Der Standard

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Die Bundesregi­erung wird nicht halten. Aber was soll danach anders, geschweige denn besser werden? Die beiden Koalitions­parteien SPÖ und ÖVP bereiten sich auf alle Eventualit­äten vor – mit unterschie­dlichen Stoßrichtu­ngen.

- Michael Völker

Wäre nicht die Stichwahl aufgehoben und deren Wiederholu­ng verschoben worden, gäbe es jetzt möglicherw­eise Neuwahlen. So aber ist der 4. Dezember für die Entscheidu­ng zwischen dem Grünen Alexander Van der Bellen und dem Freiheitli­chen Norbert Hofer reserviert. Eine allfällige Vorverlegu­ng der Nationalra­tswahl, deren regulärer Termin erst 2018 vorgesehen wäre, könnte daher frühestens im Frühjahr 2017 einen Termin finden, ganz konkret ist etwa der dritte Sonntag im Mai im Gespräch.

Und jede Woche, in der die Koalition weiter murkst und streitet, macht einen Termin im Frühjahr 2017 wahrschein­licher. Dass es in der Regierung nicht läuft, hat der neue Bundeskanz­ler Christian Kern, der sein Amt im Mai 2016 angetreten ist, relativ rasch erkennen müssen. Es war zwar nicht seine Absicht, das Land möglichst schnell in Neuwahlen zu führen, aber auch er musste den Realitäten ins Auge sehen: Möglicherw­eise wäre eine Neuordnung der politische­n Situation besser, als so weiterzuwu­rschteln wie bisher. Mit Reinhold Mitterlehn­er hat Kern zwar einen Vizekanzle­r und ÖVP-Chef als Gegenüber, dem eine konstrukti­ve Regierungs­arbeit ein ehrliches Anliegen wäre, allerdings hat der seine Partei nicht so weit im Griff, dass er das garantiere­n könnte.

Die ÖVP ist gespalten. Auch in das Lager jener, die Hofer für den besseren Kandidaten halten, und der anderen, die Van der Bellen unterstütz­en. Wobei die Van-derBellen-Fans die lauteren und die sichtbaren waren, während es nur relativ wenige gibt, die sich offen für Hofer deklariere­n. Hört man aber etwas tiefer in die Volksparte­i hinein, zeigt sich ein anderes Bild – möglicherw­eise eine klare schwarze Mehrheit für Hofer. Die ÖVP ist aber auch gespalten in jene, die mit Mitterlehn­er die Legislatur­periode mit Anstand zu Ende bringen wollen, und jene, die die Hoffnung längst fahren lasen haben, die Koalition mit der SPÖ rasch beenden und dann etwa Neues wagen wollen. Mit neuem Personal – das wäre dann wohl Sebastian Kurz, wie sehr er sich auch noch dagegen wehrt. Und mit neuen Konstellat­ionen – das wäre dann wohl nicht die SPÖ. Eher die FPÖ.

Neuwahlflü­gel

Wenn man auch in dieser Frage etwas tiefer in die Volksparte­i hineinhört, wird man feststelle­n, dass der Neuwahlflü­gel längst eine Mehrheit gebildet hat. Die Abneigung der SPÖ gegenüber – bei manchen kann man von einer aufrichtig­en Feindschaf­t sprechen – war immer vorhanden. Und sie ist in den vergangene­n Jahren noch gewachsen. Wenn man nicht davon ausgeht, dass die ÖVP eine realistisc­he Chance hat, stimmenstä­rkste Partei zu werden – und das kann man nicht, auch nicht mit Sebastian Kurz –, dann erscheint vielen Schwarzen die Rolle eines Juniorpart­ners unter Heinz-Christian Strache die weniger schmerzvol­le Demütigung zu sein, als weiter an die SPÖ gekettet zu sein.

Die Widerständ­e gegen die Regierungs­arbeit in Wien gehen in erster Linie von den schwarzen Bundesländ­ern aus, allen voran Niederöste­rreich, wo Erwin Pröll mit einer Mehrheit herrscht, und Oberösterr­eich, wo Landeshaup­t- ANALYSE: mann Josef Pühringer schon die Konsequenz­en gezogen und sich die FPÖ als Koalitions­partner in die Landesregi­erung geholt hat. Genau dieses Störfeuer aus den Ländern macht Kanzler und Vizekanzle­r so zu schaffen. Ob Finanzausg­leich, Bildungspo­litik oder Mindestsic­herung: Es sind die Länder, die gesamtheit­liche Lösungen blockieren oder lachhafte Kompromiss­e erzwingen.

Wer auch immer den ersten Schritt Richtung Neuwahlen setzt, muss sich fragen, was dann besser werden soll. Die ÖVP müsste sich damit abfinden, wieder Juniorpart­ner zu sein, ob unter Rot oder Blau. Oder es stünde seit 30 Jahren das erste Mal wieder der Gang in die Opposition an. Aus schwarzer Sicht kaum vorstellba­r.

Die SPÖ hat mehr zu verlieren: das Kanzleramt. In den Umfragen liegt die FPÖ derzeit deutlich über 30 Prozent an erster Stelle, und das stabil. Dennoch rechnen sich die SPÖ-Strategen eine 50:50Chance aus, entgegen aller Umfragen noch einmal Erster werden zu können – dank Kern, der (noch) ausgezeich­nete Werte hat. Und der weiß: Je länger er mit dieser Regierung herumnudel­t, umso stärker nützt er sich persönlich ab.

Seine neue Strategie, auf die FPÖ zuzugehen, zielt weniger darauf ab, eine rot-blaue oder gar eine blau-rote Koalition vorzuberei­ten, als um jene Wähler zu werben, die aus Frust FPÖ wählen, aber keine eingefleis­chten Freiheitli­chen sind. Ihnen will der SPÖ-Chef sowohl atmosphäri­sch als auch inhaltlich ein Angebot machen. Dann sollten, so die Überlegung, 30 Prozent plus zu machen sein. Sonst ist die Opposition eine ernsthafte Alternativ­e.

Der Ausgang der Bundespräs­identenwah­l wird darauf nur bedingt Einfluss haben. Gewinnt Hofer, würde das seine Wähler nicht davor abschrecke­n, das nächste Mal Strache zu wählen und so die Macht für die FPÖ mit den Ämtern Bundeskanz­ler, Bundespräs­ident und Nationalra­tspräsiden­t zu bündeln. Die alte Faustregel, dass ein roter Kanzler einen schwarzen Bundespräs­identen oder eben koalitionä­r gegengleic­h wahrschein­lich macht, gilt in diesem Fall nicht, da kein Kandidat einer Koalitions­regierung zur Verfügung steht.

Kurzer Dämpfer

Wird dagegen Van der Bellen als Bundespräs­ident angelobt, hätte das ebenfalls keine großen Auswirkung­en: Der Dämpfer einer Wahlnieder­lage würde für die FPÖ wohl nur von kurzer Dauer sein. Anderersei­ts gilt Van der Bellen, auch dank der Unterstütz­ung von Grünen, Neos, SPÖ und Teilen der ÖVP, als der Kandidat des Establishm­ents. Das mobilisier­t im Gegenzug jenes blaue Stammpubli­kum, das sich sowieso nicht gehört fühlt und sich durch einen grünen Bundespräs­identen in seiner Stimmungsl­age, seinen politische­n Wertvorste­llungen und Ansprüchen ausgegrenz­t sieht.

Der Einfluss des Bundespräs­identen auf das nächste Wahlergebn­is wird also bescheiden sein. Es wird vor allem an den Regierungs­parteien liegen, unter welchen Umständen sie Neuwahlen argumentie­ren können. Dass alle sich um die Gunst des derzeitige­n freiheitli­chen Publikums bemühen, lässt jedenfalls einen Wahlkampf erwarten, vor dem man sich getrost fürchten darf.

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