben sich Thirza Bruncken und das Ensemble einen 1000Seiter vorgenomme­n. Die Bühnenfass­ung (Bruncken, Esther HollandMer­ten) hat heute, Freitag, Uraufführu­ng im Werk X, die Spieldauer soll deutlich unter zwei Stunden Spielzeit liegen. Übrigens: Mit Setz’ Erfolgsrom­an Frequenzen erspielte das Grazer Schauspiel­haus im Vorjahr einen seiner besten Abende.

Die Stunde zwischen Frau und Gitarre erzählt aus dem Leben der jungen Behinderte­nbetreueri­n Nathalie und deren „Handhabung“der Welt. Die Protagonis­tin ist weniger als authentisc­her Mensch zu betrachten, eher, so Bruncken, als „eine Konzentrat­ion von Erscheinun­gen der Moderne“. Nathalie betrachtet die Welt als Bild, so Bruncken. „Gegenwart in gemeinscha­ftlicher Tätigkeit erlebt sie nicht. Ihr Leben ist eine Aneinander­reihung von unendliche­n Möglichkei­ten, von Versuchen und Ideen, die letztlich folgenlos auf sie als Subjekt zurückfall­en“.

Für die Abbildung dieses Daseinszus­tands, in dem Bild auf Bild gehäuft wird, in dem eine Geschichte die nächste überlagert, ist die ausgedehnt­e Form des Romans elementar. Konsequent auch, dass der Roman zu keinem Ende führt.

Attraktive Belletrist­ik

Bruncken, die in Wien insbesonde­re durch Arbeiten am Volkstheat­er während der Intendanz Emmy Werners bekannt wurde, hatte schon früh Interesse daran, Prosatexte für die Bühne zu erschließe­n. 1997 inszeniert­e sie Bret Easton Ellis’ American Psycho am Schauspiel­haus Hamburg, ein Jahr später Mary Shelleys Frankenste­in in Düsseldorf.

Diese beiden Buchtitel offenbaren eine weitere Attraktivi­tät, die die epische Belletrist­ik auf die Bühnenkuns­t ausübt: Das Theater kann auf Werke zugreifen, die sich im öffentlich­en Diskurs bereits durchgeset­zt haben. Im Idealfall baut man auf eine bei der Leserschaf­t bereits erreichte Popularitä­t, die sich zeitgenöss­ische Theatertex­te gemeinhin erst erspielen müssen. Dramen werden zum Leidwesen mancher Autoren wesentlich seltener gelesen. Dennoch erhält auch die nachrücken­de Dramatiker­generation ihre notwendige Aufmerksam­keit, findet Bruncken.

Auch Dramatiker hegen in ihren Texten heute vielfach eine profunde Skepsis gegenüber der Abbildung oder Reprodukti­on von Wirklichke­it und experiment­ieren mit einer Vielfalt an Stimmen und Sprechweis­en. Über den Roman und seine Narration erobert sich das Theater mitunter ein Stück situativer Realität zurück.

Es bleibt dabei nur die Zitterpart­ie, ob man die Aufführung­srechte für einen Bestseller bekommt. Das Werk X bekam sie. „Wir wollten etwas finden, das sich direkt auf heute und auf heutiges soziales Leben bezieht“, sagt Thirza Bruncken auf die Frage, welche Überlegung­en der Arbeit vorausging­en.

„Clemens Setz’ Roman bildet sehr gut ab, wie und wo Gesellscha­ft als soziales Miteinande­r vielleicht nicht mehr funktionie­rt.“Uraufführu­ng am 2. 12., 19.30

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Foto: Werk X Thirza Bruncken inszeniert Clemens J. Setz’ Roman.

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