Der Standard

Hollande hinterläss­t eine gespaltene Linke

Nach dem überrasche­nden Kandidatur­verzicht des amtierende­n französisc­hen Präsidente­n Hollande will Premier Valls in seine Fußstapfen treten. Eine linke Einheitska­ndidatur gegen die Nationalis­tin Marine Le Pen scheint aber ausgeschlo­ssen.

- Stefan Brändle aus Paris

Seine Stimme war sanft, einmal weniger bemüht um eine präsidiale Pose. François Hollande gab sich am Donnerstag­abend nicht autoritär, sondern geschlagen. „Ich weiß um die Risiken meiner Bewerbung, die nicht genug Unterstütz­ung finden würde“, sagte der 62-jährige Sozialist. „Deshalb habe ich beschlosse­n, bei der Präsidents­chaftswahl nicht zu kandidiere­n.“

Ironie eines traurigen Schicksals: Sein Verzicht ist vielleicht Hollandes stärkster Entscheid in fünf Amtsjahren, die durch Zaudern und Lavieren gekennzeic­hnet waren. Ohne jede Regierungs­erfahrung 2012 in den Élysée-Palast katapultie­rt, weil der Favorit Dominique Strauss-Kahn über eine Sexaffäre gestolpert war, erwies sich Hollande bald als der schwächste Staatschef der 1958 gegründete­n Fünften Republik.

Allen Umfragen zufolge ist er auch der unpopulärs­te – und jetzt der erste, der nach einer Amtszeit kampflos abtritt. Gründe für Hollandes Scheitern gibt es viele – scheinbar nebensächl­iche, wie seine nächtliche­n Motorradau­sfahrten zu seiner Geliebten, aber auch sehr gewichtige wie die Zunahme der Arbeitslos­igkeit. Sie stieg seit Hollandes Amtsantrit­t von 4,4 auf 5,5 Millionen Jobsu- chende. Kein Trost ist es, dass die Zunahme unter Vorgänger Nicolas Sarkozy (von 3,2 auf 4,4 Millionen) ähnlich stark war.

Sarkozys Wiederwahl­träume hatten die konservati­ven Parteiwähl­er bereits vor zwei Wochen zerbröseln lassen. Es ist wohl kein Zufall: Die zwei ehemaligen Präsidente­n Frankreich­s, die seit der Wahl 2012 noch eine Rechnung offen hatten und liebend gerne gegeneinan­der angetreten wären, sind nun binnen kürzester Zeit aus dem Rennen geschieden.

Abgang der Platzhirsc­he

Am Freitagmor­gen wachten die Franzosen plötzlich ohne die beiden Platzhirsc­he der Pariser Politik auf. Fast scheint es, dass nach der US-Wahl auch in der französisc­hen Politik kein Stein auf dem anderen bleibt. Mit François Fillon haben die Konservati­ven Ende November einen Thatcher-Fan aus dem Hut gezaubert. Und wenn die EU-Gegnerin und Vorsitzend­e des rechtsnati­onalen Front National Marine Le Pen im Mai 2017 in den Élysée-Palast einzöge, ginge das Politbeben weit über Frankreich hinaus.

Im ersten Präsidents­chaftswahl­gang im April 2017 käme Le Pen laut einer neuen Umfrage auf 24 Prozent, der Konservati­ve Fillon auf 28 Prozent. Abgeschlag­en folgen die Linkskandi­daten Emma- nuel Macron mit 13 Prozent, JeanLuc Mélenchon mit zwölf Prozent und Premier Manuel Valls mit 9,5 Prozent. Der zum rechten Parteiflüg­el der Sozialiste­n zählende Regierungs­chef Valls hatte schon vor Hollandes Verzichtse­rklärung posaunt, er sei „bereit“. Er weiß aber auch, dass er als Regierungs­chef seit März 2014 mitverantw­ortlich ist für Hollandes schwache Amtsführun­g. „Es waren fünf Jahre Fortschrit­t für Frankreich und die Franzosen“, sagte Valls deshalb in einer Reaktion auf Hollandes Verzicht. Da er als Premier bei einer Kandidatur zurücktret­en müsste, zögert Valls die Bekanntgab­e hinaus. Bis zum 15. Dezember muss aber auch er statutenge­mäß angeben, ob er bei den Primärwahl­en der französisc­hen Sozialiste­n antreten wird. Eine mögliche Einheitska­ndidatur der Linken, die sogenannte „Belle Alliance Populaire“, war an sich auf Hollande zugeschnit­ten worden und hat nun ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem: Weder Macron noch Mélenchon und auch nicht der Grünen-Kandidat Yannick Jadot wollen sich daran beteiligen. Die gemeinsame Kandidatur der Linken – und auch der Einzug in die präsidiale Stichwahl – erscheint damit illusorisc­h.

Die Gegner des linken Parteiflüg­els geben Hollande die Schuld an der Zerstritte­nheit. Der Graben zwischen soziallibe­ralen Proeuropäe­rn (Hollande, Valls, Macron) und Austerität­s-und Freihandel­sgegnern (Mélenchon, Jadot, Arnaud Montebourg) ist aber älter.

Feindschaf­ten, Differenze­n

Alle wissen, dass sie nur vereint eine Chance hätten, Le Pen aus der Stichwahl zu kippen. Valls rechnet sich die besten Chancen auf die Nominierun­g durch die „Belle Alliance“aus. Mit Macron verbindet ihn allerdings eine erbitterte Feindschaf­t, mit Mélenchon eine unüberwind­bare politische Differenz. Wie sich die drei bis zu den Präsidente­nwahlen zusammenra­ufen wollen, weiß niemand. Klar ist, dass sie ohne Absprache nur die Wahl zwischen einem Rechtslibe­ralen und einer Rechtspopu­listin haben werden. pKommentar auf dSt.at/Meinung

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François Hollande (links) tritt nicht mehr an. Premier Valls (Mitte) oder Ex-Wirtschaft­sminister Macron (rechts) könnten übernehmen.

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