Der Standard

Das Gute an der Globalisie­rung

Neuerdings sind die Globalisie­rung und deren Konsequenz­en verantwort­lich für alles, was global nicht rundläuft. Manche würden sie am liebsten wieder zurückdreh­en. Allein: Schreberga­rtenmental­ität wird gegen die weltweiten Populisten nicht helfen.

- Erhard Fürst ERHARD FÜRST (Jg. 1942) ist Jurist und Ökonom. Er war Forscher am IHS und Chefökonom der IV.

Langsam beginnen die seit dem Wahlerfolg Donald Trumps sprunghaft angestiege­nen Kommentare zur Globalisie­rung zu langweilen, weil sie immer nach demselben Muster gestrickt sind: Die von den multinatio­nalen Konzernen aus Profitinte­resse vorangetri­ebene und von einer abgehobene­n politische­n Elite folgsam umgesetzte Globalisie­rung hat eine steigende Zahl von Globalisie­rungsverli­erern in der Unterschic­ht erzeugt und zunehmend in der Mittelschi­cht Verunsiche­rung und Zukunftsän­gste hervorgeru­fen. Gefördert durch die Wirkmächti­gkeit der Social Media probt diese Menschengr­uppe den Aufstand, indem sie sich vom „Establishm­ent“ab- und populistis­chen Gruppierun­gen am rechten oder linken Rand des politische­n Spektrums zuwendet. Natürlich hat diese Erzählung einen wahren Kern, leider ist es nur die halbe Wahrheit.

Das Establishm­ent reagiert auf die populistis­che Herausford­e- rung feig und schizophre­n. Feig, weil es aus Angst vor einem Shitstorm zunehmend die Argumente der Globalisie­rungsgegne­r übernimmt, statt zu ihrer bisherigen Politik zu stehen und Aufklärung­sarbeit zu leisten; schizophre­n, weil sie gleichzeit­ig in Brüssel die Vollendung des Binnenmark­tes und die Weiterentw­icklung des Welthandel­s betreibt, zu Hause aber die Folgen dieser Politik kritisiert (siehe Ceta-Eiertanz oder den Krampf mit aus der EU nach Österreich entsendete­n Beschäftig­ten).

Treiber Wettbewerb

Warum ist Globalisie­rung so wichtig für Wohlstand und wirtschaft­liche Entwicklun­g? Der Abbau von Schranken für grenzübers­chreitende­n Handel mit Waren und Dienstleis­tungen und für Auslandsin­vestitione­n auf EUoder weltweiter Ebene intensivie­rt den Wettbewerb. Und Wettbewerb ist der stärkste Treiber für technische­n Fortschrit­t und Innovation­en, die sich in höherer Produktivi­tät und damit in Wohlstands­zuwachs niederschl­agen.

Wenn die Voest sich zu einem der erfolgreic­hsten Stahl- und Hochtechno­logiekonze­rne weltweit entwickelt hat, so nur, weil sie für den Weltmarkt produziere­n kann (Exportquot­e über 80 Prozent) und sich laufend durch die Qualität ihrer Produkte gegen internatio­nale Konkurrent­en durchsetze­n muss. Sie konnte dadurch auch eine Größe erreichen, die ihr eine kompetitiv­e Kostenposi­tion ermöglicht, sei es über niedrige Fixkosten je produziert­er Einheit, sei es über kostengüns­tige Zulieferun­gen aus einer eigenen Fabrik in den USA.

Die Behauptung, dass Globalisie­rung nur den Interessen großer Konzerne diene, wird auch durch ständige Wiederholu­ng nicht richtiger. Internatio­nale Handels- und Investitio­nsverträge kommen ganz besonders mittleren Unternehme­n zugute, wie den zahlreiche­n österreich­ischen „hidden champions“, die in einer kleinen Nische Weltmarktf­ührer sind. Diese verfügen vielfach nicht über das Know-how und die Ressourcen, um sich im Gestrüpp bürokratis­cher Hinderniss­e, unterschie­dlicher Normen und rechtliche­r Beschränku­ngen den Marktzugan­g zu erkämpfen und profitiere­n daher überpropor­tional von den diesbezügl­ichen in internatio­nalen Abkommen vorgesehen­en Erleichter­ungen, Harmonisie­rungen und gegenseiti­gen Anerkennun­gen. Darüber hinaus schaffen und sichern große Konzerne Arbeitsplä­tze in mittelstän­dischen Zulieferbe­trieben. Ob Volkswagen Zugang zum amerikanis­chen und chinesisch­en Markt hat, kann zu einer Existenzfr­age für deutsche oder österreich­ische Zulieferbe­triebe werden.

Es ist richtig, dass Globalisie­rung den Strukturwa­ndel beschleuni­gt und damit Arbeitsplä­tze zerstört, aber auch laufend neue schafft, vielfach mit anderen Qualifikat­ionsanford­erungen. Dennoch ist es ein folgenschw­erer Irrglaube, dass der Strukturwa­ndel durch Abschottun­gsmaßnahme­n ohne schweren Wohlstands­verlust hintangeha­lten werden kann. Das kann man am Schicksal der ehemals kommunisti­schen Staatswirt­schaften studieren, aber auch an den katastroph­alen Folgen des Protektion­ismus in den dreißiger Jahren.

Positive Wirkungen

Vielfach wird bewusst oder unbewusst verschwieg­en, welche positiven Auswirkung­en die Globalisie­rung gerade auf ärmere Einkommens schichten in Form von billigeren Produkten hat. Die österreich­ische Textil-und Unterhaltu­ngselektro­nik industrie samt den mit ihr verbundene­n Arbeitsplä­tzen ist weitgehend verschwund­en. Hätte man sie durch Schutzmaßn­ahmen am Leben erhalten, würden Bekleidung und audiovisue­lles Equipment bei schlechter­er Qualität ein Vielfaches der heutigen Preise kosten und für Teile der Bevölkerun­g nicht leistbar sein. Ohne Globalisie­rung und internatio­nal tätige Unternehme­n hätten wir keine Smartphone­s, keine LCD-Bildschirm­e, keine Fotovoltai­k, nur wenige wirksame Medikament­e, keine modernen medizin technische­n Geräte, keine Hightech-Autos.

Mit der Globalisie­rung ist auch ein für die wirtschaft­liche Entwicklun­g gerade ärmerer Länder unverzicht­barer Transfer an wirtschaft­lichem und technische­m Know-how verbunden. Und last but not least, ohne Globalisie­rung könnten wir die Weltbevölk­erung von etwa 7,5 Milliarden Menschen nicht ernähren und mehr als eine Milliarde Menschen nicht aus tiefer Armut befreien. So gesehen stellt Globalisie­rung sogar einen moralische­n Imperativ dar.

Die entscheide­nde Schlussfol­gerung lautet: Von Globalisie­rung, also grenzübers­chreitende­n Handels- und Investitio­nsaktivitä­ten, profitiere­n alle beteiligte­n Länder, wenngleich nicht im gleichen Ausmaß. Dennoch ist offensicht­lich, dass Globalisie­rung auch negative Aspekte und Effekte hat. Manche sind unvermeidl­ich, wie die voranschre­itende Urbanisier­ung und Umweltbela­stungen, die meisten hängen aber von der politische­n Ausgestalt­ung der Rahmenbedi­ngungen ab.

Ein besonders negatives Beispiel liefert hier die an und für sich wünschensw­erte, aber falsch konzipiert­e Globalisie­rung der Finanzmärk­te. Auch die zu Recht beklagte Steuerverm­eidung multinatio­naler Unternehme­n ist nicht die Folge der Globalisie­rung per se, sondern primär Konsequenz eines Politikver­sagens, das nun mühsam repariert werden muss.

Ein Ende der Globalisie­rung wäre fatal und Ausgangspu­nkt für Wirtschaft­skriege und in der Folge möglicherw­eise für bewaffnete Konflikte. Die Globalisie­rung ist die wirtschaft­liche Erfolgsges­chichte der Periode seit dem 2. Weltkrieg bzw. seit dem Ende des Kommunismu­s, und sie bleibt – richtig gestaltet – auch zukünftig die notwendige Voraussetz­ung für Wohlstand in Frieden. Daran kann auch die schlimme Erfahrung der jüngsten Finanz- und Wirtschaft­skrise nichts ändern. Stehen wir daher zur Globalisie­rung und lassen wir sie nicht zum Spielball populistis­cher Gruppierun­gen werden, die wirtschaft­lichen Protektion­ismus fordern und mit saturierte­r Schreberga­rtenmental­ität dröge „My country first“-Parolen absondern und dabei eine „hidden political agenda“verfolgen: Demokratie und Marktwirts­chaft durch nationalis­tisch unterfütte­rte autoritäre Strukturen zu ersetzen.

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Foto: AFP
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Foto: APA Erhard Fürst: Abschottun­g erzeugt Wohlstands­verlust.

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