Der Standard

Schachwelt­meister Magnus Carlsen will an sich arbeiten

Magnus Carlsen hat diese Woche seinen WM-Titel im Schach erfolgreic­h verteidigt. Gegen den Russen Sergej Karjakin tat er sich aber schwer. Der Norweger spricht über gut gelaufene Dinge, und woran er arbeiten will.

- INTERVIEW: Anatol Vitouch der Standard führte das Gespräch gemeinsam mit anderen Journalist­en. WM-Analyse Seite 26

Standard: Wie haben Sie die letzte Phase des WM-Matches erlebt? Carlsen: Die letzte Phase war für mich viel einfacher als die Tage zuvor. Schon vor dem Tiebreak hatte ich ein sehr gutes Gefühl, ich war zuversicht­lich und ruhig. Am Mittwoch, als die Tiebreaks gespielt wurden, hatte ich sehr viel Spaß, und ich glaube, es wurde eine gute Schach-Show geboten.

Standard: Nach der letzten Partie haben Sie erwähnt, dass Ihnen die Kontrolle Ihrer Emotionen in diesem Wettkampf nicht leicht gefallen ist. Ist das derzeit Ihre größte Schwachste­lle? Carlsen: Ja, bestimmt. Solange ich alles unter Kontrolle habe, ist es, denke ich, sehr schwierig, mich zu schlagen. Aber offensicht­lich sinkt meine Spielstärk­e erheblich, wenn es für mich nicht nach Plan läuft. Daran muss ich in Zukunft ernsthafte­r arbeiten.

Standard: In nahezu allen anderen Sportarten arbeiten die Topspieler mit spezialisi­erten Sportpsych­ologen zusammen. Ziehen Sie das jetzt auch in Erwägung? Carlsen: Ja, mehr denn je zuvor.

Standard: Es ist bekannt, dass guter, langer Schlaf sehr wichtig für Ihre Leistung ist. Haben Sie im Verlauf des Wettkampfe­s gut geschlafen, auch in den kritischen Phasen? Carlsen: Nach der Niederlage in der achten Partie ist es mir nicht leicht gefallen einzuschla­fen. Aber nachdem ich die zehnte Partie gewonnen hatte, habe ich wie ein Baby geschlafen.

Standard: Dieser war eindeutig der härteste Ihrer drei WM-Wettkämp- fe. Woran lag das? War Ihr Gegner stärker als erwartet? Carlsen: Ich glaube, ich habe in diesem Match viele Dinge richtig gemacht. Normalerwe­ise hätte ich angesichts der gewonnenen Stellungen in Partie drei und vier früh in Führung liegen müssen. Dann wäre es ein ganz anderes Match geworden. Vielleicht hätte ich mich in meiner Vorbereitu­ng mehr auf das Spiel in der fünften, sechsten, sogar siebenten Stunde einer Partie konzentrie­ren sollen. Denn ich hatte das Gefühl, dass ich meinem Gegner in Stunde zwei und drei der Partien überlegen war. Danach aber begann er, sich sehr gut zu verteidige­n, und es wurde schwierig für mich.

Standard: Konnten Sie selbst nicht Ihre übliche Stärke abrufen? Carlsen: In manchen Partien habe ich vielleicht Fehler begangen, die mir normalerwe­ise nicht passieren. Aber ich denke, es waren keine allzu ungewöhnli­chen Aussetzer dabei. Partie sieben und acht waren furchtbar für mich. In der achten Partie habe ich an einem gewissen Punkt einfach gegambelt, und es hat nicht funktionie­rt.

Standard: Haben Sie zu irgendeine­m Zeitpunkt damit gerechnet, den WM-Titel zu verlieren? Carlsen: Ja, nach der achten Partie war ich ganz und gar nicht positiv eingestell­t. Ich war zwar immer noch der Meinung, dass ich der stärkere Spieler bin. Aber ich habe befürchtet, dass es sehr schwer werden würde, das noch unter Beweis zu stellen. Denn es gab ja nicht mehr viele Chancen, noch Partien zu gewinnen. Ein Teil von mir hat immer noch an den Sieg geglaubt, aber es war sehr, sehr schwierig für mich.

Standard: Wie sind Sie mit diesen Gefühlen umgegangen? Carlsen: Natürlich ist es in solchen Momenten am wichtigste­n, sich auf den Prozess zu konzentrie­ren und nicht an das Ergebnis zu denken. Aber das ist mir manchmal schwergefa­llen. Sogar während der Partien musste ich manchmal denken: Wie soll ich das nur gewinnen? Anstatt ganz einfach nach dem besten Zug zu suchen. Standard: Wie haben Sie es geschafft, diese negativen Gedanken doch noch zu überwinden? Carlsen: Ich weiß es nicht. Auch vor der zehnten Partie war ich in keinem besonders guten Zustand. Aber immerhin konnte ich in dieser Partie eine mehr oder weniger ordentlich­e Leistung abzurufen.

Standard: Macht die Tatsache, dass Sie in diesem Match nicht Ihr bestes Schach gezeigt haben, den Sieg noch wertvoller, oder ist das für Sie als Perfektion­ist frustriere­nd? Carlsen: Ein bisschen von beidem. Es tut gut zu wissen, dass ich ein WM-Match auch gewinnen kann, wenn es nicht für mich läuft.

Standard: Wie würden Sie das Match insgesamt charakteri­sieren? Carlsen: Ich denke, es war vor allem ein Kampf. Und eigentlich ist es genau das, worum es für mich im Schach und in solchen Matches geht. In diesem Sinne war es großartig. MAGNUS CARLSEN (26) aus Tonsberg in Norwegen hat am Mittwoch in New York zum dritten Mal den WM-Titel im Schach geholt. Carlsen wird als Popstar und Wunderkind seines Sports gefeiert.

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 ?? Foto: APA/AFP/Munoz ?? Carlsen gilt am Schachbret­t als Improvisat­ionskünstl­er. Diese Fähigkeit verhalf dem Norweger auch zum WM-Erfolg gegen den Russen Sergej Karjakin.
Foto: APA/AFP/Munoz Carlsen gilt am Schachbret­t als Improvisat­ionskünstl­er. Diese Fähigkeit verhalf dem Norweger auch zum WM-Erfolg gegen den Russen Sergej Karjakin.

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