Der Standard

Lucy war eine Kletterkün­stlerin

Dass Vormensch Lucy bereits aufrecht ging, ist mittlerwei­le unbestritt­en. Weniger klar war bisher allerdings, wie viel Zeit Australopi­thecus afarensis in den Bäumen zubrachte. Eine aktuelle Studie liefert dazu neue Hinweise.

- Thomas Bergmayr

Baltimore/Wien – Wann genau die Vorfahren des modernen Menschen von den Bäumen herabgesti­egen sind und die Vorteile des aufrechten Gangs zu schätzen gelernt haben, ist unklar. Einige Funde weisen darauf hin, dass sich die Zweibeinig­keit vor rund sechs Millionen Jahren möglicherw­eise mehrfach unabhängig voneinande­r entwickelt haben könnte. Fest steht jedenfalls, dass Australopi­thecus afarensis vor 3,8 Millionen Jahren in Ostafrika bereits aufrecht ging.

Die besten Beweise dafür liefert Lucy. Das berühmte 3,18 Millionen Jahre alte Australopi­thecusFoss­il wurde vor 42 Jahren in der äthiopisch­en Afar-Senke entdeckt und repräsenti­ert eines der ältesten und vollständi­gsten Skelette einer Angehörige­n einer Vormensche­nart. Ihre erhaltenen Beckenund Oberschenk­elknochen sowie die Form des Fußbettes weisen nach übereinsti­mmender Ansicht darauf hin, dass Lucy sich auf zwei Beinen fortbewegt­e.

Offen ist dagegen die Frage, ob Lucy den Großteil ihrer Zeit auf dem Boden zubrachte oder immer noch die Bäume als Lebensraum bevorzugte. Einiges würde für Letzteres sprechen. So eignen sich beispielsw­eise die langen Arme von Australopi­thecus afarensis ausgezeich­net zum Schwingen durchs Geäst. Einige Paläontolo­gen halten allerdings dagegen, dass dieses Merkmal nicht als Anpassung an die Lebensumst­ände zu deuten ist, sondern ein evolutionä­res Überbleibs­el darstellt.

Ein weiteres Indiz dafür, dass Lucy die Bäume zumindest noch nicht gänzlich aufgegeben hatte, lasen US-Forscher zuletzt aus den Brüchen an ihren Knochen. Wie John Kappelman von der Universitä­t Texas in Austin Ende August im Fachblatt Nature schrieb, könnte sich Lucy diese bei einem tödlichen Sturz aus großer Höhe zugezogen haben. Der Befund ist jedoch umstritten, da die Knochenbrü­che auch post mortem entstanden sein könnten.

Daher hat Kappelman nun gemeinsam mit einem Team um Christophe­r Ruff von der Johns Hopkins University in Baltimore einen alternativ­en Weg gewählt, um die Frage nach Lucys Lebensgewo­hnheiten zu klären. Die Wissenscha­fter nahmen sich dafür Lucys Gebeine mit modernster Technik vor und erstellten einen hochauflös­enden CT-Scann ihres gesamten Skelettes.

Verräteris­che Knochen

Ihrer Analyse liegt zugrunde, dass sich Knochen mit den an sie gestellten Anforderun­gen allmählich verändern: Wo große Kräfte wirken, verstärkt sich ihr innerer Aufbau. Die im Fachjourna­l Plos One präsentier­ten Ergebnisse ergaben, dass Lucy tatsächlic­h viel Zeit in luftiger Höhe verbracht ha- ben muss. Besonders die Oberarme offenbarte­n eine Knochenstr­uktur, die jener von modernen Schimpanse­n gleicht. Die im Unterschie­d dazu weniger ausgeprägt­en Oberschenk­el belegen, dass die meiste Kletterarb­eit von den Vorderextr­emitäten verrichtet wurde. „Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass Lucys Gang wohl noch nicht so effizient war wie jener ihrer Nachfahren“, meint Ruff. „Dies dürfte ihren Bewegungsr­adius am Boden erheblich eingeschrä­nkt haben.“

All das spricht dafür, dass Lucy zumindest die Nächte in Baumnester­n zugebracht hat. Geht man von einer achtstündi­gen Nachtruhe aus, könnte Australopi­thecus afarensis also mehr als ein Drittel des Tages in den Bäumen geblieben sein, vermuten die Forscher.

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Ihre Knochen verraten es: Lucys Leben spielte sich zu einem großen Teil noch in den Bäumen ab.
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Foto: Reuters / Carlos Jasso

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